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Aufgeschnitten oder am Stück?

„Kann ich den bitte mal am Stück sehen?“ fragt die Kundin und versetzt mich in leichte Verwunderung. Sie will nämlich einen Sarg genauer betrachten und alle unsere Särge sind am Stück. Das heißt, um ganz ehrlich zu sein, ein einziger Sarg ist nicht am Stück, sondern existiert nur als Musterbrett. Wir haben nämlich einen Sarg, der in grünmetallic lackiert ist und weil es den auch in dunkelblaumetallic gibt, habe ich vom dunkelblauen nur ein Brett mit einer Musterlackierung.

Aber alle andere sind, ich schwöre, am Stück, komplett, ganz!
Deshalb frage ich mal vorsichtig nach: „Wie möchten Sie den Sarg sehen?“

„So am Stück! Der steht ja da im Regal und da kann ich ihn nicht richtig sehen.“

Sie hat Recht. Die Särge stehen im Regal, in einem sogenannten Sargregal, immer drei übereinander, aber ganz gewiss kann man sie wunderbar einzeln betrachten.

„Wie möchten Sie denn den Sarg sehen?“

„Einzeln, direkt vor mir, hier auf dem Boden.“

Na denn, ich rufe einen Mitarbeiter hinzu, wir heben den Sarg aus dem mittleren Regal und sie Frau stiefelt um den Sarg herum: „Sehen Sie, hier sieht er ganz anders aus, viel niedriger.“

Ich blicke sie fragend an und sie schüttelt den Kopf, deutet auf einen anderen Sarg: „Den da, bitte!“

„Gut, dann schreibe ich das so auf.“

„Nein, nein, ich will den nicht kaufen, ich will den sehen.“

Also räumen wir den ersten Sarg wieder ins Regal und hieven den zweiten, von ganz oben (und ganz oben heißt hier aus 2 Meter Höhe) herunter.

Wie ein Storch schreitet die Kundin um den Sarg herum, betrachtet ihn von oben, von hinten, von links und rechts, dann meint sie: „Die Rückseite sie sehr häßlich aus.“

Da muß ich doch glatt mal gucken und schaue mir auch die Rückseite mal an. Sie sieht genauso aus, wie die Vorderseite, nur etwas breiter. Wieder sehe ich die Kundin fragend an, doch die schüttelt mit dem Kopf und zeigt auf einen anderen, aus dem dritten Regal ganz unten.

Wir heben den Sarg wieder auf über zwei Meter, holen den anderen Sarg und die Szene wiederholt sich. „Ist das da ein Kratzer?“
Sie deutet irgendwo in der Mitte auf die Maserung des Holzes, ich streiche mit der Hand über den Deckel, gucke ganz genau, nichts.
„Nein, das ist die Maserung.“

„Dann will ich den nicht.“

Hätte sie ihn genommen, wenn es nicht die Maserung, sondern ein Kratzer gewesen wäre, frage ich mich und wir räumen auch dieses Exemplar wieder weg.

„Wissen Sie, mein Vater war ein ganz einfacher Mann, haben Sie nichts Billiges?“

Aha, die will also nur ein bißchen Theater machen, um dann den billigsten Sarg zu nehmen. Ich zeige mit dem Finger auf einen sehr schlichten und günstigen Sarg und sie sagt: „Boah, ist der häßlich! Haben Sie keine schöneren?“
Wir machen ja viel für unsere Kunden und meinetwegen kann die sich unser gesamtes Sargangebot noch zwei Stunden anschauen, aber ich habe echt keine Lust jeden einzelnen Sarg aus dem Regal zu heben. Vielleicht kann ich sie dazu bewegen, aus dem Katalog auszuwählen. Ich mache ihr den Vorschlag, doch nebenan bei einer Tasse Kaffee in aller Ruhe mal im umfangreichen Katalogangebot zu blättern.
Tatsächlich, sie geht darauf ein: „Zwei Stücke Süßstoff, keine Milch und koffeinfrei, bitte.“

Dann blättert sie und blättert hin, blättert zurück, klappt den Katalog zu, macht ihn wieder auf und blättert….
Nach schon 30 Minuten tippt sie zielgenau ausgerechnet auf den einzigen Sarg, auf dessen Bild ein kleiner Aufkleber „derzeit nicht lieferbar“ pappt.

„Das tut mir leid, der ist ausverkauft.“

„Wieso das denn? Der gefällt mir aber!“

„Den hat der Lieferant aus dem Programm genommen“, lüge ich sie an.

„Können Sie da mal anrufen?“

Natürlich kann ich da anrufen, aber dann müßte ich auch einen bestellen und den rund 250 Kilometer weit herschaffen lassen. Die nächste Lieferung von Hobelspan & Co. kommt erst nächsten Monat.

„Das kann ich natürlich machen, aber die beginnen erst demnächst wieder mit der Fertigung.“

„Der gefällt mir aber. Notfalls sollen die eben ein Einzelstück für mich machen. Geld spielt keine Rolle.“

Ach was? Eben noch wollte sie was Billiges und jetzt spielt Geld keine Rolle.
Ich gehe mal nach nebenan, spreche mit unserem Fahrdienstleiter und wir kommen überein, daß der Aufwand zu groß und zu kostspielig wäre. Zur Kundin sage ich: „Sie haben Glück. Es gibt doch noch ein Einzelstück, aber den müssten wir holen und das würde alleine über 250 Euro kosten. Die nächste reguläre Lieferung kommt erst nächsten Monat.“

„Dann machen Sie das! Holen Sie den Sarg und dann schaue ich mir den an.“

Irgendwie kommt mir dieser letzte Satz etwas merkwürdig vor und ich erkundige mich vorsichtshalber: „Wenn wir den aber holen, müssen Sie den auch nehmen. Wir holen den nicht nur zum Angucken.“

„Wenn ich den vorher nicht am Stück gesehen habe, kaufe ich den nicht!“

„Gut, dann holen wir den, das kostet 250 Euro. Und diese 250 Euro bezahlen Sie vorher, ob Sie den nehmen oder nicht.“

„Kein Problem“, sagt die Kundin, öffnet ihre Handtasche, blättert 250 Euro hin und fügt hinzu: „Ich muß ihn halt am Stück sehen.“

Jaja, kann sie ja. Also werden wir heute nachmittag 500 Kilometer, um einen einzelnen Sarg zu holen, nur damit sie ihn am Stück sehen kann.

Den kompletten Auftrag habe ich sie dann auch noch unterschreiben lassen. Ich meine, wir haben über 60 Sargmodelle im Angebot, davon präsentieren wir derzeit nur rund die Hälfte, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß ein zu großes Angebot die Kunden eher verwirrt.
Irgendeiner wird ihr schon gefallen.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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Benni
16 Jahre zuvor

Ich war der Meinung, dass der Typ, der heute nacht durch meine Straße gelaufen/gesprungen/getaumelt ist und die ganze Zeit unverständliche Laute in sein Handy geschrieen hat, wäre verrückt..

Wie gesagt, das dachte ich, bis ich den Beitrag gelesen habe.

Avarion
16 Jahre zuvor

Es gibt wahrhaft erstaunliche Menschen.

Chrissy
16 Jahre zuvor

*kicher*

jaja.. wer weiss was du ihr da andehen willst! Kennt man ja. Bestatter sind alles Halsabschneider. Am Ende kauft sie einen total vermackten und zerkratzten Sarg weil du (fies wie du bist) die extra im Regal so lagerst das man das nicht sieht um die kaputten Dinger teuer zu verkaufen. Tz… sowas Kundenunfreundliches.

Nächstes mal solltet ihr ihn aber dann bitte auch zur Probe ein paar Runden tragen. Weil am Boden sieht der Gewiss GANZ anders aus als wenn er nachher transportiert wird!

Moe
16 Jahre zuvor

genau! Und wenn einer drinliegt, dann hängt der Sarg in der Mitte durch und der Anblick hat sie so geschockt daß sie Schmerzensgeld verlangt… 250 Euronen…

gb
16 Jahre zuvor

in dem Moment, als sie auf den 'ausverkauft' zeigte, hatte ich nur einen Gedanken:

blond?

scnr…

16 Jahre zuvor

Ich schrei mich weg… 😀

Aber ich sag bei sowas immer:

Schön ist, was dem Kunden gefällt und was er bezahlt!

😉

Kristian
16 Jahre zuvor

Ich wette, die wird später die 250 Euro angerechnet bekommen wollen 😉

16 Jahre zuvor

Särge in einem Regal?

So frei nach dem Motto "Willkommen in der Sargeteria, darf ich ihre Bestellung aufnehmen?" 😀

16 Jahre zuvor

Erinnert mich ein klein wenig an den Jungen im Rollstuhl in Little Britain.

Kathi
16 Jahre zuvor

Na gut das sie die nicht auch alle noch probeliegen wollte um zu sehen ob der auch wirklich bequem ist ;o)

Marlies
16 Jahre zuvor

Hab ich das jetzt richtig verstanden? Sie hat 250€ dafür gezahlt, dass ihr den Sarg holt? Und was passiert, wenn sie den Sarg nicht will? Muss sie dann nochmal 250€ zahlen?!?

Felix
16 Jahre zuvor

und, laufen schon Wetten darauf, ob sie später das Geld zurück haben will? ("Wie, ich soll für einen Sarg Geld ausgeben, den ich gar nicht haben will? Ich konnte doch nicht wissen, dass der in Wirklichkeit so hässlich aussieht." oder alternativ "Ich zahle doch nicht dafür, dass sie den Sarg von sonstwo heran karren, das war ja wohl eine Anzahlung auf den Sarg!")

Nulpe
16 Jahre zuvor

Mache es doch ganz einfach.

Man nehme einen Ladenhüter,verstreue ein wenig Mehl darüber als Staubersatz und schlägt mal dezent 25% auf den Preis drauf.

Dann lässt man mit sich handeln,geht dann die 25% mit großem Wehklagen runter und alle sind glücklich 😉

Lars
16 Jahre zuvor

Ich setze 50€ darauf das sie den Sarg nicht will und die 250€ zurück haben will.

Wie bescheuert muss man sein…..

Nölarsch
16 Jahre zuvor

"… davon präsentieren wir derzeit nur rund die Hälfte, weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß ein zu großes Angebot die Kunden eher verwirrt."

Aye. Ich verstehe das, weil ich auch ein Mensch bin, der einfach keine Entscheidungen treffen kann und den ein Überangebot strapaziert. Nur ist es oft so, dass ausgerechnet die Merkmalkombination, die ich haben will (weil ich eher praktisch veranlagt und mitnichten steinreich bin), ums Verrecken nicht zu beschaffen ist.

Zum Beispiel _kann_es_einfach_nicht_wahr_sein_, dass es Herrenschuhe erst ab Größe 42 gibt. Als ich noch höchstens eine 39 brauchte, gab es überall Schuhe ab 40. 8^(

ichbins
16 Jahre zuvor

mal ne andere Frage: Bei den 250 EUR legt Ihr doch noch drauf, oder?

Ich meine nur, 500 km sind doch ca. 5 Arbeitsstunden, und dann sind ja auch die Fahrtkosten an sich nicht ganz unerheblich. Abgesehen davon, dass 250 EUR nur ca. 210 EUR netto entsprechen…

Britta
16 Jahre zuvor

Herrenschuhe in 39??? Hab ich noch nie gehört.

Gibt´s das?

undertaker
16 Jahre zuvor

@ichbins: Ha! Danke! Endlich mal einer, der mal nachrechnet! 🙂

So ist das nämlich wirklich. Hinter allem stecken mannigfaltige, oft für den Außenstehenden nicht zu durchschauende, Kosten. Die Leute sehen aber nur die Summe und glauben, wir würden uns das in die Tasche stecken.

In der Tat wird diese Fahrt nur dann halbwegs sinnvoll, weil wir gleich noch drei andere Särge mitnehmen und eine Bestellung auf eine größere Menge abgeben, sonst geht uns sogar der Bonus verloren.

undertaker
16 Jahre zuvor

@Nölarsch: Von der Größe her dürften unsere Särge aber passen.

Nölarsch
16 Jahre zuvor

@ Britta

Das war so der Übergang vom Jugendlichen zum (vom Alter her) Erwachsenen.

Und ja, es nervt tierisch, wenn man ständig nur Schuhe hat, die mindestens eine halbe Nummer zu groß sind und die Füße da drin keinen Halt haben.

Dass ich mir trotzdem nicht jeden Schuh anziehen möchte, nur weil er passt, ist hoffentlich auch verständlich.

Nölarsch
16 Jahre zuvor

@ Undertaker

Das ist mir relativ egal, wie meine Kiste aussieht. Ich hätte nur gern ein Modell mit rechteckiger Grundfläche und nicht in der "typischen Sargform". Obwohl ich dereinst auch nicht über ein solches Modell nölen würde/könnte. 🙂

Dank dem Blog weiß ich auch, was mit mir – nach der Organentname – geschehen soll:

Verbrennung

(anonyme) Seebestattung

Danke dafür!

16 Jahre zuvor

Ich prophezeie, daß ihr mit der noch viel viel Spaß haben werdet …

Hein
16 Jahre zuvor

Die Särge, die du bei dir in der Ausstellung präsentierst sind doch nur Ausstellungsstücke, oder werden die auch direkt verkauft?

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Was? Anonyme Seebestattung? Ne bloß nicht- Seebestattung geht klar – Aber doch nicht anonym……….!!!

Lars
16 Jahre zuvor

Geht ne Seebestattung auch wenn man Nichtschwimmer ist?

löl.

Nölarsch
16 Jahre zuvor

@ Mac Kaber

Naja, es kommt darauf an, ob die lieben Hinterbliebenen auch mit ans Wasser kommen (und den ganzen Mehraufwand bezahlen). Das habe ich am Ende ja nicht zu bestimmen.

Darum schreibe ich ja auch (anonyme) Seebestattung.

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Seebestattung im wasserdichten Sarg, da kommste noch ein wenig herum auf der Welt – wie ne Flaschenpost.

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Damit meine Bestattungspflichtigen kein Problem mit der Modellauswahl habengibts noch ne andere Lösung:

Ich kaufe das Modell, welches mir gefällt, stelle die beiden Hälften zuhause in zwei Zimmerecken und statte sie mit Fachböden aus. Da kann ich dann meine Automodelle oder meine CDs drin aufheben oder Lautsprecherboxen einbauen und keiner merkt, was für zwei praktische Eckregale ich habe.

Gucky
Reply to  Mac Kaber
11 Jahre zuvor

Das war in Österreich so weit ich weiß ne Zeit lang ziemlich gängig.
Da die Sargfertigung zu lange dauerte, kauften sich einige dne Sarg schon zu Lebzeiten. Ließen Fächer einlegen und ihn bemalen und hatten bis zu ihren Ableben einen schöne Bauernschrank!

Stahlregen
16 Jahre zuvor

@Mac Kaber:

Ähnlich wie meine Mutter immer bei der Geschenkwahlqual für den Geburtstag von Freunden und Verwandten rät: "Praktisch denken: Sarg verschenken."

Wobei gewisse seriöse Bestattungsunternehmen die ja nicht rausrücken wollen. 😉

Biene
16 Jahre zuvor

Sie wird den Sarg nehmen und behaupten, Sie hätte ihn schon bezahlt.

@biene
16 Jahre zuvor

@biene: Das ist das kleinste Problem… sie hat ja keine Kaufquittung, also kann sies ja auch nicht beweisen…

undertaker
16 Jahre zuvor

@@Biene: Quittung? Natürlich hat sie für den Transportvorschuss eine Quittung bekommen. Ich lasse mir für alles Quittungen geben und alles unterschreiben. Früher genügte noch das Wort und ein Handschlag, aber heute kann man niemandem mehr trauen.

@biene
16 Jahre zuvor

klar, aber auf der quittung steht wohl nicht, dass das geld für den sarg vorbezahlt ist, sondern den transport finanziert^^ egal… sie hat ihn ja genommen^^

HeHeHe
16 Jahre zuvor

Für solche Fälle Haben wir ein Mega-Ultra-Hyper Sargregal

für 15.000 Euro gekauft das kann so gar Särge hoch&Runter

Heben!!!!




Rechtliches


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