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Das Hexenhaus -III-

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Man steht ja dann auf einmal vor der Frage was man jetzt macht. Elfriede hatte mir doch eindringlich gesagt, ich solle es ja nicht einfach hinnehmen, wenn ihr etwas zustoße und natürlich regte sich in mir sofort der Wunsch, unverzüglich bei der Staatsanwaltschaft anzurufen und meinen Verdacht zu melden.
Doch käme dabei wirklich etwas heraus? Elfriedes Leichnam war zweimal ärztlich untersucht und dann eingeäschert worden. Hier würde man keine neuen Erkenntnisse gewinnen können. Es bliebe allein mein Wort und die Gefahr, sich lächerlich zu machen, wäre ja sehr groß. Überdies stand zu befürchten, daß mir anschließend noch eine Klage wegen übler Nachrede oder falscher Anschuldigung ins Haus flattern würde.

So kam ich an jenem Tag in die Firma zurück und berichtete den staunenden Mitarbeitern von Elfriedes Todessturz im Treppenhaus. Alle waren einhellig der Meinung, das könne nicht mit rechten Dingen zugegangen sein und da müsse Henriette oder dieser Bruno dahinter stecken. Da müsse man was unternehmen, das könne doch nicht ungesühnt bleiben, ich solle sofort die Polizei einschalten, das rieten mir die Mitarbeiter und auf die Frage, wie ich denn meinen bloßen Verdacht, und um nichts anderes handelte es sich ja, beweisen solle, erntete ich nur betretenes Schweigen. Da wußte dann auf einmal auch keiner eine Antwort drauf.

„Andererseits“, ließ sich Antonia vernehmen, „ist vielleicht nur deshalb noch nichts herausgekommen, weil die Polizei von den Hintergründen keine Ahnung hat.“

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„Du hast leicht reden“, sagte ich und damit war dann das Gespräch beendet.

Doch Antonias Worte hallten in meinem Kopf nach und allmählich gelangte ich zu der Erkenntnis, daß sie Recht hatte. Was wäre, wenn die Polizei überhaupt gar nicht erst ermittelt hatte, alte Leute fallen nunmal Treppen runter, sowas kommt häufiger vor als man denkt; manche brechen sich nur ein paar Knochen, manche kommen dabei um.

Man müßte den Ermittlern einen Hinweis geben können, ohne daß man selbst zu sehr im Vordergrund steht, es ist ja schließlich nicht meine Aufgabe, die Beweise beizubringen, sondern es sollte doch ausreichen, der Polizei oder Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Tipp zu geben. Hm, dem standen aber meine bisherigen Erfahrungen mit Polizisten durchaus vehement im Wege. Wie oft hatte ich es schon erlebt, daß ich einen klaren und einwandfrei zu erkennenden Sachverhalt in durchaus wohlgesetzten Worten einem Polizisten zu Protokoll gegeben hatte und dann beim anschließenden Durchlesen des ausgedruckten Protokolls meine eigenen Worte nicht mehr wiedererkannte, ja sogar feststellen mußte, daß im Grunde genau das Gegenteil von dem was ich sagte auf dem Papier stand.

Man dürfte sich nicht mit Schmidtchen abgeben, sondern gleich mit Schmidt sprechen… bloß wie und wann?

Der Zufall kam mir einerseits zur Hilfe und nahm mir andererseits die Entscheidung ab. Ein unter dubiosen Umständen in einer Gaststätte verstorbener Albaner lag in unserem Leichenkeller und wartete nach erfolgter Obduktion in der Rechtsmedizin nun darauf, daß ein Angehöriger aus dem Kosovo anreiste und weitere Entscheidungen für die Beisetzung und eventuelle Überführung traf. „Die Papiere für den Albaner sind fertig, die können wir bei Staatsanwalt Dr. Rüpel abholen“, informierte mich Frau Büser, die Seele des Büros, am frühen Nachmittag.

„Das mach ich selbst“, gab ich kurz zurück und bat sie, mal eben telefonisch festzustellen, wann denn der Herr Staatsanwalt persönlich anzutreffen sei.

Um 15 Uhr betrat ich den mehr als schrecklichen Bau der Staatsanwaltschaft, ein Gebäude das nach Gestapo, Stasi und Inquisition roch und an Häßlichkeit kaum zu überbieten war. Abgesehen vom uniformierten Zerberus unten an der Pforte nahm niemand weiter Notiz von mir. Lange Gänge, überall Aktenwagen mit vielen schönen, dicken, bunten Aktenordnern, man hätte sich leicht mal ein paar davon zur Lektüre nehmen und ein paar Stunden lesend auf einem der Wartestühle auf dem Gang verbringen können. Was für Stories und Schicksale da wohl von dicken Gummiringen zwischen 120 Gramm schwerer Pappe eingeklemmt sein mochten?

Aber ich verwarf diesen Gedanken wieder, denn ich wollte Dr. Rüpel nicht warten lassen, so einen Mann lässt man nicht warten. Ganz anders nämlich als es sein Name vermuten läßt, handelte es sich bei Dr. Rüpel um einen kleinen, fast schon zarten, sehr feinen Mann von hoher Bildung, großer Freundlichkeit und exzellentem Benehmen. Auch wenn ich nur ein kleiner Bestatter bin, der eine lausige Freigabebescheinigung abholen wollte, fand der Staatsanwalt nichts Besonders dabei, daß ich ihn kurz sprechen wollte. Nicht jeder in diesem Bau wäre dazu überhaupt bereit gewesen. Frau Staatsanwaltin Dr. Schimmelpferd beispielsweise, die die Tötungsdelikte von A-K bearbeitete, hätte mit einem Normalsterblichen wie mir überhaupt kein Wort gewechselt; entweder man kann jemanden durch die Polizei vernehmen lassen oder es gibt ihn gar nicht.
Dr. Rüpel, der die Buchstaben L-Z unter sich hatte, war mir hingegen am Telefon schon mehrfach sehr hilfreich gewesen, immer sehr nett und so hielt ich es für ein paar Jahren, nach einer ganz besonders schnellen Erledigung in einem für uns dringenden Fall, für angemessen, ihn aufzusuchen und meiner Dankbarkeit durch ein Buchpräsent Ausdruck zu verleihen. Er nahm das freudig an, sonst habe er nicht viele Kunden, die seine Arbeit mit Geschenken zu würdigen wüßten, meinte er und lachte ein hohes Philosophenlachen, das er hinter einer vorgehaltenen Hand versteckte.

Mit einem überraschend festen Händedruck, den man dem feingliedrigen älteren Herrn kaum zugetraut hätte, begrüßte er mich an der Tür und zog mich in sein Büro. Viel Zeit habe er nicht, aber es sei nett, daß ich mal vorbeigekommen sei. Mit diesen Worten läutete er die erste Runde des fast schon asiatischen Small-Talks ein und wir sinnierten ein paar Minuten lang über das in diesen tagen nicht sehr angenehme Wetter in unserer Stadt. Dann kam die Frage, was mich denn zu ihm führe und ich scheute mich, gleich mit der Geschichte von Elfriede Würmling zu kommen. Deshalb sprach ich erst über die Albaner-Sache mit ihm und dankte ihm für die zügige Erledigung, bei anderen Kollegen müsse man oft einige Tage auf die dringend benötigte Freigabe warten. Er verstand den Seitenhieb auf seine Kollegin Schimmelpferd, ließ sich aber nicht zu einem Kommentar hinreißen, sondern lachte nur hinter vorgehaltener Hand.

„Ach, wo ich gerade da bin und da Sie doch auch den Buchstaben W bearbeiten, sagt Ihnen der Name Würmling etwas?“

„Würmling, Würmling“, murmelte er, kratzte sich mit einem Finger am Kopf und überlegte, dann schüttelte er langsam den Kopf und schaute mich neugierig an: „Was ist denn mit Würmling?“

„Tja, das ist so eine Geschichte für sich; verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich möchte da nicht in die Mühlen der Justiz geraten und hinterher als der Gelackmeierte dastehen…“

„Sie meinen also irgendetwas beobachtet zu haben, was Ihrer Meinung nach für den Staatsanwalt von Interesse sein könnte?“

„So ungefähr.“

„Handelt es sich um einen Toten in Ihrem Haus, bei dem Sie Feststellungen gemacht haben?“

„Nein, in diesem Fall geht es um eine ehemalige Mitarbeiterin, eine Putzfrau um genau zu sein, die, sagen wir mal, unter etwas fragwürdigen Umständen ums Leben gekommen ist.“

„Nun, dann ist es so, daß wenn Sie mir eindeutige Hinweise geben können und Zeuge einer Straftat geworden sind, ich sie aus der Sache nicht heraushalten kann. Sie müßten schließlich als Zeuge aussagen.“

„Ich habe aber nichts beobachtet, sondern ich glaube nur etwas zu wissen, man könnte auch sagen es ist mehr nur eine Ahnung…“

„Und ich soll jetzt herausfinden, ob an der Sache etwas dran ist?“

„Genau!“

„Dann erzählen Sie mal“, forderte er mich auf und drückte den grünen Knopf seiner Gegensprechanlage, die ihn offenbar mit seinem Sekretariat verband: „Frau Jüngst, bitte zwei Kaffee und sagen Sie Herrn Protzmann, ich käme etwas später zu ihm“, dann lehnte Dr. Rüpel sich erwartungsvoll in seinem Sessel zurück und sagte: „Schießen Sie los!“

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