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Bestatter im SPIEGEL

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Es ist noch früh am Tag, eigentlich viel zu früh, um schon wach zu sein und ganze deutsche Sätze zu sprechen und zu verstehen. Aber was will man machen, wenn die Kunden anrufen, müssen Bestatter raus.

Okay, es gibt Kollegen, und das sind gar nicht mal wenige, die waren seit Jahrzehnten nachts nicht draußen, die schieben sich alle Termine in halbwegs christliche Dienstzeiten, aber wir machen das nicht. Wir machen das deshalb nicht, weil uns vor ewigen Zeiten mal ein Auftrag durch die Lappen gegangen ist, weil wir nicht sofort gekommen sind. „So, wir warten jetzt schon über eine Stunde, betrachten Sie die Angelegenheit als erledigt, wir haben die Pietät Eichenlaub angerufen.“

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen.

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Es ist also noch sehr früh, ich sitze im kleinen Büro unserer Filiale 2 und fülle unsere Unterlagen aus. Zuvor war ich bei einer Familie in der Nähe gewesen und bin mit den Leuten kurz in die Filiale gefahren, damit sie sich den Sarg „in echt“ angucken können.

Gerade ist die Sonne aufgegangen, ich sitze da und schreibe, da nehme ich im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Besonders schreckhaft bin ich nicht, aber ich glaube, daß dieses Gefühl jeder kennt. Eine undefinierbare Bewegung, die man im Augenwinkel wahrnimmt, mehr ahnt als daß man sie sieht und an einer Stelle, an der sich sonst nichts bewegt.

In diesem Fall ist die Bewegung vor dem Fenster des kleinen Büros. Ich fahre herum, mehr ein Reflex als wirkliches Erschrecken, und sehe, daß von oben jemand einen Besenstiel mit einem daran montierten Taschenspiegel vor unser Fenster hängen lässt.

Ich drehe den Kopf ein bißchen und sehe in dem Spiegel schemenhaft das Gesicht des Rentners von oben.

So ganz besonders flink bin ich ja nicht, aber flink genug, um das Fenster aufzumachen, den Besenstiel zu schnappen und kräftig daran zu ziehen. Von oben ertönt ein lautes ‚Aua‘, sonst ist nichts mehr zu sehen. Ich betrachte die Konstruktion. Es ist tatsächlich gar kein Besenstiel, sondern eine nahezu zwei Meter lange Latte. Am unteren Ende ist mit Knetmasse und Isolierband ein kleiner Spiegel halbschräg befestigt.
Offenbar nimmt der Rentner das Ding, um seine Nachbarn zu beobachten.

Aber darüber muß ich gar nicht spekulieren, denn es dauert keine 20 Sekunden, da klopft es an der Verbindungstür zum Flur. Ich mache auf und vor mir steht jener besagter Rentner. Er trägt eine gestreifte Schlafanzughose, blauweiße Asiletten, ein Feinrippunterhemd und jede Menge Zorn im Gesicht. „Sie, Sie geben mir jetzt sofort meinen Spekulator wieder!“

„Guten Morgen, Herr Heidrichs“, sage ich und grinse ihn an.

„Nix da guten Morgen, das ist sich ein Diebstahl, also her damit!“

„Genau genommen ist es sogar Raub.“

„Jetzt werden Sie mal nicht frech, her mit meinem Spekulator.“

„Sie meinen diesen Spiegel mit dem sie die Leute beobachten?“

„Das ist meiner!“

„Sicher, aber darf man das denn?“

„Na hören Sie mal, das ist ja wohl selbstverständlich, daß man das darf. Einer muß hier doch für Ordnung sorgen.“

„Und da beobachten Sie ihre Nachbarn.“

„Beobachten? Ich kontrolliere alles, sonst haben wir hier bald Soda und Gomorrha!“

„Wenn Sie mit dem Spiegelchen in andere Wohnung spicken, dann verhindern sie das, ja?“

„Es ist ja wohl selbstverständlich, daß hier einer für Recht und Ordnung sorgt. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder macht was er will.“

„Ich glaub‘, Sie spinnen. Sie können doch nicht einfach alle Leute beobachten.“

„Mach ich ja auch nicht. Ich nehme nur meine Pflichten wahr. Schließlich ist man den Behörden gegenüber verantwortlich, wenn man nichts weiß. Nachher werden irgendwo noch Kinder mißbraucht oder jemand ist ein Sozialschmarotzer, und das muß man doch melden.“

„Ich gebe Ihnen Ihren Spekulator wieder zurück, aber ich werde allen Leuten sagen, was Sie damit machen.“

„Das können Sie ruhig, das Ding ist sowieso Mist, weil man nichts hört. Früher gab es diese Apparate, mit denen man beim Telefonieren lauthören konnte, erinnern Sie sich?“

Ja, ich erinnere mich an diese Geräte. Er hat Recht, früher gab es nur Telefone mit Wählscheibe und wenn man den vermeintlichen Luxus des Lauthörens haben wollte, kaufte man sich so einen Apparat. Da mußte man einen Saugnapf ans Telefon bappen und das Gerät verstärkte dann die Signale und machte lautes Mithören möglich.

Der Rentner fährt fort: „So einen habe ich mir gekauft gehabt und wenn ich im Keller an den Hausanschlüssen genau gesucht habe, konnte ich da mit meinem Lauthörer alles Gespräche mithören. Seit es aber diese modernen Telefone gibt, geht das nicht mehr.“

Er macht ein enttäuschtes Gesicht.

Soll ich dem Alten jetzt die Leviten lesen? Soll ich ihm die strafrechtliche Seite erläutern? Hätte das überhaupt Zweck?
Ich glaube, ich mache das wirklich so, daß ich den anderen Leuten im Haus einfach Bescheid sage, dann können die entscheiden, wie sie sich gegen den Blockwart wehren.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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(©si)