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Opa Kleiber V

Opa Kleiber kommt nicht mehr.
Der dicke Friedhofsverwalter hat nun direkt gegenüber vom Grab von Herrn Kleibers Frau eine Kompostbox aus Gitterdraht aufgestellt und immer wenn sich Opa Kleiber dort auf dem schmalen Weg auf seinen Stockstuhl setzte, war er anderen Friedhofsbesuchern im Weg.

Ob es das war oder die einsetzende kalte Jahreszeit, man weiß es nicht, jedenfalls kommt der alte Mann nicht mehr.

Darauf mal angesprochen, schnipst die Qualle grinsend die Asche von seiner Zigarre, steckt sich die wieder zwischen die feuchtglänzenden Lippen und nuschelt hinter dem Stumpen hervor: „Das geht doch nicht, daß hier die Alten den ganzen Tag herumhängen. Am Ende fallen die mir noch hin, brechen sich die Hüfte, dann kriegen die ’ne Lungenentzündung und dann sind’se weg.“

Ach nee, der macht das also aus lauter Fürsorge für die Alten? Das ich nicht lache!

Es hat ja nicht nur Opa Kleiber getroffen, auch andere regelmäßige Friedhofsbesucher kommen jetzt nur noch zu ganz kurzen Besuchen und fast hat man den Eindruck, als huschten die alten Leute mit eingezogenem Kopf über den Friedhof, nur daß sie ja nicht vom Friedhofsaufseher bemerkt werden.

Die Gießkannen hat der Dicke sowieso wegräumen lassen, das machen die jedes Jahr so, wenn wegen der Frostgefahr die Wasserleitungen abgestellt werden. Aber dieses Jahr hat er das ein paar Wochen früher als sonst machen lassen und auch sämtliche Bänke in den Schuppen bringen lassen. Die müßten über Winter mal gestrichen werden…

Der Verwalter scheint gegen Opa Kleiber persönlich gar nichts zu haben, ihm sind alle Friedhofsbesucher zuwider, weil die ihm Arbeit machen, seine Wege zertrampeln und ihn in seiner gemächlichen Ruhe stören.
Wie sagte mal ein Verkäufer hier im Kaufhaus: „Es könnte ein so schönes Arbeiten hier sein, wenn da nur nicht diese lästigen Kunden wären.“

Die Tage gingen vorüber, ich habe schon gar nicht mehr an Opa Kleiber gedacht, die Kälte sorgt auch bei uns dafür, daß wir uns nicht länger als notwendig draußen im Freien herumtreiben.
Manni und ich haben viel zu tun, über Nacht gefallener Schnee hat uns die zwei grünen Faltpavillons kaputt gemacht.

Ich dachte noch, hoffentlich halten die, wenn es schneit, aber es schnitt nur so möggelich und fisselig vor sich hin und das war ja auch der Grund, weshalb wir die Dinger aufbauten, damit die Leute bei der Beerdigung im Trockenen stehen; und da die Beerdigung ganz früh schon stattfinden sollte und wir zwei Beerdigungen auf verschiedenen Friedhöfen gleichzeitig abzuwickeln hatten, bauten wir eben auf dem Quallenfriedhof die Pavillons schon abends zuvor auf.
Das sieht die Qualle gar nicht gerne. Sein Vorgänger hatte uns auch schon mal das Aufstellen von Sonnendächern, Schirmen und Stühlen untersagt, dann aber hatten wir nach einer Beschwerde beim Amt Recht bekommen und durften das machen, solange wir keine Reklame aufstellten.
Na ja, es ist doch aber auch wirklich schöner, wenn die Trauergäste bei etwas schlechterem Wetter nicht eine Traube aus Regenschirmen bilden müssen und mit ihren Schuhen im lehmigen Matsch versinken.

Gut, das mit dem vorabendlichen Aufstellen war eine Fehlentscheidung meinerseits, denn alle hatten mich gewarnt, da die Schneewarnung aber von Ben Wettervogel kam, maß ich ihr -wie allem was der sagt- keinerlei Bedeutung bei, ich will meinen Kachelmann wiederhaben!

So konnten wir dann morgens alle ausrücken. Sandy und Nadine fuhren zu der anderen Beerdigung, Kondolenzbücher auslegen und Halle dekorieren und Manni und ich machten uns zum Quallenfriedhof auf, um die Zeltdächer zu bergen. „Euer Scheiß liegt im Dreck“, hatte die Qualle am Telefon nur kurz gesagt und man hörte, daß er dabei gegrinst hat.
Na wenigstens hat er uns Bescheid gesagt, zu ihm hätte es auch gepasst, wenn er uns voll hätte auflaufen lassen und wir mit dem Trauerzug, Sarg und Pfarrer nichtsahnend zu den zusammengebrochenen Pavillons gezogen wären.

Der Schaden ist nicht beträchtlich, die Pavillons kaufen wir jährlich im Dutzend und meist überstehen sie nicht mehr als eben dieses Jahr; sie kosten aber auch nicht viel und teurere würden uns mit Sicherheit irgendwann geklaut.

So konnten Manni und ich gerade noch ersatzweise zwei große Schirme aufbauen und waren trotz der Kälte nassgeschwitzt, als die Totenglocke zu läuten begann und anzeigte, daß jetzt die Trauergäste kommen. Eben noch den Schrott von den zwei Pavillons hinten in den Transporter und dann nichts wie weg!

Während wir uns im fast lautlosen Kriechgang über den breiten Westweg wegbewegen, sehe ich im Augenwinkel die Trauergesellschaft hinterm Sarg und irgendetwas stört mich an diesem flüchtigen visuellen Eindruck und ich schaue genauer hin. Tatsächlich! Direkt hinter dem Pastor läuft die Birnbaumer-Nüsselschweif in einem langen schwarzen Mantel und trägt unter dem Arm eine Mappe aus schwarzem Kunststoff mit einem großen eingeprägten goldenen Kreuz. Was soll das denn?

„Die ist jetzt Beauftragte für Trauer bei der Kirche“, verrät mir die dicke Qualle, leckt sich mit der Zunge über die Zähne und zeigt durch Heben und Senken seiner Schultern an, daß er auch nicht so genau weiß, was das zu bedeuten hat.
Was die denn so mache, erkundige ich mich und der Aufseher sagt: „Also so ganz genau weiß ich das auch nicht; die betreut eben so die Trauernden und macht mittwochs so ein Trauercafé im Gemeindekeller und geht bei allen Beerdigungen von der Gemeinde mit.“

Ach, Du meine Güte! Das hat mir gerade noch gefehlt. Bisher war die Birnbaumer-Nüsselschweif ja immer nur jemand, der sich vehement überall eingemischt hat, aber jetzt schwimmt sie irgendwie in unserem Teich und ich merke jetzt schon, wie das Wasser trüber wird.

Nun, was hat das Ganze mit Opa Kleiber zu tun?
Das kann ich Euch sagen!

Auf dem Hof unseres Hauses ziehen wir den beiden Pavillons, deren Gestänge gebrochen und hoffnungslos verbogen sind, die beiden Stoffdächer „über die Ohren“. Die Gemüsefrau hatte mich mal darum gebeten, ihr die Dächer von den nicht mehr benötigten Pavillons zu bringen, sie schneide da dann die Ecken auf und könne die gut gebrauchen um damit die Obst- und Gemüsekisten auf dem Hof abzudecken, oder sowas.

Ich fahre also etwas später bei der Gemüsefrau auf den Hof und schmeiße ihr das grüne Bündel in die Ecke, da kommt sie rausgestürmt und will den vermeintlichen Eierdieb tothauen. Anders kann man ihren Auftritt nicht interpretieren: Mit einer Salatgurke ungeheuren Ausmaßes in der Rechten und einem Pittermesser in der Linken stürmt sie auf den Hof und schreit: „Hände weg von meinen Eiern, Du Haderlump, Du elendiger Strauchdieb, Du Nichtsnutz, Du Tagedieb, Du Kapeike, Du Trickotracko, Du Drecksmensch!“

Ich hebe die Hände und rufe: „Ich bin’s doch bloß!“, erst da sieht sie davon ab, mir die Gurke in den Leib zu rammen und mir mit dem Gemüsemesserchen den Kopf abzuschneiden. „Mensch, Sie sind ja gefährlich“, sage ich zu ihr und sie guckt etwas verlegen und meint: „Ja, wenn Sie wüßten wie oft mir schon was vom Hof geklaut worden ist.“

Sie habe Tee in ihrer kleinen Gerümpelküche gekocht und ich solle doch mit reinkommen.
Der kleine Raum hinter dem Laden ist vollgestellt mit leeren Bananenkartons und Plastiksteigen voller Gemüse.
Während ich den gar nicht mal so schlechten Tee trinke und mich langsam aufwärme, rupft sie von irgendeiner kräuseligen Salatsorte die verwelkten Blätter ab und schneidet den angebräunten Strunk sauber ab.
Ja, so ein Kopf koste bei ihr sonst so an die 99 Cent und weil die schon nicht mehr so frisch aussähen, ließen die Kunden die links liegen und deshalb putze sie die jetzt, packe dann drei von den etwas kleineren Überbleibseln in eine Tüte und verkaufe sie für Dreifuffzich. Das seien dann Gourmet-Salatherzen und die würden von den feineren Leuten bevorzugt.

In einem Eimer schwimmen Zitronen. Ob die auch schrumpelig waren, frage ich und sie schüttelt den Kopf. „Nee, das sind ganz normale frische Zitronen, die wasch ich eben ab und dann kann ich die als Zitronen mit unbehandelter Schale verkaufen, brauchen die Leute jetzt viel.“
„Also nur durch Abwaschen werden die doppelt so teuer?“ erkundige ich mich und sie glotzt mich mit Kalbsaugen an, rechnet kurz und sagt: „Nee, dreimal…“

Ich wasche demnächst auch unsere Särge ab und verkaufe sie als Bio-Sarg!

Die Nussbaumer-Birnenschweiß, ja die sei ja jetzt ganz tüchtig unterwegs und falle bei allen Hinterbliebenen ihrer Konfession ein. Noch sei es ja so, daß viele erst den Arzt und dann den Pfarrer und erst dann den Bestatter anriefen und da klinke sich die Birnbaumer jetzt dazwischen.
Als ich das höre, ahne ich schon, daß da fürchterlich viel Ärger auf uns zukommt.

Die betreue auch die Frau Meisel, die Gertrud Schlicksupp und den alten Herrn Kleiber.
„Ach, gibt’s den noch?“ frage ich: „Wie geht’s dem denn?“

„Der, der liegt doch im Sterben, also manchmal wenigstens und der ist jetzt dement und die sagt, der soll jetzt ins Heim.“

„Was denn nun? Liegt der im Sterben oder muß der ins Heim?“

„Ja so genau weiß ich das auch nicht, ich kann Ihnen nur sagen, was die Birnbaumer mir erzählt hat. Ich hab die aber neulich wieder rausgeschmissen, weil die vor allen Kunden… stellen Sie sich das mal vor, VOR ALLEN KUNDEN, behauptet hat, ich würde die kleinen Flecken Hühnerkacke und die Federn auf die Bio-Eier selbst draufkleben, nur damit ich Fabrikeier teurer als Bio verkaufen kann. Frechheit sowas!“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 22. Februar 2014 | Peter Wilhelm 22. Februar 2014

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22 Kommentare
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Babs
13 Jahre zuvor

Genialer Schreibstil. Einfach toll.

Hamurger Jung
13 Jahre zuvor

„I have a bad feeling about this.“

Trixi
13 Jahre zuvor

Gibt es das im Bastelladen? Hühnerkacke und Federn Klebe-Set?

13 Jahre zuvor

Jetzt bin ich aber mal gespannt, wie er die Birnbaumer diesmal los wird.

Eigentlich war sie doch gebändigt. Und nun steht sie da, wie ein Phoenix aus der Asche. Schlimm wie eh und je.

So und nun geh ich meine Eier bekleben.

Bis bald.

Anita
13 Jahre zuvor

Abwaschen und dann als unbehandelt verkaufen? Da soll sich die Gemuesefrau bloss nicht erwischen lassen! Waer doch schade, wenn sie ihre Bude dicht machen muesste. Wo sollen sonst die Geruechte her kommen?

Techniker
13 Jahre zuvor

Frei nach „Karl der Kaefer:

Opa Kleiber wurde nicht gefragt,
man hatte ihn einfach fortgejagt

Wieso kann diese Qualle alten Menschen, die nur ein paar schoene Stunden verbringen moechten, dabei nicht noergeln und anderen Leuten das Leben madig machen (auch Quengelrentner genannt), nicht einfach ihren Frieden lassen? Dem wuensch ich ein einsamen dahinsiechen in einem staedt. Pflegeheim.

13 Jahre zuvor

Die Birnbaumer schon wieder ….
Gibts bei Opa Kleiber etwa auch was zu erben? 😉

13 Jahre zuvor

Kurz vom Cliff geholt und gleich wieder drangehangen 😉

Eben grad das leere Goldfischglas in der Ecke betrachtet.

Oliver
13 Jahre zuvor
13 Jahre zuvor

@Oliver

Gooiiieeel.
Weihnachten ist ja schließlich so rein kommerzmäßig schon fast vorbei, da muss man natürlich wetblickernderweise schon mal an Ostern denken. Da fielen mir dann noch die selbgeklöppelten Schokoeier ein, auch schön warm.

Smilla
13 Jahre zuvor

Beschäftigen wir doch die Nüsselschweif als Lausemädchen, dann haste den gewünschten Wetterfrosch vor Ort, dann ist die auch beschäftigt. 🙂

Christians Ex
13 Jahre zuvor

Bei der Erwähnung dachte ich grad: man kööönnte doch mal versuchen, ob man das nicht hindeichseln kann, das Schweifnüssel und die Qualle gegeneinander auszuspielen. Man treibt zwar den Teufel mit dem Beelzebub aus, aber so sind se wenigstens beide beschäftigt…

13 Jahre zuvor

Och neee, DIE wieder, das ist ja Qualle hoch 3 !

Super Konstellation für die Belange des Friedhofs und seiner Besucher.

Manuela
13 Jahre zuvor

Irgendwie warte ich noch immer auf den strafenden Blitz vom Himmel, der die Qualle, den Friedhofsleiter und die Rüsselschwein gleichzeitig zu Kunden von Tom macht. Aber leider scheint das nicht zu passieren… Und dass sich außerdem noch herausstellt, dass die Qualle die Pavillons demoliert hat.

turtle of doom
13 Jahre zuvor

@ kall:

Das Goldfischglas ist leer, weil sich Birrgit sich nicht mehr darum gekümmert hat.

Arme Viecher.

Norbert
13 Jahre zuvor

„Unbehandelte“ Zitronen sind keine Bioware und entgegen weitläufiger Annahme gespritzt. Sie sind nur nach(!) der Ernte nicht gegen Schimmelbefall konserviert worden.

Wer die Schale von „normalen“, gespritzen Zitronen mit Wasser und Spülmittel abschrubbt, hat möglicherweise tatsächlich eine weniger behandelte Schale vor sich als die von „unbehandelten“ Zitronen, die nicht gewaschen wurden.

Ich ziehe im Übrigen nach wie vor Bio vor.

der kleine Tierfreund
13 Jahre zuvor

…ich dachte,Zitronen sind immer „Bio“…
Gibt´s die schon künstlich…? 😉

Birnenschweif und Qualle verlieben sich und verleben ihre Rest-Tage auf Mallorca,wo sie Jürgen Drews den Haushalt führt,und er macht den Garten…So! Eine Plage weniger!
😉

Andrea
13 Jahre zuvor

Vielen Dank für die überfällige Fortsetzung 🙂

Sensenmann
13 Jahre zuvor

@der kleine Tierfreund: Ich hab auch grad gedacht, das Rüsselschwein und die Qualle würden ein perfektes Ehepaar ergeben 🙂 Ich möchte nur lieber nicht wissen, was bei der „Vereinigung“ der beiden rauskommt 😉

Aber bevor es soweit ist, hat man die Birnbaumer in ihrer Funktion als Trauertante erstmal bei jeder zweiten Beerdigung an der Backe. Schöne Aussichten.

13 Jahre zuvor

Diese Gemüsefrau is ja richtig kreativ. Wunderbar!

Anonym
13 Jahre zuvor

@ Christians Ex
Gegenvorschlag: wie wär’s, die Beiden zusammenzuführen
.. dann wären beide beschäftigt und gleichzeitig hätten sie ihre gerechte Strafe 😉

Tzosch
13 Jahre zuvor

Jetzt wird aber hoffentlich nicht aus taktischen Gründen die „Qualle“ ein Verbündeter. Obwohl, Krieg ist eine böse Sache. 🙂




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