Allgemein

Beruferaten

Walle walle, knille knalle, die hat’se doch nicht alle!

Ich habe doch schon mal geschrieben, daß die Leute die zu uns kommen ja meistens in einer psychischen Ausnahmesituation sind und wir uns im Bewußtsein dieser Tatsache einerseits entsprechend überkorrekt verhalten und andererseits diversen Macken und Schrägdenkweisen durchaus tolerant gegenüberstehen.

Aber die, die gerade aus meinem Laden raus ist, die hat den Vogel abgeschossen.

Werbung

Am Telefon: „Mein Schwiegervater ist tot, ich muss mich jetzt um alles kümmern, wann haben Sie Zeit?“

Nachdem ich das Übliche gesagt habe, höre ich: „Ich bin in fünf Minuten da, bitte halten Sie sich bereit, ich habe nicht viel Zeit, ich muss dann nämlich in meine Praxis.“

Sie kam dann auch nach gut fünf Minuten, ignorierte meine zum Gruß ausgestreckte Hand, schüttelte stattdessen ihr langes, feuerrotes Haar und meinte nur: „Lassen Sie uns ohne Umschweife zum Thema kommen, meine Patienten warten!“

Normalerweise gehe ich mit den Kunden zunächst am Ausstellungsraum vorbei in eines der Beratungszimmer, damit wir mal die ersten Formalitäten erledigen können. Damit die Leute sich nicht verirren, besonders Frauen haben ja manchmal so ihre Probleme mit rechts und links, sage ich dann gerne so einen höflichen Quatsch wie: „Ich darf mal vorausgehen…“ oder auch mal „Wenn Sie mir freundlicherweise folgen würden…“
So auch heute und ich gehe voraus, bleibe dann an der Tür zum Beratungszimmer 2 stehen und stelle fest, daß die Feuerrote nicht mehr da ist. Also gehe ich den kurzen Gang zurück und entdecke sie im Ausstellungsraum. Ich weiß jetzt nicht, ob sie gar nicht bemerkt hat, daß ich woanders hingelaufen bin, ich vermute aber, daß es sie einfach nicht interessiert hat.

„Sind das etwa alle Särge, die Sie haben?“

Ich erzähle ihr, daß wir noch viel mehr haben und sie gerne noch einen Blick in den Katalog werfen kann und ernte dafür eine wegwerfende Handbewegung.

„Ist das Buche? Ich liebe Buche! In meinem Wartezimmer habe ich eine Truhe aus Buche.“

Sie steht vor einem Sarg aus Birkenfurnier und folgerichtig will ich sagen: „Das ist Birke“, komme aber nur dazu zu sagen: „Das ist B…“,
dann schneidet sie mir das Wort ab und sagt: „Sag ich doch! Buche! Also schreiben Sie das mal auf, sonst vergessen Sie das hinterher noch!“

Weil ich noch nicht im Beratungszimmer war, habe ich auch noch nichts zum Schreiben und sage: „Ich merke mir, welchen Sarg sie ausgewählt haben.“

„Das wird nicht reichen, guter Mann, ich habe so meine ganz klaren Vorstellungen und die möchte ich Ihnen jetzt mitteilen. Wenn Sie sich das nicht aufschreiben, dann vergessen Sie nachher die Hälfte und dann geht alles in die Hose. Ich sage zu meinen Sprechstundenhilfen auch immer: ‚Wer schreibt der bleibt!'“

Das Ganze wird gefolgt von einer Handbewegung, die da wohl „Hopp, hopp!“ heißen soll.
Ich ignoriere das und frage, an welche Innenausstattung sie gedacht hat.

„Sagen Sie mal, sind Sie der Fachmann oder ich? Mit solchen Nebensächlichkeiten will ich mich nicht aufhalten. Kommen Sie bitte mal auf den Punkt!“

Mir doch egal, dann scheibe ich nachher eine mittlere Ausstattung auf, vielleicht die graue, die hängt schon länger und die will sonst keiner. Und grau ist eine gute Wahl, das merke ich, als die Kundin sagt: „Und bitte nichts Weißes, ich bin den ganzen Tag von weißen Kitteln umgeben.“

„Wie sieht es denn mit der Kleidung für den Verstorbenen aus?“, will ich wissen und ernte ein Stirnrunzeln und einen Gesichtsausdruck, was zusammen eindeutig zum Ausdruck bringt, daß diese kluge Frau noch niemals zuvor in ihrem Leben einem größeren Idioten als mir begegnet ist.

„Sie wissen schon, daß es sich um meinen Schwiegervater handelt, also um einen Mann, dem wollen Sie ja wohl nicht so ein lächerliches Totenhemdchen anziehen. Wir werden meinem Schwiegervater einen Anzug anziehen lassen, das wird seinem Stand gerecht, schließlich kommen ja auch die Herren vom Institut, alles Akademiker.“

Akademiker bin ich auch, du dumme Pute, denke ich, sage aber: „Gewiss doch.“

„Höre ich da ein leichtes Seufzen in Ihrer Stimme?“ raunzt mich meine Kundin an. „Ist es Ihnen zu mühsam, meine Wünsche entgegenzunehmen?“

Ich denke: Mir ist es gleich nicht mehr zu mühsam, dich gemeinsam mit deinem Schwiegervater in die Kiste zu klopfen, du Schnepfe!
Da man aber sowas nicht zu seinen Kunden sagt, ziehe ich vor, nur unverbindlich zu lächeln und erkundige mich stattdessen, ob sie an eine Beerdigung oder eine Einäscherung denkt.

„Woran ich denke? Ich würde wetten, daß Sie das nicht nachvollziehen können, woran ich gerade denke. In meiner Praxis sitzt das Wartezimmer voll und ich muß mich hier mit Nebensächlichkeiten herumschlagen. Ich hatte eigentlich gedacht, daß Sie mir mehr behilflich sind.“

Genug ist genug!

„Ich wäre Ihnen ja gerne behilflich und Sie könnten sich, für den Fall, daß Sie weniger arrogant und rotzfrech auftreten würden, sicherlich auch auf unsere Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft verlassen. Aber offenbar haben Sie gar kein Interesse daran. Vielleicht wäre Sie doch bei einem anderen Bestattungsinstitut besser aufgehoben.“

Sie schnaubt nur und ich sehe, wie ihre Nasenflügel beben, also setze ich noch nach:

„Was glauben Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben? Was haben Sie eigentlich gefrühstückt, daß Sie glauben, mit mir in diesem Ton reden zu können? Sie kommen hier in mein Haus und führen sich schlimmer auf, als ein kleines verzogenes Mädchen!“

So, jetzt wird sie die Handtasche wieder so über die Schulter ziehen, sich umdrehen und wutschnaubend mein Haus verlassen. Soll sie doch!

Sie schaut mich von oben bis unten an, vermutlich überlegt sie, was sie mir jetzt wieder an den Kopf werfen kann. Na und? Soll sie doch, frech sein, kann ich nämlich auch!

Die Rothaarige schluckt, atmet einmal tief durch und sagt dann: „Vielleicht sollten wir die Formalitäten erledigen und dann sagen Sie mir, wie es weitergeht.“

Das Lächeln, das mir auf die Lippen huscht, hat Mühe, nicht triumphierend auszusehen und ich versuche es in Richtung „gütige Milde“ hinzubekommen, trete zurück und weise ihr den Weg zum Beratungszimmer.

Ganz geduldig lässt sie sich durch das gesamte Beratungsgespräch führen, kein aufmüpfiges Wort kommt über ihre Lippen und sie lässt es sogar über sich ergehen, daß ich ihr alles doppelt vorlese und abzeichnen lasse. Sogar den Satz: „Und wenn Sie mir freundlicherweise bis heute Nachmittag eine Anzahlung von 2.000 Euro zukommen lassen, dann ist alles soweit perfekt.“

Beim Abschied nimmt sie sogar meine Hand und murmelt ein „Danke“ und wenn ich recht gesehen habe, spielte sogar kurz ein Lächeln um ihre Lippen.

Seltsame Frau! Was die wohl von Beruf sein mag?

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#beruferaten

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)