Sterben + Trauer

 Angst vor dem Sterben: Wie Leid gelindert werden kann (und ein Aber dazu)

„Ich habe eigentlich keine Angst vor dem Tod, aber vor dem Sterben!“ Diesen Satz habe ich in verschiedenen Varianten schon öfter gehört. Die Angst vor Schmerzen, Ersticken, langem Leiden, die ist für viele Menschen sehr präsent, wenn es um das Thema Tod geht. Und ja: Sterben ist oft kein Zuckerschlecken, da braucht man nichts beschönigen. Aber es gibt inzwischen sehr viele Möglichkeiten der Palliativmedizin, Leiden zu lindern und ein friedliches Sterben zu ermöglichen.

Schmerzen, Angst und Co: Woran Sterbende leiden

Sterben ist individuell und niemand kann vorher genau sagen, wie es ablaufen wird. Manchmal ist es schnell und leicht, manchmal mühsam und qualvoll, sehr häufig etwas dazwischen. Wie friedvoll oder schwierig das Sterben abläuft, hängt unter anderem von der Erkrankung ab, die zum Tod führt. Bei Menschen, die an Altersschwäche sterben, ist es oft leichter. Bei schweren Krankheiten kann das anders sein. Gerade Krebspatient*innen leiden in ihrer letzten Lebensphase oft unter starken Schmerzen. Aber auch andere  Probleme können in der letzten Lebensphase auftreten: Manche Menschen leiden unter Atemnot und dem qualvollen Gefühl zu ersticken. Andere sind sehr unruhig und haben mit Angstzuständen, Verwirrung, Halluzinationen oder Depressionen zu kämpfen. Wieder andere müssen sich mit massiver Übelkeit und Erbrechen plagen. Die Vorstellung der meisten Menschen vom Sterben ist eng mit Schmerzen und Leiden verbunden. Und manchmal ist das auch so. Kein Wunder, dass viele Menschen genau davor furchtbare Angst haben. Aber: Ein guter Teil der Angst ist unbegründet!

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Warum du keine Angst vor einem qualvollen Tod haben musst:

Zunächst einmal: Ein großer Teil der Sterbeprozesse verläuft friedlich und ohne quälende Symptome. Längst nicht jeder Tod ist qualvoll, viele sind einfach unkompliziert. Es ist also längst nicht gesagt, dass du oder deine Zugehörigen überhaupt unter schlimmen Symptomen leiden werden.

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Und wenn doch? Dann hat die Palliativmedizin eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um Schmerzen und andere Probleme zu lindern:

  • Da ist zunächst einmal Morphin zur Behandlung von Schmerzen. Diesem Thema werde ich demnächst einen eigenen Text widmen, zunächst aber so viel: Es gibt viele längst überholte Vorurteile über Morphin und andere Opioide. Zum Beispiel, dass damit der Tod beschleunigt würde und es deshalb ethisch nicht vertretbar sei, zu viel zu geben. Oder dass es eine Höchstdosis gäbe, die nicht überschritten werden darf. Der Palliativmediziner und Buchautor Gian Domenico Borasio schreibt dazu in seinem sehr guten Buch „Über das Sterben“ (Affiliate-Link) auf Seite 69: „Die bei manchen Ärzten vorhandenen Befürchtungen, dass die Gabe von Morphin oder verwandter Medikamente (sogenannter Opioide) bei Schwerstkranken eine Sucht auslösen oder den Tod beschleunigen könnte, sind längst von der Wissenschaft widerlegt und dürfen heute kein Grund mehr sein, Patienten eine wirksame Therapie vorzuenthalten.“ Auf Seite 71 heißt es: „Durch die Kombination aller vorhandenen Möglichkeiten lässt sich heute bei fast allen Patienten eine zufriedenstellende Schmerzlinderung erreichen. Dass dabei die Schmerzen gänzlich verschwinden, ist nicht zu erwarten, wohl aber, dass sie so gemildert werden, dass die Patienten sie als erträglich empfinden und sich davon in ihrer Lebensqualität nicht mehr wesentlich beeinträchtigt fühlen“.
  • Auch zur Behandlung von Atemnot, Angstzuständen und Übelkeit gibt es sehr gute Medikamente. (Bei der Atemnot ist es interessanterweise übrigens wieder das Morphin, das sehr gute Ergebnisse bringen kann.) Und auch hier gilt: In den allermeisten Fällen gelingt es, die Symptome auf ein Maß zu bringen, das gut erträglich ist.
  • Manchmal sind es gar nicht Medikamente, die die Symptome lindern können, sondern andere Aspekte der Palliativmedizin und Sterbebegleitung: Zuwendung, Gespräche, Mitgefühl, Begleitung, Handhalten und vieles mehr. Was erst einmal banal klingt, kann am Ende tatsächlich den Unterschied machen zwischen einem friedlichen und qualvollen Sterben: Angst verstärkt Atemnot, Atemnot verstärkt Angst, beide verstärken Schmerzen. Kann man diesen Teufelskreis durch Aufmerksamkeit, gutes Zuhören und kreative Lösungsansätze durchbrechen, ist oft schon alles leichter.

Notfallplan: die palliative Sedierung

In den allermeisten Fällen gelingt es, die quälenden Symptome mindestens auf ein Maß zu bringen, das die Patient*innen und ihre Zugehörigen als gut aushaltbar empfinden. Aber es gibt auch Fälle, bei denen es einfach nicht gelingt, zum Beispiel die Schmerzen in den Griff zu bekommen. Dann bleibt noch ein weiteres Mittel, damit niemand unter Qualen sterben muss: die palliative Sedierung. Dabei werden die Patient*innen in einen narkoseähnlichen Zustand versetzt, in dem sie keine Schmerzen oder anderen Leiden spüren müssen. Die palliative Sedierung kann jederzeit wieder aufgehoben werden. Auf diese Weise ist es möglich, Zeiten zu schaffen, in denen die*der Sterbende wach genug ist, um mit seinen Zugehörigen zu sprechen und Zeit zu verbringen. Wenn die Schmerzen wieder zu stark werden, kann dann die Sedierung wieder hergestellt werden. Manchmal kann eine palliative Sedierung sogar direkt dazu beitragen, schwere Symptome zum Verschwinden zu bringen. Das ist zum Beispiel bei Deliriumsphasen manchmal der Fall. Wenn diese anders nicht in den Griff zu bringen sind und für die*den Sterbenden eine große Belastung darstellen, kann die palliative Sedierung ein guter Ausweg sein. Nach einiger Zeit kann der künstliche Schlaf reduziert werden, um zu sehen, ob die Symptome noch vorhanden sind. Manchmal verschwinden sie auf diese Weise und treten auch für lange Zeit nicht mehr auf.

Wichtig zu wissen:

  • Natürlich kann eine palliative Sedierung nur nach ausführlicher Aufklärung und Einwilligung der*des Patient*in und/oder der Vertreter*innen durchgeführt werden. Niemand MUSS sich in diesen künstlichen Schlaf versetzen lassen, aber die Möglichkeit besteht, wenn nichts anderes mehr geht.
  • Die Medikamente werden immer nur so stark dosiert, wie es zur Leidenslinderung notwendig ist. Manchmal genügt es, das Bewusstsein ein wenig einzutrüben. Manchmal ist ein Tiefschlaf erforderlich.
  • Und: Die palliative Sedierung verkürzt das Leben nicht, sondern kann es womöglich sogar ein wenig verlängern. Es handelt sich also nicht um eine Form der Sterbehilfe.

Für viele Menschen ist es beruhigend zu wissen, dass sie keine schlimmen Schmerzen aushalten müssen, falls diese unerträglich werden. Wenn die Symptome nicht anders in den Griff zu bekommen sind (was, wie gesagt, gar nicht so häufig der Fall ist), bleibt als letzte Möglichkeit immer noch die Sedierung, um einen friedlichen Tod zu ermöglichen.

Wer zu diesem Thema weiterlesen möchte, kann das zum Beispiel hier tun: „Die palliative Sedierung – Was der Hausarzt wissen sollte“

Palliative Begleitung ist auch zu Hause möglich!

Falls dir all das nach „zu viel Krankenhaus“ klang, täuschst du dich: Auch zu Hause sind so gut wie alle palliativmedizinischen Maßnahmen möglich. Das übernimmt dann die sogenannte SAPV, die „spezialisierte ambulante Palliativversorgung“. Dabei handelt es sich um Teams von Palliativärzt*innen und -pflegekräften, die rund um die Uhr erreichbar sind und bei der Symptomkontrolle und anderen Problemen helfen können. Selbst eine palliative Sedierung ist zu Hause möglich. Es gibt also keine bittere Wahl zwischen Krankenhaus und qualvollem Sterben, wie manche vermuten. Auch zu Hause können die Möglichkeiten der Palliativmedizin fast vollständig ausgeschöpft werden. Die Kosten trägt die Krankenkasse, beantragt wird die SAPV normalerweise über die Hausärzt*innen.

Ein Aber gibt es trotzdem:

Mit guter palliativmedizinischer Versorgung kann Leiden im Sterbeprozess sehr effektiv gelindert werden, sodass ein friedliches Sterben in den allermeisten Fällen möglich wird. Das Problem ist bloß: Es kommen noch nicht alle Sterbenden in den „Genuss“ der Palliativmedizin. Das hat verschiedene Gründe:

  • Palliativmediziner*innen werden häufig zu spät oder gar nicht eingeschaltet. Viele Betroffene und leider auch viele Ärzt*innen wissen noch immer viel zu wenig über diese Möglichkeiten oder halten es nicht für notwendig, sich an die Palliativmedizin zu wenden.
  • Das Wissen um Palliativmedizin ist leider gerade in der Ärzteschaft noch nicht so weit verbreitet, wie es notwendig wäre. Es handelt sich um ein recht junges Fachgebiet, das im Studium vieler älterer Ärzt*innen noch gar keine Rolle gespielt hat. Gerade im Bereich der Schmerzbehandlung mit Morphinen herrschen deshalb auch unter manchen Ärzt*innen noch viele Vorurteile und längst widerlegte Gedanken vor. Das führt dazu, dass viele Patient*innen zum Beispiel keine ausreichend hohen Morphindosen bekommen, weil die Ärzt*innen davor zurückscheuen, aber auch keine „Fachleute“ einschalten.
  • Und leider ist die palliativmedizinische Versorgung noch nicht überall in ausreichendem Maße verfügbar. Theoretisch steht jeder*m Sterbenden, bei der*dem Unterstützung nötig ist, die Behandlung durch die SAPV zu. In der Praxis gibt es jedoch Regionen in Deutschland, in denen schlicht und ergreifend nicht genügend Teams zur Verfügung stehen. Mit den Palliativstationen in den Krankenhäusern ist es nicht viel besser: Auch hier herrscht vielerorts noch Mangel, sodass nicht immer jede*r Sterbende ausreichend versorgt werden kann. Der Hauptgrund: Palliativmedizin ist teuer, weil oft viele Maßnahmen notwendig sind und sich die Ärzt*innen und Pflegekräfte außerdem viel Zeit für ihre Patient*innen nehmen müssen. Hier ist mancherorts noch deutlicher Nachholbedarf. Zum Glück wird die flächendeckende palliative Versorgung aber immer besser.

Mein Tipp: Wenn bei dir oder einem deiner Zugehörigen eine Krankheit diagnostiziert wird, die in absehbarer Zeit zum Tod führen wird, dann solltet ihr so früh wie möglich um palliativmedizinische Behandlung bitten oder sie, wenn nötig, vehement einfordern. Je früher eine palliativmedizinische Behandlung ansetzen kann, umso besser. Dann ist die Chance auf einen friedlichen Tod ohne Leiden so hoch wie nur möglich.

Bildquellen:

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