Menschen

Das Haus in der Vorstadt

Wenn ich im Südviertel zu tun habe, dann komme ich in die Gegend mit den freistehenden Einfamilienhäusern, den gepflegten Vorgärten und den Grundstücken, die so breit sind, daß es genügend Parkplätze gibt.
Mittlerweile ist das Viertel recht durchwachsen bewohnt, die Hälfte der Leute sind älter, die andere ist jung.
Wenn die Älteren sterben, dann kommen Junge nach, so ist das eben im Leben. In den seltensten Fällen handelt es sich aber bei den jungen Leuten um die Kinder der vorherigen Hausbesitzer. Die sind schon vor Jahren weggezogen, haben eigene Häuser, oft in weit entfernten Städten und gar kein Interesse an einem kleinen Vorstadthaus in grüner Idylle.

Die erben verkaufen die Häuser fast alle über die etwas schleimige Immobilienmaklerin Monika Zimmerlein. Mit ihrer etwas heiseren Stimme, der ewigen weißfiltrigen Damenzigarette zwischen den Fingern und dem kleinen Tick zuviel Makeup im Gesicht, strahlt sie nicht gerade das aus, was man unter Seriosität versteht. Um es vorsichtig zu formulieren: Sie wirkt eher wie eine Dame, die Männern vom Straßenrand aus schlüpfrige Angebote macht.

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Aber gut, was soll ich sagen? Ich komme ja auch daher, wie ein schwergewichtsboxender Kantinenkoch mit 40 Jahren Currywursterfahrung. Oder wie Antonia es über sich selbst sagt: „Mein zarter Geist ist gefangen in einem Teufelskreis aus Kalorien und Fettzellen. Innen drin bin ich ganz dünn, aber das sieht keiner.“

Man soll nicht unbedingt voreilige Schlüsse aufgrund des Äußeren ziehen, das ist klar, aber Hinweise kann einem die Erscheinung schon geben.

Aber gut, mir hat Frau Zimmerlein noch nie etwas getan und die etwas über 800 Euro, die sie unserem Haus noch von der Beerdigung ihrer Frau Mutter schuldig geblieben ist, wird sie mir sicherlich auch irgendwann mal zahlen.

Doch um Frau Zimmerlein geht es gar nicht, wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande.
Es geht um das Ehepaar Nüsselein. Angefangen hatte alles bei den Reibolds in Haus Nummer 4. Die hatten bei uns angerufen und sich jemanden „wegen der Totenbeerdigung“ ins Haus bestellt. Mit anderen Worten, sie haben eine Bestattungsvorsorge abgeschlossen.
Die Reibolds waren sehr nette Leute und mit meiner Beratung sehr zufrieden. Ich hatte ihnen die Abläufe genau erklärt, sie haben alles in bar auf ein Sparbuch eingezahlt und nachdem alles besprochen, geklärt und vertraglich fixiert war, muß das alles für sie so klasse gewesen sein, daß sie sich in kurzem Abstand zu Sterben hinlegten. Er sie, dann er.
Sowas kommt vor.

Die anderen älteren Leute aus der Nachbarschaft sind natürlich alle auf der Beerdigung gewesen. Nun bilde ich mir ein, daß wir jede Trauerfeier individuell und besonders schön machen. Aber ich muß auch zugeben, daß einem diese Standardbeerdigungen hochbetagter alter Menschen mit zehn bis zwölf Trauergästen schon sehr routiniert von der Hand gehen. Da müssen wir als Bestatter natürlich auch nicht das Rad jedes Mal neu erfinden, sondern das spulen wir und der Friedhof schon ziemlich routiniert ab.
Mehr Elan entwickelt man logischerweise bei Sterbefällen, die einem selbst zu Herzen gehen, die eine Story haben oder bei denen es um junge Menschen geht.
Es ist doch klar: Das Sterben gehört zum Leben dazu, es wartet auf jeden von uns. Es ist somit nicht wirklich etwas Besonderes und wenn es doch etwas Besonderes ist, immerhin kommt es in jedem Leben nur ein einziges Mal vor, dann nimmt seine Besonderheit mit jedem Tag den wir leben ab.
Um den Tod eines 89jährigen Tattergreises wird demnach längst nicht soviel Palaver veranstaltet, wie um das Dahinscheiden eines 41jährigen Familienvaters.

Bei den Reibolds war es ja nun so, daß ich erst kurz vor deren Tod bei ihnen war, mich noch sehr gut an den leckeren Mohnkuchen von Frau Reibold und den in der Laube schwarz gebrannten Schnaps von Opa Reibold erinnerte und mir somit immerhin ein empathisches „Ach was?“ entfuhr, als Sandy mir die Sterbemeldungen der beiden in etwa 14tägigem Abstand auf den Tisch legte.
Vielleicht haben wir uns deshalb etwas mehr Mühe gegeben, obwohl die Leute auch schon an die 90 waren.
Also gut, die Reibolds liegen auf dem Friedhof und haben ihre letzte Ruhe gefunden und nun kommen die anderen älteren Herrschaften aus deren ehemaliger Nachbarschaft der Reihe nach und möchten auch so schöne Beerdigungen wie die Reibolds.

So komme ich nun endlich auf die Nüsseleins zu sprechen. Mann, bis man manchmal beim Erzählen so die Kurve kriegt… Meine allerliebste Frau schimpft mich ja immer einen wortkargen alten Tünnes, die müßte mal mein geschriebenes Gelaber sehen…
Also: Immer wenn ich da ins Südviertel komme, fällt mir auf, daß vor dem Haus des Ehepaares Nüsselein der große hellgelbe Geländewagen der Frau Zimmerlein steht. (Daß die alle Namen haben, die auf -lein enden, ist ein tatsächlich realer Zufall, auch wenn der Teil vor dem -lein verändert wurde.)
Ich frage ein anderes älteres Ehepaar, warum denn die Zimmerlein immer bei denen wäre.
Ja, hieß es, die Nüsseleins wollen ihr Haus verkaufen und jetzt sei gerade die Frau Zimmerlein mit Interessenten da. Es kämen da ständig junge Ehepaare, mal mit der Zimmerlein, mal ohne, um sich das Haus anzuschauen. Das sei ein ständiges Kommen und Gehen.

Irgendwann waren dann die Nüsseleins an der Reihe, auch sie hatten sich bei uns gemeldet, um eine Vorsorge abzuschließen. Das sei gerade bei ihnen besonders wichtig, da ihre einzige Tochter mit ihrer Familie 180 Kilometer entfernt wohne und sich um nichts kümmern könne.
Und während ich mit Ehepaar Nüsselein in der Küche sitze und selbstgebackene Puddingschnecken esse, klingelt es und Maklerin Zimmerlein schneit mit zwei jungen Leuten herein.
„Lassen Sie sich nicht stören, wir flitzen mal eben durch“, sagt sie und das Haus wird beinahe durch die duftige Fülle eines süßlichen Parfums gesprengt, das die Zimmerlein quasi rammbockartig umgibt. Dieses Parfum nimmt man nicht einfach nur wahr, nein, es prügelt sich quasi durch die Nase direkt ins Hirn und erregt im Sprachzentrum genau diese eine Synapse, in der das Wort Nutte gespeichert ist.
Ich weiß gar nicht, wie man auf so hohen und dünnen Absätzen laufen kann. Die Zimmerlein kann es und stakst mit den jungen Leuten nach oben.

Seit Monaten versuchten sie nun ihr Haus zu verkaufen, sie selbst wollen sich ja kleiner setzen, erzählen mir die Nüsseleins und aufs erste Höre macht das ja auch Sinn. Nur wenn man einmal richtig überlegt, dann kommt man irgendwie darauf, daß das Haus das sie bewohnen, ja so groß eigentlich gar nicht ist. Nun gut, vielleicht sind es die Treppen, vielleicht ist es der Garten…
Die Zimmerlein kommt eine Weile später mit dem jungen Paar herein.
Die junge Frau hängt selig grinsend am Arm ihres Mannes und der ist auch ganz aufgeregt. Das sei genau das Haus, das sie schon seit drei Jahren suchen. Es sei geradezu ideal und es passe alles. Das Haus würden sie jetzt auf der Stelle und vom Fleck weg kaufen.
(Übrigens stammt die Redewendung „vom Fleck weg“ aus alten Zeiten, als es noch junge, polnische Reinigungsfachfrauen gab, die in chemischen Reinigungen die Flecken beseitigten. Wurde so eine dann geehelicht, hatte man sie vom Fleck weg geheiratet.)

Frau Nüsselein machte einen spitzen Mund und Herr Nüsselein sagte den jungen Leuten, sie kämen gewiss in die engere Auswahl, man wolle sich aber noch zwei oder drei andere Bewerber anschauen.

Einige Wochen später bin ich wieder bei den Nüsseleins. Vor dem Haus der gelbe Geländewagen mit dem Sylt-Aufkleber hinten drauf, der ja bekanntermaßen für „blöd und reich“ steht. Schon vor dem Haus nehme ich den schwer aufgetragenen Nuttendiesel der Frau Zimmerlein wahr und im Haus treffe ich wieder auf ein junges Ehepaar im Schlepptau der drallen Maklerin.
In der Küche die Nüsselein und ich höre noch, wie sie den jungen Leuten wieder einmal sagen, sie müssten sich das noch überlegen, es gäbe da noch weitere Bewerber.

Bis dahin klingt ja noch alles ganz normal, aber als die Zimmerlein dann mit den Kaufinteressenten verschwunden ist, spreche ich die Nüsseleins doch auf diese dauernden Besuche der Maklerin und der Interessenten an.
Hm, und da stellt sich etwas ganz anderes heraus.
In Wirklichkeit wollen die Nüsseleins nämlich ihr Haus gar nicht verkaufen. Für dieses Häuschen haben sie lange geschuftet, jetzt ist es seit ein paar Jahren endlich abbezahlt und warum sollten sie es her geben wollen, so groß ist es ja nun wirklich nicht.
Nein, es geht denen um etwas ganz anderes.
Sie möchten gerne, daß ihre Tochter sich entscheidet und in dieses Haus zieht. Sie selbst wollen dann in die zwei kleinen Zimmer unterm Dach ziehen, sind dann versorgt und hätten Tochter, Schwiegersohn und Enkelkind immer in der Nähe.
Und weil die Tochter nun partout nicht will, erhöhen sie nun den Druck, indem sie so tun, als ob sie das Haus ganz billig an Fremde verkaufen.

Irgendwie kann ich die Alten ja verstehen. Aber mir tun die vielen jungen Paare leid, die sich Hoffnungen auf das kleine Häuschen machen und vollkommen vergebens zur Besichtigung hergekommen sind.
Nur um alten Leuten etwas die Zeit zu vertreiben und ein paar Argumente für die Tochter zu liefern…

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(©si)