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Werner

Das macht mich persönlich sehr betroffen. Werner ist im Krankenhaus und ihm geht es gar nicht gut. Werner ist seit vielen Jahren ein guter Freund von mir, ich habe ihn in einem Fotoverein kennengelernt und wir haben so manche Tour zusammen gemacht, um irgendwelche schönen Motive abzulichten.

Von Beruf ist er Polizist und arbeitet als Waffenmeister. Er repariert und wartet Waffen, muß oft auch als Sachverständiger zu seltenen und umgebauten Tatwaffen vor Gericht Stellung nehmen und ist im Grunde bei jedermann sehr beliebt. In seinem Büro hängt ein ehemals zwei Meter langes Maßband, von dem er jeden Tag einen Zentimeter abschneidet, noch 177 Tage, dann geht er in Rente. „Nee, ich gehe so früh in Pension, wie’s geht, ich will mit Edith noch Reisen machen, wir kaufen uns ein Wohnmobil und dann geht’s um die Welt. Davon haben wir immer geträumt“, hat er neulich erst zu mir gesagt.

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Vor 8 Tagen habe ich bei ihm angerufen, aber es war nur seine Frau Edith am Telefon, die mir sagte, Werner habe einen schweren Halskatarrh und sei wegen anhaltender Atem- und Schluckbeschwerden ins Krankenhaus gekommen. Gestern habe ich ihn dort besucht und fühlte mich hinterher hundeelend. Ich mußte erst mal eine halbe Stunde vor dem Krankenhaus auf einer Bank sitzen und mich beruhigen, so hat mich der Besuch bei Werner aufgewühlt.

Kurzgesagt: Man hat ihm den Kehlkopf entfernt. Krebs, bösartig und ziemlich weit fortgeschritten. Ich wußte nicht, was mich erwarten würde, hatte mit so etwas nicht gerechnet und habe vor allem noch nie erlebt, daß jemand so schnell „zusammenfallen“ kann. Werner ist nie dick gewesen, hatte aber von Natur aus immer so ein bißchen Babyspeck auf Wangen und Backen und wirkte immer gesund, rosig und wie das blühende Leben. Ich muß ja wohl gar nicht erst erwähnen, daß Werner niemals geraucht hat.
Gestern fand ich ihn als eingefallenen, ausgemergelten Mann vor, nur noch ein Schatten seiner selbst.
Einzig seine wasserblauen Augen leuchteten mich an, als er mich sah, dann kullerten dicke Tränen und er zeigte bloß mit der Hand auf seinen mit einem Tuch abgedeckten Hals und weinte noch mehr.
Ich konnte auch nichts sagen, hatte einen dicken Kloß im Hals und spürte, wie mein Verdauungstrakt auf Hochtouren lief. Sowas schlägt mir immer auf den Magen und seine Fortsätze…

Ich brauchte gar nichts fragen, wollte gar nichts erfahren, denn so wie Werner da lag und wie er mich anschaute, wußte ich, daß er bald sterben wird.

Eine magische Tafel hat man ihm gegeben und einen Plastikgriffel. Ohne Umschweife kam er sofort zur Sache und das Erste was er mir aufschrieb war: Erdbestattung! Waldfriedhof!
Und da wußte ich, daß ich mitschreiben und seine Anweisungen für seinen letzten Weg aufnehmen mußte.
Eine ganze Stunde lang schrieb und löschte er und ich notierte alles in meinen Kalender, dann hatten wir das Punkt für Punkt durch. Dann forderte er mit dem Zeigefinger den Kalender und meinen Kugelschreiber und schrieb unter meine Notizen: „Das ist mein letzter Wille“ und unterschrieb es so schwungvoll, wie ich es von ihm kannte.

Noch 15 Minuten durfte ich bleiben, saß neben ihm, hielt seine Hand und drehte mich immer wieder in Richtung Waschbecken, damit er nicht sieht, daß ich weinen mußte.

Ich hasse Montage!


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Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 29. Januar 2008 | Revision: 28. Mai 2012

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edge
16 Jahre zuvor

🙁

Bestimmt nicht schön einen Freund beerdigen zu müssen. Obwohl derjenige dann wenigstens Sicher sein kann nach seinem Ableben garantiert würdevoll behandelt zu werden…

Tobias
16 Jahre zuvor

@foo: so wie ich das verstanden habe, hat er auf dem kalender unterschrieben…

@tom: manchmal hab ich das gefühl, dass deine stories gar nicht so alt und zusammengestellt sind, wie du behauptest. gerade so eine geschichte macht tief betroffen und ich fände es ehrlich gesagt reichlich unfair, wenn sie nur ausgedacht wäre. aber bei all dem traurigen daran finde ich es persönlich doch irgendwie gut, dass werner quasi auf den letzten drücker noch die möglichkeit hat, alles zu regeln und sich und seine freunde/familie vorzubereiten. seit tod wird nicht plötzlich und unerwaret kommen. das hat auch etwas schönes (sicher das falsche wort, aber du/ihr versteht sicherlich, was ich meine).

Woodman
16 Jahre zuvor

Sche*ße 🙁 … Sorry.
Manchmal ist der da oben ziemlich ungerecht.

Gruss Woody

bambina
16 Jahre zuvor

*schnüff* Hat mal einer ein Taschentuch?

Foo
16 Jahre zuvor

Juristisch sinnvoller wäre es gewesen, wenn Werner statt auf der magischen Tafel selber auf Papier geschrieben hätte.

Ansonsten ist der arme Werner ein weiteres Beispiel dafür, wie ungerecht die Welt ist, da schließe ich mich Woody an.

Lurker
16 Jahre zuvor

Ich weiß nicht, ob ich den Text mißverstehe, aber Achtung:

Wenn das als „letzter Wille“ im Sinne von „Testament“ gemeint ist, dann ist das *NICHT* wirksam – das Testament muß eigenhändig geschrieben sein, nicht nur eigenhändig unterschrieben. Wenn es nicht mehr gehen sollte, muß der Notar ran… natürlich sind dererlei Formalitäten eigentlich fehl am Platze hier, aber vielleicht sollte man das wissen.

Rena
16 Jahre zuvor

Es ist nicht schlimm, wenn Du zu Werner oder seiner Frau nichts sagen kannst. In diesem Fall fehlen einem so oft die Worte. Gut ist es bestimmt für Werner, wenn Du ihm „zuhörst“. Oder auch einfach nur seine Hand hälst. Das ist für ihn, wie Du schon geschrieben hast mit seinen leuchtenden Augen, eine kleine Abwechslung im Klinikalltag. Ein „normaler“ Mensch, ein Freund, der für ihn da ist. Vl kannst Du doch noch den einen oder anderen Besuch „einbauen“. Egal, wie schwer es Dir fällt.

Warum sollte der Krebs nicht bei Nichtrauchern vorkommen? Es gibt auch Lungenkrebs bei Nichtrauchern. Auch wenn das keiner glaubt oder hören will

16 Jahre zuvor

Oh Gott, ich heule… 🙁

undertaker
16 Jahre zuvor

Das ist eine Frage, mit der sich auch schon Gerichte befasst haben. Im Zuge einer Bestattungsvorsorge regeln Menschen den Ablauf ihrer dereinstigen Bestattung. Das geht normalerweise so, daß der Bestatter diese Wünsche in Listenform aufnotiert und der Vosorgende dann eigenhändig etwas schreibt wie: „Dieser Vorsorgevertrag ist mein freier und letzter Wille“, das Ganze wird dann noch unterschrieben. Außerdem erhält der Bestatter eine diesbezügliche unterschriebene Vollmacht, die ausdrücklich über den Tod hinaus wirkt.

Mir ist kein Fall bekannt, in dem eine solche Verfügung vor Gericht keinen Bestand hatte.
Es werden aber auch keine Verfügungen über die Aufteilung des Erbes getroffen. Ein mit entsprechender Vollmacht ausgestatteter Bestatter wird ohnehin in Hinblick auf seine Rechnung noch vor Verteilung des Erbes bevorrechtigt aus dem Erbe befriedigt. So ist es wenigstens immer bei mir in der Praxis.
Ob das alles rechtlich tatsächlich so ist, kann ich nicht sagen. Ich denke aber, daß jeder Verträge schließen kann, die auch Wirkung über seinen Tod hinaus haben können ohne daß es gleich ein Testament sein muß, auch wenn ‚Letzter Wille‘ darübersteht.

Mountainking
16 Jahre zuvor

Werners „letzter Wille“ mag vielleicht juristisch nicht einwandfrei sein. Den Zweck, daß die Hinterbleibenden (noch sind sie ja nicht hinterblieben) wissen, was Werner will, erfüllt es aber auf alle Fälle. Der Undertaker schreibt ja öfter, daß die Familie keine blassen Schimmer hat, was der betreffende gewollt hätte.

Siggi
16 Jahre zuvor

Verträge können in fast jeder beliebiger Form geschlossen werden. Eine unterschriebene Aufstellung der Leistungspositionen ist wasserdicht. Nur bei einigen bestimmten, u.U. sehr wichtigen Verträgen wie Immobilienveräußerung oder eben auch das Testament ist eine bestimmte Form vorgeschrieben, um Manipulationen oder „über-den-Tisch-ziehen“ zu minimieren.

Siggi
16 Jahre zuvor

Verträge können in fast jeder beliebigen Form geschlossen werden. Eine unterschriebene Aufstellung der Leistungspositionen ist wasserdicht. Nur bei einigen bestimmten, u.U. sehr wichtigen Verträgen wie Immobilienveräußerung oder eben auch das Testament ist eine bestimmte Form vorgeschrieben, um Manipulationen oder „über-den-Tisch-ziehen“ zu minimieren.

Hoppi
16 Jahre zuvor

🙁

Das tut mir so leid für dich.

Asz
16 Jahre zuvor

M.E. reicht die eigenhändige Unterschrift unter ein Testament – mit Zeugen ist natürlich besser.
Aber für einen Bestattungsvorsorgevertrag gilt, wie für fast alle Verträge, eigenhändige Unterschrift reicht (es gibt keine Vorschriften für die Vertragsgestaltung – es würde auch ein mündlicher Vertrag reichen. Die Unterschrift ist nur Absicherung). Der Mann ist krank, nicht entmündigt.

@undertaker – ich finde die Vorstellung, einen Freund zu beerdigen einfach grauenhaft und wünsche Dir viel Kraft!

comicfreak
16 Jahre zuvor

..das klingt jetzt herzlos, aber wenigstens scheint es „schnell“ zu gehen.
Mein Schwiegervater ist über Monate hinweg langsam erstickt und elendiglich verreckt, weil die Ärzte immer neue Therapien ausprobiert haben:
„Sie wollen doch sicher noch 14 Tage – denken Sie an Ihre Enkel!“

16 Jahre zuvor

Scheiße… (sorry, aber das musste raus). Mein Mann qualmt ja leider und ich erzähl ihm immer dass ich Angst um ihn habe (dabei raucht er verhältnismäßig wenig, 1 Päckchen Tabak/Woche – aber auch das ist mir zu viel). Leider schafft er’s einfach nicht aufzuhören und kommt mir auch immer mit dem Argument, dass alle Krebs kriegen können ob nun mit oder ohne Nikotin und Teer in der Lunge. Am Sonntag ist mein Großonkel (Mann der Schwester meines Großvaters) gestorben. Auch sehr plötzlich „nach kurzer schwerer Krankheit“ wie man so sagt. Letzten Dienstag mit Bauschmerzen ins Krankenhaus, Diagnose: Aorta porös, nichts zu machen und nur noch zum Sterben da behalten. Andererseits war’s vielleicht ganz gut, er war ja nicht mehr so jung (weit über 80) und hatte gerade vor 6 Monaten die Diagnose Alzheimer bekommen. Vielleicht war’s gut, dass das nicht so weit fortschreiten konnte – wäre vielleicht schlimmer gewesen… Jetzt sitz ich hier und kämpfe mit der Beileidskarte für meine Großtante. Es war schon schwer genug, eine zu finden, die nicht kitschig ist. Mir fällt… Weiterlesen »

Lobo
16 Jahre zuvor

Au mann 🙁
Ich muss mich grad mächtig zusammenreissen, das ich nicht losheule… 🙁

Anna-Lena
16 Jahre zuvor

Oh je. *Tränewegblinzel*

So was ist hart. Ich wünsche Dir viel Kraft.
In unserem Bekanntenkreis wird bis Ende Februar auch die letzte (4.) Person für dieses Jahr an Krebs sterben. Der Januar ist noch nicht zu Ende und schon drei zu Grabe getragen… Mein Onkel wird das nächste Weihnachten wohl auch nicht mehr erleben… Kein all zu schöner Jahresbeginn…

Jemand, der sich
16 Jahre zuvor

Mir wird ganz anders …Das erinnert einen mal wieder, wie elend schnell das Leben vorbei sein kann. Schön, dass er noch die Möglichkeit bekam, seinen letzten Willen in Worte zu fassen.

Kiya
16 Jahre zuvor

Mein aufrichtigstes Beileid für dich Untertaker. Ich wünsch dir viel Kraft für diese Aufgabe 🙁

antagonistin
16 Jahre zuvor

Alles Liebe für Dich, Tom. Und viel Kraft…

16 Jahre zuvor

oh je, ich hab dolle gaensehaut!
komisch, dass immer die guten menschen mit sowas zu kaempfen haben.
ich wuensche dem werner und dir und allen involvierten viel kraft. haltet durch!

Mel
16 Jahre zuvor

Meinen Vorschreibern schließe ich mich an… *snief*

Tanja
16 Jahre zuvor

🙁

16 Jahre zuvor

Shit. Ich kann es gut verstehen, das Du nicht reden konntest. Aber ich denke das ist auch nicht immer nötig, einfach da sein, die Hand halten und zeigen das man ein wahrer Freund ist, der auch in schlechten Zeit Präsenz zeigt, das ist es doch worauf es ankommt. Und Werner weiß sich nach seinem Ableben bei Dir und Deinen Angestellten in guten und sicheren Händen.

16 Jahre zuvor

Sehr rührende Geschichte!
Krebs ist eine beschissene Krankheit! Meine Oma ist im November an Krebs gestorben. 3 Jahre hatte sie mit dieser Krankheit gelebt! Chemo nach Chemo!

Die letzte war die schlimmste, da sie nur noch von Schläuchen am Leben gehalten wurde! Eines Abends ist sie dann friedlich entschlafen!

16 Jahre zuvor

Auweia, auch wenn Du sonst mit solchen Dingen sehr gut umgehen kannst – wenn es einen guten Freund trifft, steht man hilflos daneben. Ich wünsche Dir, Werner und seiner Familie viel Kraft, die kommende Zeit zu überstehen.

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Schön ist es, solange es noch geht, und das Wetter es zuläßt in den Garten zu gehen.
Einen Rollstuhl bekommt man von der Schwester, vielleicht ist ein Park in der Nähe? Das lenkt beim Schweigen ab.
Erinnerungen aufleben lassen
(weißt Du noch?).

isidor
16 Jahre zuvor

@asz: $2247 BGB Testament muss eigenhändig geschrieben und unterschrieben sein. (oder vor dem Notar) Anderes gilt nur für Nottestamente. Ein Nottestament liegt aber nicht vor – wer einen Bestatter bestellen kann, kann auch einen Notar holen.

Imelda
16 Jahre zuvor

@Jemand: Nur liegt hier gar kein Testament vor und der Betroffene hat sich auch keinen Bestatter bestellt, sondern wurde von einem Freund der Bestatter ist im Krankenhaus aka am Sterbebett besucht.

Imelda
16 Jahre zuvor

Sorry: nict @jemand sondern @Isidor




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