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Neunzehnhundertsechsundsechzig II

Die beiden Frauen sind Cousinen, die eine, Susanne, war mit dem verstorbenen David verheiratet, die andere ist Susannes Vaterschwesterkind Beate. Die beiden haben David gepflegt und im Sterben begleitet, das hat sie sehr mitgenommen und man kann kurz sagen, daß sie fix und fertig sind, körperlich und seelisch.

Das Sterben des Mannes, der Verlauf seiner Krankheit, alles das hat Eindrücke bei den Frauen hinterlassen, die sie teilen müssen. Sie haben lange mit einem Diakon gesprochen, Beate hat bei der Telefonseelsorge angerufen, so stark ist ihr Verlangen, das Erlebte zu erzählen.

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Susanne und David sind vor sechs Jahren in die Vereinigten Staaten ausgewandert. David war gelernter Metzger, Susanne Bäckereifachverkäuferin. Einfach sei der Anfang in der Nähe von Indianapolis nicht gewesen, aber nach zwei Jahren hatten sie es geschafft und einen kleinen Laden zum Laufen gebracht, in dem sie deutsche Bratwürste mit Sauerkraut, importiertes deutsches Flaschenbier und deutsches Graubrot verkauften.

Anfangs seien die Leute aus Höflichkeit und Neugierde gekommen, das sei dort so. Wenn jemand in der kleinen Stadt einen neuen Laden aufmacht, dann geht man schon aus mehr oberflächlicher Höflichkeit da hin, wünscht den frischgebackenen Ladeninhabern alles Gute, ja und dann lässt man sich oft nie wieder blicken.
Vor diesem Effekt hatten sie andere gewarnt aber David war von seiner Idee überzeugt; und was soll man sagen? Tatsächlich wurden vor allem seine „Nürnberger“ zu einem absoluten Renner. Die Leute kauften, kauften, kauften.
Während der Woche öffnete man um Punkt 11 Uhr den Laden und von da bis zum Ladenschluß um 20 Uhr standen permanent Leute bis weit vor den Laden Schlange. Vor allem samstags muß soviel los gewesen sein, daß man nicht nur über die Ladentheke sondern auch aus zwei Fenstern heraus verkaufen mußte.
Fleischkäse, Knackwürstchen und Brötchen rundeten bald schon das Angebot ab und Susanne und David konnten es nicht fassen. Ihre Idee war zu einem Erfolg geworden und mit ihren Wurst- und Backwaren hatten sie genau den Geschmack der Kunden getroffen. Im Umkreis von 125 Meilen gab es kein vergleichbares Angebot.

Man hört solche Geschichten nicht oft, die meisten Auswanderer von denen ich gehört habe, sind gescheitert, aber vielleicht liegt das auch an den jeweiligen Leuten. Wer hier nichts taugt, bringt es drüben erst recht zu nichts.
Egal was für Vorurteile manche über die USA haben mögen, aber es ist dort eben immer noch möglich mit einer guten Idee und einer großen Portion an Fleiß etwas zu erreichen. Das Geld liegt dort immer noch förmlich auf der Straße, man muß sich nur bücken und viel tiefer bücken als hier bei uns. Wer aber hier schon zum Bücken zu faul war…

Ich freue mich normalerweise, wenn ich solche Erfolgsgeschichten höre, aber wir kennen alle den Ausgang der Geschichte, David ist tot.

Im Laufe der Jahre hatte sich das Unternehmen von Susanne und David so gut entwickelt, daß man sogar noch ein Restaurant und einen Partyservice eröffnete. David muß gearbeitet haben wie ein Wilder. Deshalb dachte Susanne auch zunächst er sei nur überarbeitet und ausgelaugt, als sie feststellte, daß ihr Mann immer mehr abnahm und grau und kränklich aussah.
Irgendwann, nach langem Quengeln seiner Frau, war David dann schließlich doch mal bei einem Arzt gewesen, es folgte eine Untersuchung im Krankenhaus und was man feststellte war ein stark metastasierender Blasenkrebs.

„In Amerika! Stellen Sie sich vor, in Amerika! Da denkt man die Amerikaner sind so weit in der Medizin, die können viel mehr als die Deutschen und dann sagt mir dieser Arzt direkt ins Gesicht, ich solle meinen Mann mit nach Hause nehmen, ihm noch eine schöne Zeit bereiten und mich darauf einrichten, daß er Weihnachten nicht mehr erlebt. Das war im August letzten Jahres“, sagt Susanne zu mir und ihre Cousine legt ihre Hand auf ihren Arm.

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