Menschen

Aufgeschnitten oder am Stück 2

Jawollja, sie nimmt ihn dann doch! Ich hatte ja über jene auswahlfreudige Kundin berichtet, die sich gerne jeden Sarg am Stück von allen Seiten betrachten wollte und die sich schließlich dann doch für ein Modell aus dem Katalog entschieden hatte. Ausgerechnet dieses Modell mussten wir aber erst aus der Fabrik abholen.

Ich hatte ja auch insgeheim vermutet, daß sie noch wegen der Transportkosten mit mir handeln würde, aber das war dann doch gar nicht der Fall. Besser ist das.

Vorhin war sie da, hat sich den Sarg von allen Seiten (am Stück sozusagen) angeschaut und genickt: „Genau der ist es, warum haben Sie mir den denn nicht gleich gezeigt?“

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Gestern schrieb ich ja schon mal, daß wir gar nicht alle Sargmodelle in der Ausstellung haben. Ich glaube fast, daß man die Kunden einfach in zwei Gruppen einteilen kann. Die eine Gruppe macht 85% der Kunden aus und für die reichen 5-8 Särge zur Auswahl. Ein ganz billiger zur Abschreckung und ein ganz teurer zum Kopfschütteln, dazwischen 3-6 Modelle in hell, dunkel, groß und klein und fertig ist die Laube.

Für die restlichen 15% der Kunden bräuchte ich wenigstens 200 Särge in der Ausstellung und die würden immer noch keinen finden, der ihnen genehm ist.

Dabei erinnere ich mich an eine Geschichte, bei der ich mich doch ziemlich geärgert habe.

Ein Kunde, der hier an der Realschule Mathelehrer ist und sich schon allein deshalb an der untersten Grenze meiner Sympathieskala bewegte (ich habe ein sehr gestörtes Verhältnis zu Mathematiklehrern im Allgemeinen und zu solchen, die auch noch Sportlehrer sind im Besonderen), kam sehr (von sich selbst) überzeugt und klugscheisserisch daher. „Sie brauchen mir gar nichts vorzumachen, ich weiß, daß ich hier abgezockt werde, das wird man bei jedem Bestatter und sie werden mir jetzt einen Sarg verkaufen, der überteuert ist und damit muß ich leben und kann nichts dagegen machen, ich bin ihnen schließlich hilflos ausgeliefert und ich kenne mich aus, mein Schwiegersohn ist Anwalt und deshalb machen wir Nägel mit Köpfen, ich weiß daß sie alles über den überteuerten Sargverkauf finanzieren und deshalb werde ich bei allem anderen sehr sparsam sein.“

Alles in einem Satz und ohne Luft zu holen.
Und das „ohne Luft zu holen“ wunderte mich, denn ganz offensichtlich war dieser etwas fettleibige und unentwegt schwitzende Mann einer jener Mathematiklehrer, die nicht im Nebenfach noch Sport unterrichten. (Obwohl: Skat und Schach gelten ja auch als Sport.)

Der hat es fertiggebracht, geschlagene zweieinhalb Stunden alle Särge in unserer Ausstellung Millimeter für Millimeter zu betrachten. Immer wieder fing er von vorne an, mal schwankte er zwischen grau und braun, dann wieder zwischen schmal und breit. Da hilft auch keine Beratung, manche brauchen das.

Schließlich entschied er sich für einen sehr teuren Sarg mit Mahagoni-Oberfläche.
Tatsächlich bemühte er sich bei allen anderen Posten um absolutes Sparen. Die Blumen für den Sarg besorgte er aus dem eigenen Garten (die blühen jetzt sowieso und die binde ich hübsch zusammen), eine Zeitungsanzeige wollte er nicht (die paar Leute, die wir kennen, die rufe ich an und an der Schule mache ich einen Aushang im Lehrerzimmer), auch keine Urne (die Aschenkapsel reicht, bei der Urnenbeisetzung bin sowieso nur ich dabei) und ein Totenhemd wollte er ebenfalls nicht (da nehmen wir ein Nachthemd und statt der Innenausstattung nehmen wir ein Bettlaken von zu Hause).

Gut, wenn er so will. Warum sollte ich da etwas dagegen haben?
Ein bißchen doof fand ich dann, daß er darauf bestand, alle Formalitäten selbst zu erledigen. Das ist wirklich sehr viel Fahrerei, Lauferei und Warterei für einen Laien. Für uns ist das ein täglicher Weg. Als der Mann dann noch sagte: „Und wenn sie meine Frau einbetten, dann ziehen sie ihr das Nachthemd an und machen sonst bitte nicht. Einfach nur in den Sarg legen, alles andere wird zu teuer.“

Und wir sollen die Frau auch nicht vom Krankenhaus abholen, denn dort liegt sie kostenlos in der Kühlung und bei uns würde das ja was kosten. Ich sage: „Die Klinik schreibt aber vor, daß wir die Verstorbenen binnen 12 Stunden abholen müssen, sonst berechnen die auch was.“

„Jaja, das habe ich persönlich mit Herrn Professor Sauerbruch geklärt, den kenne ich vom Golfclub.“

So langsam aber sicher hatte der Typ sich aus allem herausgequatscht und alles abbestellt, was später hätte auf der Rechnung auftauchen können. Naja, dachte ich, uns bleibt ja noch der Makkaroni Mahagoni-Sarg.

Am frühen Nachmittag rief er dann an und fragte, ob wir seine Frau schon eingebettet hätten. Nein, hatten wir noch nicht, weil das besagte Nachthemd noch fehlte. „Gut so, ich habe mich nämlich wegen des Sarges umentschieden.“

„Aha“, sage ich, „und wann kommen Sie vorbei, um einen anderen auszusuchen?“

„Gar nicht! Ich habe woanders einen besorgt, der war viel günstiger.“

Noch bevor ich irgendwas sagen konnte, hatte er aufgelegt.
Eigentlich wäre jetzt genau der Zeitpunkt gewesen, um ihm zu sagen, daß er seine Frau von jemand anders bestatten lassen soll, aber ich habe den Kerl einfach nicht mehr erreicht. Egal ob Handy oder Festnetz, es ging nur der Anrufbeantworter dran und schon zwei Tage später sollte die Trauerfeier sein.

Tatsächlich brachte ein mir völlig unbekannter Bestatter aus einem etwa 100 km entfernten Ort am späten Nachmittag einen Sarg vorbei. Ich muß ganz ehrlich sagen, und das nicht, weil mich das entgangene Geschäft fuchste, daß ich so einen jämmerlichen Sarg selten zuvor gesehen habe.
Eine sogenannte „Polenpalme“, also ein einfacher Kiefernsarg mit Palmenschnitzung aus Polen. Die Osteuropäer sind sehr gute Tischler und Sargschreiner und können ganz edle Kisten bauen, aber auch ganz billige und jämmerliche. Und das hier war einer von der jämmerlichen Sorte. Er war so mit dunkelbrauner Farbe zugeschmiert, daß man von der Schnitzung kaum noch etwas erkannte.
Solche Särge bieten mir durchreisende Sarghändler aus Polen und Rumänien immer mal wieder für kaum 80 Euro das Stück an.

Kaugummikauend lud der Fremdbestatter den Sarg aus und erklärte mir, er wisse auch nichts anderes, als daß ein Mann bei ihm angerufen habe und nach dem billigsten Sarg gefragt habe. Sein billigster koste normalerweise 299 Euro, aber den hier habe er noch von irgendeiner Lieferung übrig und den habe er für 250 hergegeben.

Ich hätte den Auftrag ablehnen sollen, wirklich, aber man ist zu gutmütig.

Meine Fahrer und Techniker verzogen die Münder, wenn es um diesen Sterbefall ging. Was hat der Chef sich dabei bloß gedacht….

Schließlich stand der Sarg in der Trauerhalle, jämmerlich schmal und häßlich braun. Der Deckel war nur mit zwei zusätzlichen Sargschrauben davon zu überzeugen gewesen, auf das Unterteil zu passen. Und jetzt wurde er von einem Blumenbündel geziert, das aussah, als habe es der Witwer aus der Kompostkiste des Friedhofs gezogen.
Erbärmlich!

Wir dürfen ja auf dem Friedhof keine Reklame machen. Aber weil wir von unserer Arbeit überzeugt sind, parken wir gerne schon mal mit unserem schönsten Bestattungswagen auf der anderen Straßenseite, damit alle Leute sehen können, daß wir das gemacht haben.
In diesem Fall haben wir uns völlig bedeckt gehalten und hoffen, das keiner gemerkt hat, daß wir irgendetwas mit dieser Veranstaltung zu tun hatten.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#aufgeschnitten #oder #stück?

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(©si)