„Das musst Du mit dem üben!“, sagt die Allerliebste und tippt sich an die Stirn.
Vorausgegangen war dieser Aussage, dass ich beim Abendessen davon erzählt hatte, dass an diesem Tag eine adelige Familie die Beerdigung ihres Patriarchen bei uns in Auftrag gegeben hatte.
Fridolin von Bottenheim-Grunzbusch hat immerhin das 96ste Lebensjahr erreicht, bevor ihn ein Schlaganfall ins Jenseits überführt hatte. Zeitlebens hatte sich der Adelige der Verwaltung der Güter und Wälder seiner bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgbaren Familie gekümmert und damit seiner Sippe einen beständigen Reichtum gesichert. Sein Sohn Bochthold von Bottenheim-Grunzbusch hatte eine Freifrau von Guntram-Babenhuusen geehelicht und aus dieser Marriage ist der mir an diesem Nachmittag gegenübersitzende Flothold von Bottenheim hervorgegangen.
Er ist gekommen, um die standesmäßige Beerdigung seines Großvaters zu organisieren. „Das Wichtigste ist, dass das Tuch keinesfalls Schaden nimmt und der Orden ganz sorgfältig behandelt wird.“
Das Tuch von dem er spricht, hat er mitgebracht. Es ist ein schwarzer Umhang mit einem weißen Malteserkreuz auf der linken Seite über dem Herzen. Diesen Umhang habe sein Opa mit großem Stolz getragen, denn er sei ein Rechtsritter vom Heiligen Kreuz gewesen, oder so.
Jedenfalls gebe es da einen Orden, der sich in der Nachfolge der Kreuzritter sehe und dem nur die reichsten, besten und überhaupt nobelsten Menschen angehören, die jemals unter unserer Sonne gewandelt haben.
Nur zu den festlichsten Anlässen würde dieser Umhang, der auch schon in Jerusalem gewesen sei, überhaupt getragen und es sei sowieso nur ganz wenigen Erdenbürgern vorbehalten, dieses wertvolle textile Juwel überhaupt tragen zu dürfen.
Bei der Beerdigung solle der Mantel oben auf dem Sarg drapiert werden, müsse aber vor dem Ablassen des Sarges abgenommen und hinterher der Familie übergeben werden.
Oben auf dem Mantel sei bitteschön das Ordenskreuz, ein weißes Kreuz zum Anstecken, zur Schau zu stellen, welches unbedingt an ihn zu übergeben sei, denn es müsse an den Ritterorden zurückgegeben werden.
Es folgen die üblichen in solchen Kreisen meist gewünschten Anweisungen hinsichtlich des üppigen Blumenschmucks, der Auswahl der Musik und bezüglich der zahlreichen erwarteten Trauergäste, die „zu einem Großteil aus dem Adel, dem hohen Klerus und der Politik, wie auch der Unternehmerschaft“ stammen würden.
Die Orgel wird der Kantor einer berühmten sächsischen Kirche bedienen und für das Ave Maria kommt die weltberühmte Frau Maria Nipko-Popolecko aus irgendeiner ehemaligen Sowjetrepublik.
Am Grab soll dann der Enkel eines Kriegskameraden des Verstorbenen ein „wundervolles Stück“ auf dem Dudelsack spielen.
Das alles erzählte ich der Allerliebsten und erklärte ihr, dass ich dem Friedhofsverwalter, Herrn Nocker, zwanzig Euro geben werde, damit er bei der Beerdigung im rechten Moment den heiligen Mantel und das kleine Ansteckblech vom Sarg nehme.
Und daraufhin sagte sie: „Das musst Du mit dem üben!“
Am Tag vor der Beerdigung stehen Loretta, die Gärtnerin, und Herr Nocker mit mir neben dem geschlossenen Sarg des adeligen Mantelmanns.
Ich erkläre Herrn Nocker den Ablauf, so wie wir ihn geplant haben. Mit großen Augen nickt er und ich habe tatsächlich einen Moment lang das Gefühl, als verstünde er, um was es geht. „Und wer soll da singen?“, fragt er. Ich sage ihm den Namen der angeblich weltberühmten Sopranistin und füge hinzu: „Die soll sogar schon an der MET gesungen haben.“ Ich weiß bis heute nicht, ob Nocker einen Spaß gemacht hat, jedenfalls sagt er: „Für ein Mettbrötchen würde ich auch singen!“ Er lacht meckernd und unterstreicht seine Überzeugung, etwas Kluges gesagt zu haben, indem er sich am Hintern kratzt. Das macht er ja immer so.
Und dann deutet er auf die kleine Pfeifenorgel hinten rechts und hebt warnend den Zeigefinger. „Mit die Orgel, datt wird noch so ’ne Sache! Is‘ egal, ob da ein Kanton kommt, die klingt nicht gut.“
„Das kommt kein Kanton, sondern ein Kantor, das ist der musikalischer Leiter einer berühmten Kirche. Was ist denn mit der Orgel?“
„Ach, an und für sich is datt ne schöne Orgel, aber zwei von den dünnen Pfeifen sind mit Vogelkacke zugeschissen und in der langen dicken Pfeife steckt ne tote Taube drin, die krich ich nich mehr raus, die is noch zu frisch. Erst wenn die verwest is, kann ich die mitt’em, Schlammsauger raussaugen.“
Wir wenden uns dem Sarg, dem Tuch und der Ordensbrosche zu.
„Unten am Fuß mach ich das Sarggesteck fest und dann könnt ihr oben am Kopfende Euren Mantel auf den Sarg legen“, meint Loretta. Wir probieren das, doch der samtig, seidige Mantel rutsch immer wieder auseinander und vom Sarg.
Das Problem liegt darin, dass das weiße Kreuz auf der linken, vorderen Seite ist und bei der Trauerfeier aber zentral, mittig sichtbar sein soll.
„Wie machst Du das Sarggesteck fest?“, erkundige ich mich bei Loretta und sie sagt: „Das tackere ich fest. Ich mach das alles. Ich komme morgen früh, tackere mein Gesteck fest und lege den Mantel mit dem Orden auf den Sarg.“
Ich schaue mich in der Trauerhalle um und entdecke hinten links die Korkwand mit den Aushängen. Von dort hole ich fünf Heftzwecken. „Damit kannst Du den Mantel unauffällig befestigen, sodaß er nicht runterrutscht und Sie, Herr Nocker, können mit einem leichten Ruck dann den Mantel wegziehen.“
Loretta nickt, drapiert den Mantel kunstvoll auf dem Deckel und setzt die Reißzwecken an genau die richtigen Stellen. „Ich glaub ja nicht, dass das hält, tackern wäre doch besser“, meint sie.
Herr Nocker übt das Bergen des Ordens und des Mantels. Er zieht am Zipfel des Tuches und wie erhofft lösen sich die Heftzwecken und geben den Mantel frei. Dann steht er da und hält vor Stolz grinsend den Mantel und das Ordenskreuz in den Händen.
Na also, klappt doch!
Wie vorausgesagt erscheinen am nächsten Tag unglaublich viele Trauergäste. Etliche davon tragen ebenfalls einen solchen schwarzen Umhang und stellen sich links und rechts vom Sarg in Reih‘ und Glied auf.
Auf dem Parkplatz der Trauerhalle sieht es aus, wie auf der Weltausstellung der Mercedes S-Klasse.
Es gibt keine staatsbürgerlichen Vereinigungen, keine Parteien, keine Vereine und kein DAX-Unternehmen, die keinen dicken Kranz geschickt hätten. Sechs langatmige Reden werden gehalten, Frau Nipko-Popolecko singt ganz hoch und hervorragend und der Organist entlockt der alten Friedhofsorgel nie gekannte und sogar sehr schöne Töne.
Dann geht es zum Grab.
Es gibt ein kurzes Gerangel, als vier Kreuzmantelträger sich ans Grab drängen, um den Sarg in die Grube ablassen zu können. Aber die städtischen Friedhofsbediensteten setzen sich durch. So stehen sie da, die Taue in den Händen und warten, bis der Pfarrer die letzten Worte für Fridolin von Bottenheim-Grunzbusch, Rechtsritter vom Heiligen Gral, Gollum von Jerusalems Gnaden und Träger des bebandeten Bundesapfelweinbembels gesprochen hat. Nach sieben oder acht Minuten ist das der Fall und der Pfarrer klappt sein Büchlein zu.
Würdevoll stiefelt der Nockermann an den Sarg heran, während es aus dem Dudelsack, ganz dem Namen des Instruments entsprechend, sackgrausig dudelt. Der Gott der Intonalität heißt bekanntlich Kakophonos und er hätte an diesem Röhrengeplärre, hervorgepresst aus einem mit schottischem Stoff bezogenen Hammelmagen, seine wahre Freude gehabt. Der Dudelsack an sich ist ein durchaus bemerkenswertes Instrument und wenn man ihn spielen kann, entlockt man ihm sicherlich mitunter auch sehr schöne Melodien. Doch der dicke Scheinschotte aus Castrop-Rauxel, der ihn an diesem Tag spielt, bringt es nicht fertig, dem Blasesack auch nur einen einzigen zum vorherigen Ton passenden Notenbestandteil zu entlocken. Es klingt quäkend, jämmerlich und nicht nur schief, sondern regelrecht schmerzerzeugend. Das mag daran liegen, dass Dudelsäcke vornehmlich für schottische Weisen geeignet sind und nicht unbedingt für ein eher nach Stalingrad zu verortendes Kameradenlied.
Trotzdem behält der Friedhofswärter seinen würdevollen Schritt bei und ist am oberen Ende des Sarges angekommen. Seine rechte Hand greift den dafür vorbereiteten Zipfel des Kreuztuches und dann schaut er mich abwartend an. Er harrt auf mein Signal, um dann wie vereinbart und geübt, das wertvolle Tuch mit einer galanten Bewegung vom Sarg zu ziehen.
Direkt danach würde er das hochheilige Ansteckkreuz vom Tuche zupfen, damit wir anschließend der adeligen Sippschaft das gefaltete Tuch und die Schatulle mit dem Orden überreichen können.
Der Dudelschotte schottet noch eine aus dem Bereich der Grenzdebilität stammende Komposition aus dem Sack und ich habe das Gefühl, als würde der eine oder andere aus dem langen Quäkrohr entströmende Ton mein kurzgeschnittenes Haupthaar in Vibrationen versetzen.
Ganz ehrlich: Der Mann entlockt mit aufgeblähten Wangen dem Beutelsack nur ein Geräuschgerümpel, das an eine Herde meckernder Ziegen erinnert, die vor Hunger fast umkommen. „Mäckäääärääää, gäraaaaa, määääääh!“
Doch dann endet der schreckliche Melodienreigen und der Ersatzschotte ist fertig. Mit einem ans Schweinekeulen erinnernden Geräusch presst er die letzte im Presssack verbliebene Luft durch die nasalen Röhren, verbeugt sich galant und tritt zwei, drei Schritte zurück.
Ich nicke Herrn Nocker, dem Friedhofswärter, zu und er wiederum gibt völlig diskret den vier Sargträgern das Kommando zum Ablassen des Sargs, indem er laut „Hopp“ sagt.
Die vier Helfer ziehen die Taue straff, zwei Bretter unter dem Sarg werden weggezogen, dann soll der Sarg langsam in die Grube sinken, während Herr Nocker seinen Zaubertrick mit Tuch und Orden vollzieht.
Ich weiß heute gar nicht mehr, ob ich es zuerst sah oder hörte…
Herr Nocker hat die Zunge zum Mundwinkel herausgestreckt, die Augenbrauen hochgezogen und zieht am heiligen Tuche. Es entfaltet sich etwas und ich sehe das gar Schreckliche!
Die Gärtnerin hat den maltesischen Lappen nicht wie vereinbart mit zwei, drei Heftzwecken ganz vorsichtig fixiert, sondern auf rund einem Meter Länge mit schätzungsweise 126 Tackernadeln nahezu unlösbar und für alle Ewigkeiten mit dem Sarg verbunden. Das Tuch gibt ein reißendes Geräusch von sich. Der Sarg senkt sich weiter, Herr Nocker muss einen Schritt vortreten und ich sehe ihm an, dass er dieses Tuch auf gar keinen Fall loslassen würde. Nun steht der Mann aber dadurch vor der Entscheidung, die bombenfest sitzenden Tackernadeln irgendwie zu überwältigen oder vom Sarg mit in die Grube gerissen zu werden.
Herr Nocker beißt sich fast die Zunge ab, er greift nun mit beiden Händen nach dem Jerusalemer Textil und dann reißt er förmlich daran. Es macht tackatack pling plöng und eine Tackernadel nach der anderen gibt nach, Herr Nocker fällt hintenüber und während sich das schwarze Tuch schwungvoll vom Sargdeckel löst, wird der ach so wertvolle Ansteckorden katapultartig nach oben geschossen, vollführt in etwa 3 Metern Höhe mehrere Pirouetten und saust dann in die Tiefen des Grabes. Das Tuch wirbelt wie die Muleta eines Stierkämpfers herum, wickelt sich um den Kopf von Herrn Nocker, der auf dem Hintern sitzt und das Einzige tut, was die Situation noch irgendwie retten kann, er ruft laut: „Amen!“
Vor Schreck drückt der Castrop-Rauxel-Schotte noch einmal auf seinen Pustesack und es macht atonal „Quäräääääk“.
Und genau das rettet uns den Arsch.
Man gestatte mir, dass ich das so sage. Denn wenn bei einer Beerdigung auch nur die geringste Kleinigkeit schief geht, hat das immer katastrophale Folgen. Man kann sich gar nicht vorstellen, was für ein Theater Angehörige dann mitunter veranstalten.
Aber dieses, an das Sterben eines überfahrenen Ochsenfrosches erinnernde, Quärääääk-Geräusch lässt die Köpfe aller Anwesendinnen und Anwesenden für eine Sekunde zum Dudelsackspieler herumfahren und als sie wieder in Richtung des heruntergleitenden Sarges blicken, steht Herr Nocker kerzengerade, aufrecht wie ein Zinnsoldat und hat den festlichen Mantel sauber über dem rechten Arm.
„Da hat mein Großvater den Ritteroden dann am Ende doch mitnehmen wollen“, kommentiert Flothold von Bottenheim den Verlust des kleinen Gedenkblechs, denn niemand hat ins Grab steigen und den Orden wieder hervorholen wollen.
Merke: Etwas Restluft im Musiksack kann so manche Situation retten.
- orden: OG Nederland Dui. ©
- malte: Peter Wilhelm KI
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: satire
Hach, schön einfach mal wieder eine neue Geschichte zu lesen… Danke!
Ich bin immer wieder erstaunt, dass die besten Loriot-Sketche von Peter kommen 😉
Grandios!
Diese Formulierungskunst. Einmalig. Ich liebe dieses Blog dafür.
Habe mir jetzt auch zu Weihnachten mal wieder das neue Satirenbuch bestellt.
Hmhh… Haben sich die Hinterbliebenen nicht über den zerfetzten Umhang aufgeregt? Wenn der doch Ach so alt u kostbar war?
Der ist gar nicht kaputtgegangen. Das ist so ein dicker Stoff, dass der quasi auch einen Atomangriff überlebt. Das ratschende Geräusch beim Abreissen kam nur von den sich dann doch lösenden Tackernadeln.
Gewiss noch „alte Wertarbeit“ der Umhang… Und in so hochadeligen Kreisen, ist der Stoff erzählerisch wahrscheinlich mindestens aus dem Hochmittelalter.
Gewebt von reinen Jungfern.
Gewiss noch „alte Wertarbeit“ der Umhang… Und in so hochadeligen Kreisen, ist der Stoff erzählerisch wahrscheinlich mindestens aus dem Hochmittelalter.
Gewebt von reinen Jungfern.
Sch… in der Orgelpfeife
macht den schönsten Klang zum Teife
Lalulalulalu…
😀