Geschichten

Antonia feiert Hochzeit

Ist wirklich wahr: Man kann eigentlich jeden noch so blöden Sekretärinnenwitz hernehmen, dann ersetzt man das Wort Sekretärin durch ‚Antonia‘ und schon hat man die originalen Antonia-Geschichten. Es gibt nichts, was die ausgelassen hätte…

Ich biege vom Treppenhaus in die Halle und höre ein Schnauben, Schnaufen und Keuchen. Es ist Antonia, die auf ihren etwas zu kurzen X-Beinen, bei denen sich die Oberschenkel bei jedem Schritt mit dem Geräusch „witsch, watsch“ aneinander vorbeischeuern, durch die Halle stolziert. Auf ihren Armen hat sie einen schier unglaublich hohen Stapel Leitz-Ordner aufgetürmt, der einerseits bedenklich schwankt, was sie durch bauchtanzähnliche Bewegungen im, bei anderen Frauen vorhandenen, Taillenbereich auszugleichen versucht und der andererseits so hoch ist, daß sie nicht mehr drüberschauen kann. Mal schaut sie links vorbei, dann schwankt der Stapel nach rechts, dann bauchtanzt sie wieder, der Stapel schwankt nach links und sie kann rechts vorbeischauen, einen Schritt machen usw. usf.

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Das sieht lustig aus, aber ich bin ja kein Unmensch und nehme ihr die Hälfte des hohen Stapels ab.

„Wohin sollen die denn?“ erkundige ich mich und völlig außer Atem schnauft Antonia: „Ins Archiv nach hinten.“

Also denn: ich helfe ihr die Ordner in den Archivraum zu tragen und Antonia freut sich.
Einen Moment noch bleibe ich bei ihr und sie will mich zum Verzehr eines riesengroßen Stücks Buttercremetorte überreden.

„Die sind von der Hochzeit, das ist von der Hochzeitstorte.“

„Ach, wer hat denn geheiratet? Jemand aus Ihrer Verwandtschaft, Antonia?“

„Nein, wo denken Sie hin? Meine Schwester Anja ist ja jünger und erstmal komm ja wohl ich!“

„Auch wieder wahr“, sage ich und nehme etwas belustigt zur Kenntnis, daß Antonia ihre eben geäußerte grundsätzliche Heiratsbereitschaft dadurch unterstreicht, daß sie ihre Arme auf die üppigen Hüften stemmt, den Po einmal nach links und einmal nach rechts wippen läßt und dann ihre unglaubliche Oberweite herausstreckt.
Häßlich ist sie nicht, denke ich, sie sieht einfach nur nicht gut aus.

Aber lieb ist sie und sehr freigiebig: „Nehmen Sie doch ein Stückchen von der Torte!“
Sie hat sich ein Tellerchen mit ungefähr sechs Stücken Torte ins Archiv gestellt, wo sie wohl die nächste Zeit zu arbeiten gedenkt. Jedes dieser Tortenstücke dürfte so an die zwei Kilo wiegen und sie müssen demnach vom unteren, sehr breiten Teil der Hochzeitstorte stammen.

„Ja aber, wer hat denn jetzt geheiratet?“

„Irgendjemand aus unserem Dorf.“

„Wie, irgendjemand?“

„Ja, keine Ahnung, ich geh‘ jede Woche in den ‚Güldenen Schwan‘, immer wenn da Hochzeit gefeiert wird. Da gibt’s immer Buffett (Antonia spricht das so aus, wie sie es schreiben würde: BUFF-FETT) und Kuchen.“

„Und da gehen Sie einfach hin und essen was?“

„Die haben doch genug.“

„Sie sind doch aber gar nicht eingeladen.“

„Ja und? Macht doch nichts, die merken das gar nicht.“

„Und wenn doch mal jemand etwas merkt?“

„Merkt keiner! Müssen Sie mal ausprobieren, einfach mit den Hochzeitsgästen reingehen, sich hinsetzen und sattessen.“

„Ja und dann noch ordentlich Kuchen mitnehmen, was?“

„Genau! Und Schnitzel!“

„Unglaublich!“ sage ich und erzähle ihr, daß manche alten Leute das auch bei Beerdigungen so machen. Die sind sowieso jeden Tag auf dem Friedhof und wenn dann einer beerdigt wird, den sie nur halbwegs zu kennen glauben, dann gehen sie einfach mit zum Kaffeetrinken.

„Super Idee!“ freut sich Antonia und ich sehe sie schon förmlich am Friedhof aufs BUFF-FETT lauern. Vorsichtshalber sage ich: „Aber Sie werden sich unterstehen, das jetzt zu machen!“

„Schade“, sagt Antonia enttäuscht, lädt mir eines der unglaublichen Tortenstücke auf einen Teller und drückt ihn mir in die Hand. „Wirklich schade.“

© 2008

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#Antonia #feiert #hochzeit

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