Mir fuhr der Schreck in die Knochen. „Was ist denn passiert?“ fragte ich und führte die beiden ins große Beratungszimmer.
Erst nachdem Frau Büser uns Kaffee, Wasser und ein paar Kekse gebracht hatte, fragte ich die Schweigenden erneut: „Na, was ist denn los? Was ist mit Bärbel?“
Der Vater ergriff das Wort: „Am Samstag ist Bärbel so schwindelig geworden und sie war immer so herum getaumelt. Sie hat ja diese Krankheit, aber so Herumtaumeln, das hatte sie noch nie. Deshalb haben wir den Doktor Günnelmeier angerufen, der ist dann gekommen und hat gesagt, das wäre irgendwas, so wie die Vorstufe für nen Schlaganfall, Bärbel müsse sofort ins Krankenhaus.
Ich hab Nachtschicht gehabt, hab mich beeilt, das Kind noch ins Amonitenkrankenhaus zu fahren, damit ihr schnell geholfen werden konnte. Und dann hab ich da gesessen und gewartet und gewartet, aber es ist keiner gekommen und keiner hat mir was gesagt. Um halb zehn abends mußte ich dann aber los, zur Arbeit. Ich hab denen meine Handynummer gegeben, die Nummer von meiner Frau. Die war ja noch im Kutscherhaus, wo sie Samstag und Sonntag immer bedient. Anni ist dann ins Krankenhaus gekommen und ich bin auf Maloche.“
Anni nickte, schluckte und erzählte: „Das ist ja alles schon am späten Vormittag losgegangen, mein Vater hatte den ganzen Tag nicht geschlafen und mußte dann auf Nachtschicht. Deshalb hab ich ihn im Krankenhaus dann abgelöst. Aber mehr als Warten konnte man nicht. Bärbel haben sie auf die Intensivstation gebracht, die war inzwischen so durcheinander und klagte über so starke Kopfschmerzen, daß wir schon das Schlimmste befürchtet hatten.
Erst gegen Mitternacht kam dann die erlösende Nachricht. Eine Schwester ist zu mir gekommen und hat gesagt, ich könne nach Hause gehen. Bärbel gehe es schon besser. Das sei kein Schlaganfall, dafür gebe es keinerlei Anzeichen. Wahrscheinlich sei das ein sehr starker Migräneanfall oder ein eingeklemmter Nerv im Nacken oder sowas. Jedenfalls würde man sie noch über Nacht auf der Intensivstation behalten und am Sonntagmorgen käme sie dann ganz normal auf die Station 4c.“
„Sie glauben ja gar nicht, wie beruhigt ich war“, sagte Anni.
„Die Arschlöcher“, knurrte Annis Vater dazwischen und erntete einen strengen Blick von seiner Tochter. „Papa, das kannst Du so nicht sagen, die haben doch alles für Bärbel getan.“
„Was haben die denn getan? Die haben gesagt, Bärbel sei gar nicht ernsthaft krank, nur Migräne oder so, und dann haben ’se die auf Station gebracht und heute Morgen lag sie tot in ihrem Bett. Na klasse, so gut haben die sich gekümmert, Phantastisch! Arschlöcher. Die verklag ich! Die krieg ich dran! Die rufen einfach bei uns an und sagen einem knallhart: Ihre Tochter ist heute Nacht verstorben.“
„Bärbel ist tot“, stellte ich fest und fragte: „Und was nun?“
„Was nun? Was nun? Was weiß denn ich?“ sagte der Vater. „Meine Frau ist sowas von fix und fertig, die kann gar nicht her kommen. Wir sollen das alles machen. Die im Krankenhaus haben uns nicht einmal zu Bärbel gelassen, die sei schon weggebracht worden. Wir sollen einen Bestatter beauftragen.“
„Was ist Ihnen denn als Todesursache genannt worden?“
„Nix, die sagen einem doch nix. Der Bestatter kann ab elf Uhr den Totenschein in der Verwaltung abholen und soll 84 Euro mitbringen.“
Ich sagte nichts zu Anni und ihrem Vater, aber mir schien das einer der Fälle zu sein, in denen jemand ernsthaft erkrankt und nachts oder am Wochenende ins Krankenhaus kommt, wenn keine Spezialisten da sind, und der zwar gut untersucht und behandelt wird, wo man aber versucht, ihn schnell auf die zuständige Station zu bekommen, damit sich am Morgen oder am Montag direkt die Fachleute darum kümmern können. Es kommt vor, das habe ich so oft schon gehört, daß dabei aber die Ernsthaftigkeit der Erkrankung nicht erkannt wird und der Patient bis zum Beginn der regulären Schicht bereits tot ist.
Das ist nicht oft so und auch nicht überall, aber es kommt leider eben immer wieder vor. Mir scheint das so, als riefe man bei einem Hausbrand nachts die Feuerwehr und die kommt dann mit drei Handfeuerlöschern und einem VW-Bus, löscht ein bißchen hier, ein bißchen da und sagt: „Das ist nichts Ernstes, wir halten die Flammen mal so ein bißchen in Schach, morgen früh kommen die ganzen Spezialisten, die löschen dann richtig…
Der Vergleich hinkt, ich weiß.
Auf der anderen Seite ist es so, daß mir Angehörige manchmal die abenteuerlichsten Geschichten erzählen, es ist natürlich nicht einfach, den plötzlichen und unerwarteten Tod gerade eines jungen Menschen zu akzeptieren und zu verarbeiten.
Wir wissen, jeder kann jederzeit sterben. Jeder – jederzeit… Manchmal auch einfach so.
Aber das wollen viele Leute nicht wahr haben und unterstellen dann den Ärzten Pfusch und Kunstfehler, obwohl da alles korrekt abgelaufen ist. Man will die Wahrheit nicht wahrhaben.
„Wir fahren nachher zum Krankenhaus, holen Bärbel ab und bringen die Leichenschaupapiere mit“, sagte ich und war darauf gefaßt, Bärbels Vater erklären zu müssen, daß das eben doch vielleicht und wahrscheinlich ein ganz normaler Todesfall gewesen ist.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Manches lässt sich tatsächlich auch nicht rechtzeitig erkennen, das habe ich in zwanzig Jahren oft genug erlebt. Aber gerade dann würde eine Obduktion sinnvoll sein, nur macht das kaum einer…
Richtig wäre es schon. Nicht weil man den Ärzten eine Strick draus drehen wollte, sondern damit man erkennen kann, worauf man ggf. in anderen Fällen achten muss, damit sowas nicht wider passiert oder wenigstens unwahrscheinlicher wird.
Das passiert immer wieder und ich habe selbst so einen Auftritt er- bzw. überlebt. Fein säuberlich habe ich ca. 2 Wochen Schmerzmitteleinnahme und Fieber-Temperatur (immer zwischen 39 und 40°C) dokumentiert, weil mir die extrem starken Kopfschmerzen komisch vor kamen. Und vor allen Dingen wurden sie nicht weniger. Sogar im Uniklinikum in der Notaufnahme war ich stundenlang. Vom frühen Abend bis ca. Mitternacht. Da hats mir gereicht und ich bin abgehauen, weil sich niemand mehr gekümmert hat. Der Arztbesuch am nächsten Morgen, das war ein Mittwoch, und auch ein weiterer am Freitag mit Antibiotikagabe brachte nichts. Erst am Sonntagmorgen, als mein halbes Gesicht vollkommen gelähmt war (Facialis Parese) wurde in der Notaufnahme der Uniklinik jemand wach. Nach einer LP (Lumbal Punktion, Flüssigkeit aus Wirbelkanal entnehmen) stellte man eine verträumte Meningitis (Hirnhautentzündung) fest. Super, aber immerhin wurde ich von da an ca. 3 Tage lang direkt vom Professor persönlich behandelt. Auf meine Frage warum der das macht wurde mir sehr deutlich gesagt, das er sich freut einen so schweren Fall wieder hingebogen zu haben. Die meisten Leute… Weiterlesen »
Hauoha, Winnie. Bin ernsthaft erschüttert.
Letztes Jahr erlebt: 1 Tag in der Notaufnahme, jede Mege Opium, stündliche Untersuchungen durch angehende Ärzte, kein Facharzt dabei, aber kein Befund.
23.00 Uhr dann die Not-OP nach MRT-Befund: Ileus (Darmverschlingung)
Kommentar des Arztes 3 Tage später: Sie haben Glück gehabt, in unserer tollen Uniklinik zu sein, 2 Stunden später wär es vorbei gewesen.
Ah ja. Glück hatte ich ganz sicher.
Und wie Winnie: eine neue Sicht auf’s Leben und Veränderungen, die sich sehr positiv auswirken.
Ich werfe mal 2 Jahre unerkannte Gallenkoliken in den Ring.
Aber mich als Simulant ab zu tun war 2 Wochen vor der Operation die mir das Leben rettete (dem Gallenblasendurchbruch knapp zuvor gekommen usw.) die Krönung.
Genau so kommt man sich ja oft vor, als Simulant. Frechheit die Herren und Damen in weiß überhaupt zu stören.
Herr Doktor, der Simulant von Zimmer 5 ist gestorben.
Jetzt übertreibt er aber wirklich. 😉