Geschichten

Ein ganz, ganz schlichter Mann

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

„Nee, also so’n Sarg brauchen wir ja gar nicht. Mein Vater soll ja verbrannt werden“, sagte der junge Mann, der mit seiner Frau gekommen war, um seinen Vater bestatten zu lassen.

Ich erklärte, ein Seufzen unterdrückend, warum man auf einen Sarg nicht verzichten kann. Das schien er aber gar nicht zu hören, zu verstehen und zu verinnerlichen.
Denn als wir zu den Urnen kamen sagte er:

„So einen Bembel brauchen wir auch nicht. Die Asche soll ja sowieso anonym beigesetzt werden, da reicht doch eine Schachtel aus Pappe.“

Werbung

Wieder erklärte ich, wie der Onkel aus der Sendung mit der Maus, warum man auf eine Urne oder doch wenigstens eine Aschenkapsel nicht verzichten kann.

Aber auch da hörte der Mann einfach nicht zu. Er marschierte weiter durch den Ausstellungsraum, blieb vor diesem und jenem stehen, sagte immer wieder kurz „brauchen wir nicht“ und geht weiter.
Nachdem er so wenigstens 40 Artikel nicht gebraucht hatte, stand er wieder vor mir und sagte:

„Na, das dürfte ja eine billige Sache für uns werden. Wir brauchen das ja alles nicht. Mein Vater war ein ganz schlichter Mann, wissen Sie, der hat das gar nicht gewollt, diesen kommerziellen Pomp, hat er immer abgelehnt. Ganz schlicht und einfach, hat er immer gesagt. Am liebsten würde er hinter der Hecke beim Pflaumenbusch verscharrt. Aber bloß kein Geld ausgeben, keine Musik, kein Trallala und kein Brimborium. Hat er immer gesagt.“

Wir begaben uns in den Beratungsraum, um die persönlichen Daten des Verstorbenen aufzunehmen. Normalerweise mache ich das als Erstes, aber der Mann hatte sofort die Särge sehen wollen, die er dann ja alle nicht brauchte, wie er meinte. Ich wollte es ihm anschließend noch einmal ganz genau erklären.
Ich schrieb mir die wichtigsten Daten auf, reichte beiläufig den Zettel durch die Tür an Frau Büser weiter, damit sie schon mal einen Beisetzungstermin machen konnte und Sekunden später summte das Telefon im Beratungsraum. Es mußte etwas Wichtiges sein, sonst würde die Bürodame nicht stören.
„Ich schicke Ihnen Sandy mit der Akte rein, der Mann hat hier bei uns eine Vorsorge“, hörte ich aus dem Telefonhörer.

Kurz darauf hielt ich den Ordner in der Hand und las mir die Wünsche des Verstorbenen durch. Von eine kleinen Trauerfeier und einer Feuerbestattung konnte gar nicht die Rede sein. Üppiger Blumenschmuck, ein Chor, ein Pastor, Eichensarg mit Schnitzung, ein großes Grab mit Deckelplatte und ein Grabstein im Reihenhausformat…

„Ja, wie jetzt? Der hat das ganze Geld verschleudert? Der war bestimmt schon unzurechnungsfähig. Kann ich das anfechten? Wann hat der das denn gemacht? Die letzten drei, vier Monate war der nämlich schon so komisch.“

Ich blätterte, schaute aufs Datum und sagte: „Vor fünf Jahren.“

„Dann ist ja wahrscheinlich gar nichts mehr auf dem Sparbuch!“

„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, aber die Bestattung ist komplett bezahlt.“

Der Sohn und seine Frau schauten sich, er kochte vor Wut und während die beiden miteinander flüsterten, kam mir die Erinnerung an seinen Vater wieder. Ja, er hatte bei mir die Vorsorge abgeschlossen, stimmte.
Und ich erinnerte mich an seine Worte…

Der Sohn unterbrach meine Gedanken: „Und warum macht man so was? Das ganze schöne Geld ist fort!“

„Ihr Vater hat gesagt, daß er das macht, damit er eine anständige Bestattung bekommt und nicht verscharrt wird wie ein Hund.“

Das weitere Gespräch verlief etwas kleinlaut von Seiten des Sohnes…

Der Vater hat seine Bestattung bekommen, so wie er sie sich vorgestellt hatte.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)