Geschichten

Bärbel -4-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Im Amonitenkrankenhaus lief leider nicht alles glatt.
Wir Bestatter sind in den Krankenhäusern bekannt, normalerweise läuft da alles wie am Schnürchen, die Häuser sind froh, wenn wir reibungslos und schnell die Verstorbenen abholen. Etwas anders ist das im „Städtischen Krankenhaus“, das uns immer wieder Steine in den Weg legt und so tut, als seien alle Bestatter völlig überflüssigerweise auf der Welt, denn es gibt ja den gleichfalls städtischen Bestattungsdienst. Das Amonitenkrankenhaus, früher einmal in Trägerschaft eines Nonnenordens, heute einer Stiftung unterstellt, gehört zu den Guten.

Manni fuhr mit dem Bestattungswagen direkt auf den Hof und blieb vor der Schranke einen Moment stehen, es dauerte immer eine Weile, bis der Pförtner am völlig anderen Ende des Komplexes einen auf dem Bildschirm sah. Normalerweise ging da ein heftiger Dialog zwischen dem Pförtner und den Einlaßbegehrenden los, aber bei einem Bestattungswagen schwang immer einfach nur die Schranke hoch. Manni fuhr durch, wendete und setzte rückwärts vor den Ausgang der Leichenkammer. Dort ist nie jemand, außer den Toten und dem Bestatter. Man sucht seine Leiche anhand des beschrifteten Armbändchens, trägt seinen Namen, Datum und Uhrzeit ins Bestatterbuch ein und lädt den Verstorbenen ein. Dann noch ums Gebäude herumfahren, vor dem Haupteingang in zweiter Reihe halten, schnell mit dem Aufzug in den dritten Stock und beim ewig langsamen Herrn Lallinger die Leichenschaugebühr bezahlen.

Doch dieses Mal war alles anders. Im Leichenkeller, einem großen gekachelten Raum mit Kühlhaustür lagen etwa zwölf Verstorbene unter den obligatorischen weißen Tüchern. Damit die Bestatter es einfacher haben, wurden immer mit Kreide auf der Schlachthaustür die Nachnamen der Verstorbenen etwa in der Reihenfolge aufgeschrieben, in der sie im Kalten lagen. Nach der Abholung wischte man einfach den Namen mit der Hand weg. Doch da stand Bärbels Nachname nicht und auch das Nachschauen unter allen zwölf Leinentüchern ergab nur, daß die Gesuchte nicht dabei war.
Das Telefon an der Wand war immer kalt und etwas kondensfeucht. Manni wählte die Null, wartete kurz und fragte dann die Person am anderen Ende nach seiner Verstorbenen.

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Manni lauschte eine Weile, brummte dann nur „Alles klar“ und legte wieder auf. Dann zückte er sein Handy und rief bei mir an: „Chef, es gibt da ein Problem. Die haben die Frau in die Prosektur gebracht, die soll noch mal aufgeschnitten werden.“

Keine zwei Minuten später hatte ich Oberarzt Dr. Mertens am Telefon und erfuhr, daß das ja wohl eine ganz normale Sache sei. Wenn ein so junger Mensch sterbe, frage das Krankenhaus immer bei den Angehörigen nach, ob eine Sektion vorgenommen werden könne. Schließlich sei es doch so, daß man aus jedem Sterbefall etwas lernen könne und die jungen Mediziner müßten ja auch irgendwie was lernen… blablabla.

Bärbels Eltern wußten nichts davon; nein, sie habe niemand gefragt. Der Vater war auf Hundertachtzig, rief sofort im Krankenhaus an und muß wohl eine Riesenschreierei veranstaltet haben.

Am nächsten Morgen konnten wir Bärbel dann abholen, unversehrt, nicht aufgeschnitten. Alles sehr merkwürdig.

Es verging ein halber Tag und Bärbel lag bei uns im Kühlraum. Manni und seine Männer waren im Streß, eine Beerdigung auf dem Ostfriedhof, eine Direktabholung nach einer Trauerfeier auf dem Hauptfriedhof der Nachbarstadt, zwei Urnenbeisetzungen…
So kam es, daß Manni mich erst am Nachmittag in die Werkstatt rief. Sandy und ich fuhren mit dem Aufzug runter und betraten den gekachelten Vorbereitungsraum.
Bärbel lag auf dem Edelstahltisch, über dem Schambereich ein grünes Tuch. Manni stand daneben und deutete auf den Leichnam: „Da guckt Euch das mal an!“

Zunächst fiel mir nichts Besonderes auf, ich hatte Bärbel logischerweise noch nie unbekleidet gesehen, doch Mann trat an den Tisch, drückte seitlich Bärbels Bauch und Hüftpartie etwas zusammen, um zu zeigen, wie aufgequollen die junge Frau war. Dann griff er über die Tote, faßte sie an einer Seite, um sie etwas herum zu drehen und wir konnten den Rücken sehen.
Wenn der Blutkreislauf bei einem Toten zum Stillstand gekommen ist, sackt das Blut im Körper an die tiefste Stelle und wird dort auch durch die Haut sichtbar, es entstehen die typischen Leichenflecken.
Bleibt der Leichnam nach dem Tod in Rückenlage, was bei Krankenhauspatienten der Normalfall ist, sind die Flecken logischerweise auf der Körperrückseite.

Doch was wir hier bei Bärbel zu sehen bekamen, war völlig ungewöhnlich, so starke Einblutungen in das Gewebe, so große Leichenflecken – das hatte noch keiner von uns gesehen.

Sandy preßte die Luft zischend aus ihren Lungen, schnalzte dann mit der Zunge und meinte an mich gewandt mit fragendem Unterton: „Ich glaube, das ist ein Fall für den Staatsanwalt, normal ist das jedenfalls nicht.“

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(©si)