Geschichten

Wo ist denn unser Opa? Skandal! Grab verschwunden

orgel

Die Leute kommen nicht einfach ins Bestattungshaus herein, sie stürmen es, als seien sie die Vorhut einer Streitmacht.
„Was hawwe Sie mit unserm Obba gemacht?“

Ich nenne diesen immer etwas breitmäulig und sehr weich vorgetragenen Dialekt der hiesigen eingeborenen Fischer und Tabakbauern ja die Haschu-Muschu-Kannschu-Sprache, weil ich jahrelang aus den oft sehr langen Reden dieser Leute immer nur die Silbenkakophonie Haschu, Muschu, Kannschu herausgehört habe.
Aber in diesem Fall ist es ja einfach, die Leute fragen nach dem Verbleib ihres Großvaters.
Und das ist ja auch an sich nichts Ungewöhnliches, denn so ein Großvater hat ja unzweifelhaft gewisse Vorteile, und sei es daß diese sich nur in der endmonatlichen Auszahlung einer haushaltskassenstärkenden Rente oder eines Pflegegeldes zeigt.
Jedoch kommen mir die Leute bei näherer Betrachtung nur entfernt bekannt vor. Sie sind auf keinen Fall in einen aktuellen Sterbefall involviert, aber irgendwie kenne ich die von früher.

Jetzt gibt’s ja mehrere Möglichkeiten. Entweder der „Obba“ lebt noch und ist weggelaufen. Das ist an sich ja nicht so schlimm, so lange die o.g. Zahlungen weiter eingehen und ansonsten bringt ihn früher oder später die Polizei wieder nach Hause.
Schlechter wäre es, wenn der Opa zu der Gruppe der bereits Verstorbenen gehörte und wir als Bestatter ihn irgendwie verlegt, verloren oder verschlampt hätten.
Aber dann wäre das ja ein aktueller Sterbefall und ich wüßte mit den Gesichtern der Leute etwas anzufangen.

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Als die Mutter den Mund aufmacht und mit einer ganz hohen Mädchenstimme, die gar nicht zu dieser etwas voluminösen Grauhaarigen paßt, herumkräht: „Also wann unser Vadda net sofort widda do is, dann is hier awwa was los, des sach isch Ihne“, sägt mir der Diskant beinahe das Rückenmark entzwei.
Sie droht mir also Ungemach und Harm an, wenn ich nicht sofort den Opa bzw. Vater wieder her schaffe.

Vorsichtshalber tue ich das, was alle Leute machen, wenn ihnen das Verschwinden anderer Leute mitgeteilt wird.
Ich frage: „Seit wann isser denn weg?“

„Hajo, seit heit! Vielleischt a schun seit äner Woch, mer gehe do ja net jeden Tag gugge.“

Also seit heute und vielleicht auch schon seit einer Woche, man geht ja nicht jeden Tag nachschauen. Hm, es scheint sich also um einen toten Opa zu handeln, also unterlasse ich den Hinweis, man solle sich beruhigen, der Verschwundene käme sicher innerhalb von 24 Stunden wieder.
Und da er auch schon eine Woche weg sein könnte, ist er bestimmt auch schon etwas länger tot. Ich habe es also mit einer Familie zu tun, die sicherlich irgendwann diesen Opa durch uns hat bestatten lassen und die ihn bzw. sein Grab nun vermissen.

„Also, das Grab ist weg, richtig?“ erkundige ich mich und die ganze Rotte nickt im Takt.

„Wo war denn das Grab?“

„Do hinne, so am Eck vun derre Reih‘, ah, des misse Sie doch wisse…“

Hinten am Eck von der Reihe… Nein, ich muß das nicht wissen und klinke mich unverzüglich gehirntechnisch aus der folgenden Wegbeschreibung aus.
Es ist eine tief verwurzelte, zwanghafte Eigenart der Hiesigen, jedem immer jeden Weg und jede Örtlichkeit zu erklären, wie sie es auch nicht unterlassen können, immer zu ergründen, wer alles mit wem verwandt ist.
Manchmal ist Letzteres aber auch ganz einfach und schnell geklärt, vor allem dann, wenn die Eltern Geschwister waren und der Stammbaum ein Kreis ist.

Ich fasse zusammen: „Also, letzte Woche waren Sie noch am Grab, da war es noch da. Heute sind sie wieder hin und da ist es weg.“

„Genau, der hot doch heit Gebortztach, der Obba.“

Der Friedhof ist nicht weit entfernt, ich gehe mit den Leuten hin und will mir die Sache mal vor Ort anschauen.
Ich kenne diese Fälle. Meistens sind die Leute einfach in einen falschen Weg abgebogen und haben vor einem falschen Grab bzw. an einer falschen Stelle gestanden.
Jedoch: In diesem Fall ist das anders.
Die Familie Brennheißer zeigt mir die Stelle, an der vorher noch das Grab gewesen sein soll und man sieht nichts. Es ist nur eine frisch eingeebnete Stelle zu sehen, keine steinerne Grabeinfassung, kein Grabstein, nichts.
Nebenan das Grab ist völlig verwildert, Blumen die aussehen wie fast mannshohe Kamille, haben das ganze Grab überwuchert.

Da ich faul bin, rufe ich den Friedhofsverwalter vom Handy aus an und bitte ihn zum Grab.
Der kommt und tut das, was er immer tut, wenn er auf menschliche Wesen trifft, er zieht die Nase hoch, daß es nur so gurgelt, wendet sich kurz ab, hält ein Nasenloch zu und bläst wie einst der weiße Wal einen Schwall Gesuppse nebenan in die Botanik. Dann kratzt er sich kurz mit der Linkem man-weiß-schon-wo und streckt einem die Rechte hin. „Tach auch!“

„Das Grab is‘ weg“, sage ich zu ihm und deute auf die eingeebnete Stelle.

„Jo, des hammer weg, war ein Schandfleck.“

Die Mutter mit der fisteligen Falsettstimme kreischt: „Ä Schandfleck? Sie hawwe se wohl net mehr alle, was? Des war gepflegt!“

„Grab Nummer 31 musste weg, wegen Schandfleck. Isch arbeit‘ auch nur wegen meine Anweisunge‘.“

Ich wende mal kurz ein: „Schauen Sie mal, das Grab da nebenan, das überwucherte, das zugewachsene, das ist das mit der Nummer 31. Das Grab, das hier jetzt fehlt, das muß dann die Nummer 30 gewesen sein.“

Der Friedhofsverwalter steht mit offenem Mund da, das waren zwei Informationen auf einmal und das ist vermutlich zuviel, das muß er seriell abarbeiten und das geht am besten, wenn man das Hirn von unten kühlt und den Mund aufstehen lässt.
Um Zeit zu gewinnen kratzt er sich wieder. Dann wischt er sich einen Tropfen vom Nasenloch und sagt: „Scheiße!“

Das sei ja alles kein Problem, den Grabstein und die Einfassung habe man ja noch, das mache er alles wieder hin, so wie es war, das merke man gar nicht, gleich am Nachmittag sei das erledigt, überhaupt kein Problem…

„Ach was sin’mer froh, des unser Obba wieder da is!“

„Der war ja gar nicht weg“, sage ich: „Der lag ja die ganze Zeit da unten, die haben ja nur den Stein und die Blümchen versehentlich weggemacht.“

„Ach, der lag do unne? Die gonze Zeit?“

„Ja sicher.“

„Die mache die Tote net weg, wenn’se so ä Grab wegmache?“

„Nein, die bleiben da, die sind dann auch weg.“

„Ach so. Nee, wisse Sie was? Donn lasse mer des so, wie’s jetzat is‘. Kä Stein wo wackelig werden kann und den man putze‘ muß, kää Blümsche wo man gieße muß, Hauptsache mer wisse, wo der Obba liegt.“

Dem Friedhofswärter ist es recht, dann bleibt das Grab also jetzt so wie es ist, die Familie hat dann keine Arbeit mit dem Grabstein und den Blumen und der sonstigen Grabpflege…

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