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Wie ich dazu gekommen bin

Ich wüsste gerne mal, wie Du zu dem Beruf gekommen bist und mich würde mal interessieren wie die Anfangszeit war als Du den Beruf gearbeitet hast. Hattest Du Alpträume oder vielleicht auch Angst dich alleine in den Hallen zu bewegen in denen die Leichen aufbewahrt wurden? Also erst muss eine Zeit verstreichen lassen bis man das Gefühl des alltäglichen bekommt oder?

Die Sache war gar nicht so schwer, wie man sich das vorstellt. Mein Schwiegervater hatte von seinem Vater eine Hauderei übernommen. Ein Hauderer betreibt ein Lohnfuhrunternehmen und transportiert vom Grundbegriff her eigentlich alles, im engeren Sinne allerdings Verstorbene. Früher nahm man dazu wohl Kutschen, wovon einige Schwarzweiß-Fotos in meinem Büro künden. Seit den späten 30er Jahren aber gibt es bei uns Autos.

Die Schreiner stellten die Särge her, der Hauderer transportierte Särge und Leichen. Früher waren Bestattungen noch nicht so kompliziert. Wenn jemand verstorben war, ging ein Angehöriger zum Schreiner und sagte Bescheid. Der Schreiner richtete den Sarg, der Hauderer holte ihn ab und fuhr, um den Verstorbenen einzubetten und abzuholen. Danach ging es auf den Friedhof.
Kurz gesagt: Eine Hauderei ist ein Taxiunternehmen für tote Leute.

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Als die ersten Bestattungsinstitute aufkamen, hatten viele von denen keine eigenen Bestattungswagen, und das ist in manchen Städten auch heute noch so. Der Hauderer hält eine ganze Reihe solcher Autos bereit und wechselt bloss die Tafeln mit dem Namen des Bestattungshauses aus.

Im Verlaufe der Jahre fertigten immer weniger Schreiner eigene Särge, die großen Sargfabriken entstanden. So kam zur Hauderei auch noch ein Sarglager hinzu. Das förderte das Entstehen sehr vieler kleiner „Wohnzimmerbestatter“. Mehr als einen Katalog mit Bildern von Särgen brauchten die nicht, den Rest machte der Hauderer.

Schon 1948 machte mein 1924 geborener Schwiegervater aus der Hauderei ein komplettes Bestattungsinstitut. Die Bestattungsautos waren von den Alliierten zur Hälfte beschlagnahmt worden, weshalb verstärkt Bestattungsanhänger eingesetzt wurden.

Mit den Wirtschaftswunderjahren wurden immer mehr Autos angeschafft, nicht nur bei uns, sondern auch andere Bestatter konnten sich jetzt einen eigenen Anhänger oder sogar einen Bestattungswagen leisten. Das Hauptstandbein bei uns wurde das Bestattungshaus, obwohl wir heute auch noch Hauderer sind.

Ich habe in diesem Betrieb als kaufmännischer Lehrling angefangen und mich allmählich in die Materien eines Bestattungshauses eingearbeitet. So kam ich in den Betrieb meines späteren Schwiegervaters.
Dort war es üblich, dass die vier Leute aus dem Büro: Chef, Chefin, Tochter und Lehrjunge mittags oben bei Chefs zu Mittags aßen.
Der Chef legte sich nach dem Essen immer etwas hin. Und sagen wir es mal so: Seine Tochter und ich haben das auch hin und wieder getan…
Wie man heute so sagt, die Chemie hat auf Anhieb gestimmt und auch mein Chef ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht auf der Suche nach einem Angestellten, sondern nach einem Nachfolger war. Seine Tochter, also meine Frau, hätte das gut machen können, aber der Alte war der Meinung, sowas müsse ein Ehepaar machen. Recht hat er!

Seit 20 Jahren bin ich jetzt in dieser Firma, die meiner Frau und mir gleichermaßen gehört, mir inzwischen ein bißchen mehr. dadurch dass meine Frau ebenfalls voll in den Beruf eingebunden ist, konnte ich noch studieren und mein Diplom machen, ich bin Diplom Kaufmann.

Der Schwiegervater ist schon viele Jahre tot und seitdem haben meine Frau und ich das Bestattungshaus grundlegend modernisiert. Nach meinem USA-Aufenthalt haben wir etliche Anreize aus den USA übernommen, was unserem Unternehmen sehr gut getan hat.

Doch nun zu der Frage, ob ich Berührungsängste zu den Verstorbenen hatte oder überwinden musste.
Ich war kaum zwei Tage in dem Unternehmen, da kam schon die Frage, ob ich mal mit anpacken kann. Im Keller musste eine Verstorbene in den Sarg gehoben werden. Ich war jung und wollte doch auch keine Schwäche zeigen, deshalb bin ich da recht unbedarft und nüchtern herangegangen. Kalt war sie, alt war sie und ein bißchen häßlich. Aber sie war auch ruhig, friedlich und erinnerte mich an Tante Rosel. Ein wenig komisch war das schon, aber es überwog das Gefühl etwas zu machen, was nicht jeder macht, also eine besondere Tätigkeit auszuüben.
Einmal mit dabei gewesen und nicht schreiend davongelaufen, das bedeutete für meinen Schwiegervater-Chef, dass ich forthin immer mal mit anpacken konnte, dann mal mitfahren durfte und nach wenigen Monaten war das selbstverständlich, es gab überhaupt keine Diskussionen oder Fragen zu diesem Thema.
Mir hat das niemals etwas ausgemacht, auch nicht wenn zehn oder zwölf Tote im Kühlraum liegen. Ich kenne das kein unheimliches Gefühl oder irgendeine Angst.

Sehr ergreifend ist für mich (und für alle hier) wenn es sich um Kinder handelt. Das hätte nicht sein müssen. Auch sehr betroffen bin ich immer, wenn sehr schöne, junge Menschen da liegen, schade. Bei alten Leuten rechnet man ja ab einem gewissen Alter eher damit, dass sie auch mal so ein bißchen sterben könnten, man wünscht es keinem, aber es kommt halt eben so. Aber junge Leute, das betrübt mich manchmal sehr, vor allem weil ich ja auch noch die Freundin oder junge Ehefrau und manchmal sogar die kleinen Kinder bei mir im Büro sitzen habe.

Was auch nicht ganz einfach ist, ist der Umgang mit Unfallopfern. Mein erstes war ein Opa, der mit einem Moped verunglückt war. Dem hatte der Kinngurt seines Römerhelms das Gesicht weggerissen…. Belassen wir es bei dieser Info.
Es war jedenfalls kein schöner Anblick und da habe ich einige Tage daran zu kauen gehabt.

Das erste Mal kotzübel wurde es mir bei einem anderen Fall. Es hatte im Hausgang eines Mietshauses eine Messerstecherei gegeben und wir sollten das Opfer zur Gerichtsmedizin bringen. Nicht überall gibt es dafür öffentliche Fahrzeuge, sondern meistens machen das Bestatter im Auftrag der Behörden.
Spurensicherung und Polizei waren fertig, wir legten den Verstorbenen in den Zinksarg, der aus Kunststoff ist und laden ihn ein. Ich warte noch auf den obligatorischen Zettel, da kommt der Hausmeister des Mietshauses mit einem Eimer heißen Wassers. „Achtung!“ schrie der und schüttete das heiße Wasser auf dem Boden aus, um das viele Blut wegschrubben zu können. Dieser Gestank, der von dem heißen Wasser-Blut-Gemisch aufstieg, hat sofort einen Würgereiz ausgelöst. Schlimm! Dunstschwaden überall und es roch nach Schlachthaus.
Das war das erste und einzige Mal, dass ich mit dem Bestattungswagen an einer Trinkhalle angehalten habe, um so ein Minifläschchen Dornkaat zu trinken.

Übelkeit sollte immer mal wieder vorkommen, etwa bei dem Mann der 8 Wochen tot auf seinem Sofa gelegen hatte, aber davon werde ich ein anderes Mal erzählen.


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Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 5. August 2007 | Revision: 28. Mai 2012

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17 Jahre zuvor

Was sagt deine Frau dazu wenn du manchmal deine Freundin im Büro sitzen hast? *fg

17 Jahre zuvor

Huch, das ist ja seltsam: Sowohl bei älteren Verstorbenen als auch hier, bei jungen Verstorbenen, sprichst du eigentlich fast immer von der Frau als Hinterbliebene! Das Frauen länger leben als Männer, ist ja statistisch bewiesen und hat verschiedene Gründe, aber dass auch junge (verheiratete) Männer anscheinend eher sterben als die dazugehörigen Frauen, fällt mir nun doch auf. Oder ist der Eindruck, den ich habe, einfach falsch? Anders gefragt: Wie viele Witwer gibt es wirklich?

17 Jahre zuvor

Danke für die ausführliche Antwort. Jetzt kann man sich schon mal ein Bild machen.

Ich schätze die Hemmschwelle wird sowieso bei jedem anders hoch sein.

17 Jahre zuvor

Dann ist das hier ja auch ein bisschen ein Taxi-Blog 😉

undertaker
17 Jahre zuvor

@AyaSuu: Das ist nur eine vereinfachende Sprachregelung. Es wäre zu umständlich immer "der Verstorbene / die Verstorbene" und "der Witwer / die Witwe" zu schreiben. Deshalb hatte ich in einem früheren Artikel schon mal erklärt, dass ich meistens geschlechtsneutral schreibe und "der Verstorbene" und "die Witwe" nur exemplarisch stehen. Tatsächlich sind es 52% Männer und 48% Frauen.

Nopsi
17 Jahre zuvor

Zitat:

Dort war es üblich, dass die vier Leute aus dem Büro: Chef, Chefin, Tochter und Lehrjunge mittags oben bei Chefs zu Mittags aßen.

Der Chef legte sich nach dem Essen immer etwas hin. Und sagen wir es mal so: Seine Tochter und ich haben das auch hin und wieder getan…

Zitat Ende

hahahaha danke! ich liebe deinen schreibstil 🙂

Marco
17 Jahre zuvor

Beim Googln bin ich auf eine Künstlergruppe in Simmern/Hunsrück gestoßen, die sich "Die Hauderer" nennen. Dort scheint das Wort eher für einen Holzfuhrunternehemer zu stehen. Ich zitiere mal:

"Der Name "Hauderer" erinnert an einen einstmals im waldreichen Hunsrück weitverbreiteten Berufsstand, den der Lohnfuhrleute, die besonders mit ihren Pferdefuhrwerken bei der Holzabfuhr tätig waren. Wenn sie mit ihren Fuhrwerken auf ausgefahrenen und aufgeweichten Waldwegen fuhren, ging es laut zu. Peitschen knallten und die Fuhrleute spornten ihre Pferde mit kräftigen Zurufen an. Dies bezeichnete man mit "Haudern" "

Jetzt kennen wir also auch die Herkunft des Wortes. Wenn die wüßten, das das Wort auch (in anderen Gegenden) für einen Leichentaxi-Unternehmer steht, hätten die sich sicher nicht so genannt. 😉

undertaker
17 Jahre zuvor

@Marco: Guckst Du oben, da steht:

Ein Hauderer betreibt ein Lohnfuhrunternehmen und transportiert vom Grundbegriff her eigentlich alles,…

Marco
17 Jahre zuvor

@undertaker: Schon klar, hatte ich gelesen. Aber die erwähnen in ihrem Text nur die Holzfahrer. Vielleicht ist das dort in Vergessenheit geraten, daß ein Hauderer noch vieles mehr befördern kann. Bis gestern hatte ich das Wort noch NIE gehört. Ich frage mich: was nützt mir, zu wissen, was ein Hauderer ist ? Antwort: Irgendwann mal in naher oder ferner Zukunft sitzt ich bei Herrn Jauch in der Sendung WWM. Ich habe es tatsächlich auf den "heißen Stuhl" geschafft und alle Fragen beantwortet. Nun gibt es Pyrotechnik, aufpeitschende ("haudernde") Musik. Jauch: Und nun die 1. Mio € Frage. Sind Sie bereit ? Ich (supernervös, hauche ein): Ja Jauch (drückt Return, um die Frage zu sehen, zuerst stutzt er und runzelt leicht die Stirn, dann huscht ein maliziöses Lächeln über sein Gesicht): "Welche Tätigkeit übt ein Mensch mit der Berufsbezeichnung (jetzt überdeutlich) HAU-DE-RER aus ? a…. b…. c….. d…." (er grinst schelmisch, will heißen "wenn ich das nicht weiß, dann weiß DER das schon gar nicht) Er will schon anfangen, gönnerhaft mit seiner welchen-Joker-nehmen-wir-jetzt-am-besten-Beratung anzufangen, da unterbreche… Weiterlesen »

Marco
17 Jahre zuvor

>Und sagen wir es mal so: Seine Tochter und ich haben das auch hin und wieder >getan…

Das gefällt mir hier so: Die Dinge werden beim Namen genannt, aber trotzdem mit Stil !




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