Just als ich die Überschrift für den vorherigen Artikel schrieb, kam mir eine Begebenheit in den Sinn, die genau mit dieser Formulierung zu tun hat.
Viele Bestattungshäuser arbeiten intensiv daran, die Abläufe zu verbessern. Hierzu rufen mich viele Bestatter an, laden mich für einen Tag zu sich ins Haus ein, damit ich mich umschaue und eine Einschätzung vornehmen kann, an welchen Stellen eine Optimierung für den Kunden und für die betriebsinternen Abläufe hinter den Kulissen vorgenommen werden könnten.
Im März war ich in einem Bestattungshaus zu Gast, dessen rein bauliche Größe mich schon bei der Anfahrt beeindruckte. Der Inhaber hatte, gemeinsam mit seinem Vater, der eine Möbelschreinerei betreibt, ein komplett neues Gebäude errichtet.
So ein Neubau, ausgerichtet auf die Belange eines Bestattungsinstituts, hat grandiose Vorteile. Diese liegen auf der Hand und ich muß sie nicht einzeln erläutern. Nur soviel sei gesagt: Das fängt schon damit an, daß Zufahrten und Wege zum und im Gebäude so geplant sind, daß sie den Erfordernissen unseres gut zwei Meter langen Transportgutes gerecht werden. Auch sind die aktuellen hygienischen Erfordernisse in einem Neubau viel leichter umzusetzen, als wenn man ein vorhandenes, früher für andere Zwecke genutztes Gebäude umbauen würde.
Das Haus war an einen künstlich errichteten Hang gebaut. Von vorne war nur ein helles, durch viel Glas lichtdurchflutetes Geschoß mit einem einladenden Eingangsbereich zu sehen. Hinten war das Gebäude doppelgeschossig und man erreichte über eine, durch Bäume und Gebüsch nicht einsehbare weit geschwungene Zufahrt die eher technischen Räume des Untergeschosses.
Helle Wände auch im Inneren. Viel Licht durch große Lichtkuppeln auf dem Dach, keine Schummerstimmung mit Kerzenlicht, keine Holzlageratmosphäre, aber dezent überall gute Bilder und Skulpturen; eher die Stimmung als käme man in das neu errichtete Gebäude einer jungen kirchlichen Bewegung.
Viele schöne Pflanzen, eine sehr angenehme Atmosphäre, die einen umfängt und die Ruhe einkehren läßt.
Das Untergeschoß erreichte man über eine Treppe oder durch einen lautlos gleitenden Lift. Auch dort alles vom Feinsten und alles ganz neu. Viel moderne Technik, alles wirklich nur das Beste vom Besten.
Sechs Angestellte füllten das Haus mit Leben, zwei im Büro, zwei für Beratungen im Haus und bei den Angehörigen und zwei im technischen Bereich bzw. Fahrdienst. Hinzu kommen bei Bedarf bis zu vier Aushilfskräfte.
Doch wurde diese Atmosphäre ganz erheblich gestört und schon beim Betreten des Hauses fiel mir ein A4-Blatt, mit Tesa an die Wand geheftet auf:
„Aus gegebenem Anlaß: LICHT AUS!“
Dieses Schild, ausgedruckt in Comic Sans (was sonst?) auf hellgrauem Recyclingpapier, störte den Gesamteindruck des kompletten Eingangsbereiches.
Und das Schlimmste: Dieses Schild war nicht allein, sondern es hatte viele Geschwister.
Im Aufzug: „Aus gegebenen Anlaß: Nicht an die Wände stoßen!“
Am Treppengeländer: „Aus gegebenen Anlaß: Immer eine Hand am Geländer!“
Auf der Toilette: „Aus gegebenen Anlaß: Handtuchpapier gehört IN den Eimer!“
In der Kaffeeküche: „Aus gegebenen Anlaß: Wer die letzte Tasse nimmt, kocht neuen Kaffee!“
An wenigstens fünf Türen: „Aus gegebenen Anlaß: Tür zu!“
An einem Tor: „Aus gegebenen Anlaß: Tor von 17 bis 8 Uhr abgeschlossen halten!“
In den Aufbahrungsräumen: „Aus gegebenen Anlaß: Nach dem Verlassen: Kühlung an?“
In dem Gang von den hinteren Büros zur Kaffeeküche, offenbar ein Bereich, den Besucher selten betreten, hing eine lange Pinnwand mit Dienst- und Urlaubsplänen, irgendwelchen Auszügen aus Friedhofsordnungen und einer Tafel der Berufsgenossenschaft.
Aber über allem und in Hülle und Fülle hingen dort angepinnte „Aus-gegebenem-Anlaß“-Zettel.
Wer die denn aufhänge, erkundigte ich mich bei einer jungen Mitarbeiterin. Die zuckte nur mit den Schultern: „Keine Ahnung, ich lese die gar nicht mehr, die hängen hier überall.“
Also fragte ich den Inhaber. Er gab sich völlig gleichgültig und verstand den Sinn meiner Frage offenbar gar nicht. „Wieso? Das ist doch überall so. Man muß immer hinterher sein, um Mißstände auszuräumen.“
Ja, die hänge er auch. Er bleibe an den meisten Tagen bis nach Feierabend und gehe dann immer noch durchs ganze Haus. Dann schreibe er sich auf, was ihm aufgefallen ist und fertige sofort „Merkblätter“ und hänge die unverzüglich auf.
„Aber die kümmern sich gar nicht darum! Alle meine Leute, und ich habe wirklich gute Leute hier, ignorieren die einfach. Da steht also abends hinten das Tor offen. Ich mach‘ ein Schild hin, daß es von fünf Uhr abends bis acht Uhr morgens abgeschlossen sein muß und kaum zwei Wochen später steht es wieder auf.“
Wohin denn der Weg führen solle, frage ich ihn. „Ja, keine Ahnung, irgendwann werde ich mal noch strenger kontrollieren und notfalls Abmahnungen schreiben.“
Ich habe mit dem Mann lange gesprochen und ihm erklärt, daß es keinen Zweck hat, Mißstände stumm hinzunehmen und nur durch Aushänge abstellen zu wollen.
Die Mitarbeiter lesen sich den ersten Zettel vielleicht noch durch und handeln danach, aber schon den zweiten und ganz gewiß den dritten Zettel ignorieren sie. Es hängen halt überall Zettel herum, das ist für die Leute völlig normal und hat keinerlei Signalwirkung.
Zu allererst sammelte ich mit dem Inhaber alle Zettel ein.
Dann ordneten wir die in einer sinnvollen räumlichen Reihenfolge.
Ich verstand ja seinen Wunsch, daß abends das Haus ordentlich und mit abgeschlossenen Türen und ohne nächtliche Energieverschwendung verlassen werden sollte.
Aus den Zetteln fertigten wir eine To-Do-Liste mit einem Unterschriftsfeld. Diese Liste hing ab sofort im Büro und jeden Tag war ein anderer Mitarbeiter an der Reihe, zum Feierabend hin alle wichtigen Punkte im wahrsten Sinne des Wortes anzulaufen und zu kontrollieren. Unterschrift, fertig.
Die Verantwortung für die einzelnen Punkte war also nun nicht mehr einfach nur so in den Raum gepustet, sondern konkret einem Mitarbeiter namentlich übertragen und den konnte man nun zur Verantwortung ziehen.
Anlaß, Kontrolle und Auswirkung waren nunmehr verdichtet und konkretisiert.
Als angenehmer Effekt des Ganzen waren die vielen häßlichen Zettel aus dem Haus verschwunden.
P.S.
Da stand wirklich in den meisten Fällen „Aus gegebeneN Anlaß“ das ist kein Tippfehler.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Und wie habt Ihr das Problem mit dem kaffeekochen gelöst? Aus meiner Angestelltenzeit weiß ich, daß das (fast) immer ein Problem ist, egal was man unternommen hat. Da gab es sogar Spezialisten, die genau einen oder zwei Schluck dringelassen haben, um keinen Kaffee kochen zu müssen.
Wo ich mich immer wiederum frage, WIESO es so ein Problem für manche Menschen ist, Mal eben Kaffe zu kochen. Das sind doch Handgriffe, die nichtmal eine Minute dauern… Kann mir das jemand erklären?
Sollte man zwar meine, aber ich hatte schon eien Kollegen der mir sagte, er weiß nicht wie man (Filter-)Kaffee kocht. 🙁
Die Ausrede hatte er aber nur einmal. 🙂
Man mag es kaum glauben, aber solche „Spezialisten“ gibt es auch auf den Toiletten… Da wird mit Fleiß 1 (!!!) Blatt hängen gelassen, damit man ja nicht die Rolle wechseln muss… Könnt ja Arbeit machen. Und je größer der Laden, desto weniger fühlt sich der Einzelne verantwortlich…
Komischerweise findets dann aber ausnahmslos JEDER unter aller Sau… Bleibt die Frage: wer war es denn dann?
Ach ja, damals, als es noch die alte Rechtschreibung gab. 😀
(Mein Smartphone hat mir aber neulich noch „Unistreß“ statt „Unistress“ vorgeschlagen. Hm.)
„aus gegebenen Anlaß“ ist kein Tippfehler, sondern der sog. „fränkische Dativ“.
Wo ist der „Gefällt mir“ Link 🙂
Aus gegebenem Anlass kann ich es mir nicht verkneifen:
If fonts were dogs
Wie war das mit den Schildern…:
„Bitte kontrollieren Sie vor dem Gehen, ob Sie die Dachluke offen haben und schließen Sie sie vor dem Verlassen des Betriebsgeländes!“
Nach einigen Monaten hing ein zweites Schild da:
„Bitte kontrollieren Sie vor dem Gehen, ob Sie den Arsch offen haben und schließen Sie ihn vor dem Verlassen des Betriebsgeländes!“
Das hing sehr lange da…gelesen hatten es wohl nur wenige, sonst wäre es aufgefallen…