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Antonias Stuhlgang

Ich gehe ja nicht so oft ins vordere Büro, zu groß ist mir dort die Übermacht der weiblichen Hyänen. Wenn überhaupt, äußere ich meine Wünsche von der Tür aus und schaue zu, daß ich schnell wieder Land gewinne und mich in die Sicherheit meines Büros zurückziehe. Nein, wirklich gefährlich sind die da vorne nicht, aber ich kann mich beispielsweise nicht daran erinnern, daß sich unser letzter Praktikant von mir verabschiedet hat. Das Letzte an das ich mich erinnere, ist daß er noch mal eben bei Frau Büser Tschüß sagen wollte…

Mir ist das auch zu mühsam, mit Frauen zu diskutieren. Wo Männer Lösungen finden, suchen Frauen Probleme.
So hat Frau Büser von uns einen bandscheibenstützenden, orthopädisch und ornithologisch einwandfreien Bürosessel bekommen. Das Ding hat ungeheure Ausmaße, so ungefähr 80 cm x 1.200 Euro.
Aber seit sie den hat, tut ihr der Rücken nicht mehr weh und deshalb ist der Stuhl ihr ganzer Stolz.
Es sei denn, jemand verstellt ihn!

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Frau Büser ist drei. bis viermal in der Woche zeitweilig nicht da. Einen halben Tag ist sie immer in der einen Filiale und einen weiteren halben Tag in der anderen. Mittwochs und donnerstags macht sie immer im Wechsel vormittags frei und baut Überstunden ab und freitags geht sie sowieso mittags. Da ihr Schreibtisch aber die allgewaltige Schaltzentrale des ganzen Betriebs ist, setzen sich dann Sandy oder Antonia, ganz wie es notwendig wird, mal an ihren Tisch und ziehen Akten oder machen Post.
Nun sitzten die an Frau Büsers Tisch, damit aber nicht genug, denn notwendigerweise sitzen sie auch auf Frau Büsers Schwingstuhl.
Kaum setzt sich Sandy da hin, greift sie nahezu vollautomatisch unten rechts unter den Stuhl und zieht an einem der vielen Hebel. Der Stuhl fährt zischend nach oben, Sandy legt die Füße auf den Tisch und drückt noch auf eine Taste links seitlich an der Sitzfläche, um den Stuhl aufs Schwingen und Kippen umzustellen. So sitzt sie da, weit zurückschwingend, den Telefonhörer sozusagen ohrtechnisch inhalierend und wackelt mit den nackten Zehen. Das lange schwarze Haar berührt bei Zurückkippeln fast den Boden und ich muß zugeben, das sieht alles in allem geiler aus, als wenn Brittney nackig an der Stange tanzen würde.

Wenig später hat Antonia was an Frau Büsers Tisch zu regeln. Ihre Füße berühren kaum den Boden, da Sandy viel größer ist, also lässt sie den Stuhl ganz nach unten, die Unterseite der Sitzfläche berührt fast das Fahrgestell und weil Bauch und Beine sich nicht in eine ansehnliche Position bringen lassen, wird die Sitzfläche auch noch auf „variabel“ geschaltet, sodaß diese auch noch flexibel vor und zurück schwingen kann. Viele meinen ja, Antonia sei nicht unbedingt die Hübscheste und manche glauben ja sogar, sie käme in meinen Erzählungen immer schlecht weg. Nun hat der liebe Gott aber doch auch Johannisbeeren und Kartoffeln wachsen lassen, beide Früchte sind nützlich und wichtig und haben ihre Liebhaber und keiner käme auf die Idee, abfällig über die Erdknolle zu reden. Wäre Sandy eine schwarze Johannisbeere, dann wäre Antonia eindeutig eine Kartoffel.
Jaja, das war gemein… Nein, Antonia hat sich tatsächlich gemacht! In den letzten Monaten hat sie einige Kilogramm an Gewicht verloren, was man bei dicken Menschen ja immer nie so richtig sieht, was aber bei ihr erstaunlicherweise auch im Gesicht etwas Wirkung zeigt. Sie hat jetzt auf einmal beim Lächeln Grübchen und ihr immer noch rundes Gesicht hat Kontur bekommen. Es mag auch daran liegen, daß sie noch reift, jedenfalls hat sie sich zu ihrem Vorteil verändert. Das liegt auch daran, daß Sandy ihr immer mal wieder den einen oder anderen Tip gibt, wie man mit einfachen Mitteln gut aussieht. Sandys Devise ist: „Zeig was Du hast!“
Antonia neigt dazu, alles unter irgendwelchen XXXXXXL-Hemden zu verstecken und dann sieht sie aus wie eine Hagebutte mit Beinen. Das andere Extrem ist Antonias Lieblingspuli, ein rosaroter Strickpulli, der von H&M stammen muß, er würde selbst unter günstigsten Umständen nur einer 13jährigen Schlankheitsköniging aus Italien passen. An Antonia wirkt er wie eine Schweinepelle, würgt ihren Bauch in sechs bis acht Röllchen und sie zupft ihn den ganzen Tag nach unten.
Obenherum ist Antonia meist zugeknöpft, weil sie ihre Brüste zu dick findet. „Du bist doof!“ kommentierte das Sandy und ist mit Antonia einkaufen gewesen. Jetzt trägt Antonia auch schon mal was mit Ausschnitt und man muß sagen, das hat Wirkung. Da Männer ja immer nur eine Sache auf einmal machen können, sind sie quasi von dem Hoffnungsschimmer, den sie im Dekolleté zur Schau trägt, so in eine paarungsbereite Erwartungsstarre versetzt, daß kein Mann ihr mehr auf den Bauch schaut.
Frau Büser hat Sandy Antonia mit zum Friseur genommen und siehe da, das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Man kann also mit Sicherheit noch nicht sagen, daß aus der Kartoffel eine Johannisbeere geworden ist, aber bis zum Rhabarber hat sie’s schon geschafft.

Auf jeden Fall, und damit wenden wir uns wieder Frau Büsers Stuhl zu, ist der Gesundheitssessel jedes Mal total verstellt, wenn Frau Büser ins Büro kommt.
Dann geht das Gezeter los: „Ich hab Euch hundert mal gesagt, ihr sollt meinen Stuhl in Ruhe lassen. Jetzt muß ich wieder eine halbe Stunde lang herumfummeln bis der richtig eingestellt ist. Egal was man macht, das kriegt man nie wieder so hin wie es war. Ich brauche immer mehrere Tage, bis da alles wieder richtig ist und ihr verstellt mir dann immer alles wieder.“

Sandy ist ja der Meinung, wenn sie den Stuhl hochmache und Antonia ihn wieder runtermacht, dann wäre er wieder richtig. Aber Sandy sitzt die Hälfte der Zeit sowieso unterm Schreibtisch oder auf einem umgedrehten Papierkorb, gerne auch im Schneidersitz oder mit einem Bein hinter dem Kopf, ich würd‘ da ja durchbrechen…
Das bedeutet, wenn hier einer keine Ahnung vom Sitzen auf Stühlen hat, dann ist es die langbeinige Amerikanerin.

„Wenn ich noch einmal einen erwische, der mir meinen Stuhl verstellt, dann ist was los“, zeterte Frau Büser und begann seitdem einen gelben Klebezettel an die Lehne zu hängen: „NICHT VERSTELLEN“.
Der Zettel half nichts, der Stuhl wurde trotzdem verstellt.
Jetzt ist die Büser dazu übergegangen, den Stuhl jedes Mal, wenn absehbar ist, daß sie einen halben Tag nicht da ist, quer durchs ganze Haus in den Abstellraum hinter der Trauerhalle zu schieben.
Antonia findet das lustig, jedes Mal, aber wirklich jedes einzelne Mal, den Spruch loszulassen: „Frau Büser macht wieder Stuhlgang! Hahaha höhö!“

Das kann Frau Büser nicht leiden und so ergibt sich auch daraus wieder eine Diskussion. So geht das den ganzen Tag zwischen den drei Frauen hin und her.
Manni und ich können den ganzen Tag zusammen sein, haben kaum ein Wort miteinander gewechselt, uns trotzdem alles gesagt und können mit Bestimmheit sagen, daß wir uns gut verstehen.
Aber wir haben ja auch keinen gemeinsamen Stuhl.

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(©si)