Menschen

Würdevoll sterben

engel

Selbst wenn es sonst keine Überschneidungen bei den Wünschen zum eigenen Sterben gibt: Würdevoll sterben möchte wohl jeder. Bloß, was das heißt, das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wenn man nichts mehr machen kann, Windeln braucht, sabbernd im Bett liegt, ist das dann würdelos? Ich finde: Nein, ist es nicht. Würde hat vor allem mit dem zu tun, wie jemand behandelt wird. Und auch, was er sich selbst an Würde zugesteht.

Vor einigen Jahren besuchte ich eine ältere Verwandte in einem Krankenhaus. Ich hatte sie in den Jahren vorher nicht oft gesehen, sie wohnte weit weg von mir. Sie war dement und lebte schon seit Jahren in einem Pflegeheim, musste nun aber wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus. Ich konnte mir die Zeit nehmen und die Fahrt mit einem anderen Termin verbinden, um sie zu besuchen. Sie erkannte mich nicht wirklich, glaube ich. Sie war verwirrt und hörte schlecht, konnte sich in der neuen Umgebung nur schwer orientieren und war einfach froh, dass jemand da war. Aber als ich bei ihr am Bett in ihrem Viererzimmer saß, hatte sie ein großes Problem: Sie musste mal. Nun wusste ich, dass sie ohnehin seit Jahren Inkontinenzhosen trug und seit einer Weile gar nicht mehr auf der Toilette sitzen konnte. Es war ihr sichtlich unangenehm.

„Kein Problem“, sagte ich, „mach einfach, ich sage dann der Pflege Bescheid, dass sie deine Einlagen wechseln.“
Ich ließ sie ein paar Minuten allein, damit sie sich nicht beobachtet fühlte. Als ich zurückkam, wirkte sie einerseits erleichtert, fühlte sich aber andererseits in ihrer vollen Windel sehr unwohl. Kein Wunder. Ich sagte also wie versprochen in der Pflege Bescheid und zwei unmotivierte Pfleger ließen sich überreden, sich darum zu kümmern. Sie traten ans Bett, rissen ihr ohne Vorwarnung die Decke weg und prüften mit einem beherzten Griff, ob die Windel wirklich voll war. Als ich sie bat, sie doch wenigstens vorher anzusprechen, meinte einer: „Die versteht das eh nicht.“ Nach dem Windelwechsel lag meine Verwandte leise weinend im Bett. DAS, liebe Leser, war würdelos für sie.

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So ist das zum Glück nur selten, das war in meiner Erfahrung ein unschöner Einzelfall. Viel häufiger sehe ich Pflegekräfte, die sich sehr darum bemühen, die Würde der Bewohner zu bewahren. Die sie auf Augenhöhe ansprechen. Ernst nehmen. Ihre Wünsche berücksichtigen und ihre Bedürfnisse wahrnehmen. Die sich einfacher ausdrücken oder Dinge mehrfach wiederholen, wenn jemand sie nicht versteht. Die die Bewohner vorwarnen, wenn sie sie anfassen müssen, und erklären, was sie jetzt tun werden. Die sich Zeit nehmen, soweit das eben möglich ist. Die diskret sind bei der Körperpflege und das Gefühl vermitteln, dass sie auch diesen Teil der Arbeit gerne für die Bewohner tun. Das ist ein würdevoller Umgang.

Niemand verliert seine Würde, weil er oder sie etwas nicht mehr kann. Wir von außen sind es, die Alten, Kranken und Sterbenden respektvoll begegnen können und müssen. Damit helfen wir ihnen, ihre eigene unzerstörbare Würde zu spüren, egal ob sie einen Anzug tragen oder einen Sabberlatz.

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