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Andere Sitten

Ich hab ja nix gegen Muslime. Hätte ich irgendwelche Vorbehalte oder Bedenken, hätte ich diesen Praktikanten gar nicht genommen. Sein Name ist Khalid Rufad-Ali, sein Vater Pakistani, die Mutter Deutsche. Khalid macht ein Zusatzjahr im Berufsbildungswerk und muß sechs Monate Praktikum in einer Firma nachweisen.

Das Fortbildungswerk zahlt die Hälfte des Praktikantengeldes und in der Buchhaltung und im Archiv können wir gut noch jemanden gebrauchen. Groß ist er, sieht gut aus, ist ruhig, ach, den können wir auch mal bei Bestattungen ans Kondolenzpult stellen oder sonstwo einsetzen, wo er nichts mit den Verstorbenen zu tun hat.

Mittwoch:
Khalid stellt sich vor. Macht einen guten Eindruck, auch meine Frau meint, dass der ganz gut wäre.

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Donnerstag:
Wir rufen ihn an, er könne Montag anfangen, Khalid freut sich. Also Tschüß bis Montag um Acht.

Montag:
Nix. Es ist Acht, kein Khalid, es ist Neun, kein Khalid. Ich lasse da mal anrufen.
„Was? Das ist schon heute? Ich dachte, Sie rufen mich nochmal an! Ich komme dann morgen, okay?“
„Nein, heute und zwar hopp, hopp!“

Es ist 14 Uhr und Khalid kommt. „T’schuldigung!“

Dienstag:
Khalid kommt statt um Acht erst um Zwanzig nach Acht. Das mit dem Bus müsse er noch „auspeilen“.
Er soll einen Stapel Belege nach Datum sortieren und Datum und Betrag in ein Programm eintippen. Das macht Frau Büser sonst so zwischen Tasche hinstellen und Kaffee holen.
Nach zwei Stunden hat Khalid drei Belege eingetippt.

Mittwoch:
Frau Büser kommt zu mir: „Khalid ist weg!“
„Wie weg?“
„Na verschwunden.“
„Und wohin?“
„Keine Ahnung.“
Suchaktion. Alle Mann suchen Khalid, nicht dass der sich zum Pennen in einen leeren Sarg gelegt hat und versehentlich im Krematorium landet!
Nach kurzer Zeit wird er gefunden, er ist seit einer Stunde auf dem Klo und weigert sich wieder rauszukommen.

Ich gehe da selbst hin: „Hey, komm doch mal raus, oder ist irgendwas nicht in Ordnung?“
„Ich komm hier nicht raus.“
„Kannst Du nicht oder willst Du nicht?“
„Ich will nicht!“
„Gibt es irgendein Problem?“
„Sag ich nicht!“
„Soll ich mal reinkommen?“
„Bloß nicht!“
„Was können wir denn tun, damit Du da wieder rauskommst, schließlich wollen auch andere mal aufs Klo und vor allem ist das hier die Damentoilette und unsere Mädchen werden schon ganz nervös.“
„Sind da viele da draußen?“
Ich schaue mich um, die halbe Bürobelegschaft steht hinter mir. Ich gucke mal ein bißchen böse und mache so eine „Weg, weg!“ Handbewegung, die anderen verziehen sich. Ich sage: „Nee, ich bin ganz alleine.“
„Wirklich keiner mehr da?“
„Ganz bestimmt.“
„Okay, ich mach jetzt auf.“
Ich höre, wie er aufschließt, aber er kommt nicht raus. Ich warte noch ein bißchen.
„Kann ich reinkommen.“
„Ja, aber nicht lachen!“
„Bestimmt nicht!“ Ich mache die Tür auf und gehe hinein.

Khalid ist naß und zwar von oben bis unten, das Hemd, die Hose vor allem im Schritt. Was denn passiert sei, will ich wissen. Er habe nur beten wollen und zu diesem Zwecke habe er sich vorher reinigen wollen und dabei wegen der Enge des Raumes einen Teil seiner Sachen abgelegt und zwar auf die Ablage unter dem Spiegel. Während er dann gebetet habe, sei das Kleiderbündel in das gefüllte Waschbecken gefallen.
Frau Büser hat ihn dann trockengefönt, nachdem wir ihm hoch und heilig versprochen haben, nichts von seinem Mißgeschick zu erzählen.

Donnerstag:
Khalids Mutter ruft an. Ihr Sohn bräuchte mal einen Tag Pause, das sei ja alles etwas viel für ihn. Sie könne natürlich auch ein Attest bringen, aber so wie sie ihren pakistanischen Arzt kenne, schreibe der Khalid gleich wieder für eine Woche krank.
Gut, also soll er Freitag wieder kommen, sage ich. Nein! Freitag geht ja wohl gar nicht, dieser Tag sei aus religiösen Gründen überhaupt gar nicht zum Arbeiten geeignet.
Ich bin ja tolerant, bin aber der Meinung, daß es allmählich genug ist und beharre darauf, daß Khalid am Freitag zu erscheinen hat und zwar pünktlich.

Freitag:
Khalid wird von seinem Vater mit dem Auto gebracht, sein Sohnemann habe das mit dem Bus noch nicht so ganz ‚raus. Das ist ja gut und schön, bloß ist es zu diesem Zeitpunkt bereits Zehn vor Neun und Khalid hätte um Acht da sein müssen.
Der macht sich sogleich an die Arbeit, Belege eintippen. Allerdings hat erschon wieder vergessen, wie das genau geht. Frau Büser zeigt es ihm: Links in das Feld das Datum, rechts in das Feld den Betrag.
Um Zehn sucht Frau Büser mal wieder ihren Khalid. Ich sage nur: „Damenklo!“
„Nein, da isser nicht, da war’n wer schon.“
Erneute Suchaktion. Khalid wird im Lager gefunden. In einer hinterwinkeligen Ecke hat er eine Decke ausgebreitet und kocht auf einem mitgebrachten Campingkocher Maisbrei. Ich frage ihn, was er denn da mache. Antwort: „Na, Maisbrei kochen.“
„Während der Arbeitszeit?“
„Wieso, habe ich denn heute keine Pause?“
„Schon, aber erst nach Zwölf.“
„Bis dahin bin ich gerade mit dem Kochen fertig, ich hab da nämlich noch mehr“, sagt Khalid und deutet auf eine Plastiktüte neben sich.
„Feuer ausmachen, Zeug abbauen, zu mir ins Büro kommen!“

Khalid kommt wie ein geprügelter Hund zu mir ins Büro.
Ich erzähle ihm was von Pünktlichkeit, Arbeitsmoral, Fleiß, er sinkt immer mehr in sich zusammen. Was er sich denn vorstelle, wie er meint, daß es mit ihm weitergehe, was das alle soll, frage ich. Khalid holt tief Luft, baut sich zu voller Größe auf und sagt, schließlich sei er Muslim und habe bestimmte Gebets- und Speisevorschriften. Außerdem habe er bei der Einstellung gefragt, ob er beten dürfe. Ja sicher, sage ich, das sei ja auch in Ordnung, aber ich hätte mir darunter vorgestellt, daß er sich mehrmals am Tage für einen kurzen Zeitraum zurückziehe und dann wieder weiterarbeite, ich habe mir das keinesfalls so vorgestellt, daß er quasi den ganzen Tag mit der Verrichtung religiös bedingter Rituale befasst sei und nur zwischendurch gelegentlich mal etwas arbeite.
Er wolle sich bessern, ab Montag wird bestimmt alles besser, aber jetzt wolle er seinen Brei fertigkochen, da mache er dann Klöße draus, die in einer Hühnersuppe gar ziehen müssten, die Suppe habe er in einer Tupperdose dabei.
Langsam frage ich mich, ob der spinnt.
Hart bleiben! „Nix da, jetzt wird gearbeitet, nach Zwölf kannst Du meinetwegen kochen und essen, aber jetzt wird gearbeitet.“
Wie ein begossener Pudel zieht Khalid ab.

Abends ruft mich seine Mutter an. So gehe das aber nicht. Ihr Sohn habe ja den ganzen Tag nichts gegessen.
Das sei doch nicht mein Problem, erwidere ich, denn ich gehe jeden Tag mit allen Mitarbeitern in ein nahegelegenes Lokal und da gäbe es Schnitzel, Würste und alles was das Herz begehrt.
Ja, das sei ja gut und schön, aber dieses Essen sei ja nicht ‚halal‘ also nicht rein und das könne ihr strenggläubiger Sohn nicht essen und deshalb gehe der da ja auch nie mit.
Ich sage ihr, dass es mir wirklich absolut egal ist, was der junge Mann esse, meinetwegen koscher, halal oder linksdrehend geschlachtet, Hauptsache, er ißt das während der Pausen. Um noch eins draufzusetzen lasse ich mich dazu hinreißen, zu sagen: „Nachher bringt der noch eine Ziege mit und will die bei uns im Lager schächten und grillen!“
Khalids Mutter legt auf. Peng.

Montag:
Ich finde einen Brief vor. Khalid fühle sich religiös diskriminiert, er komme nicht mehr.

Frau Büser sagt: „Mein Gott! Wer schafft denn jetzt die ganze Arbeit!“

Da hat sie Recht!

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