Allgemein

Das Hexenhaus -IV-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Es sind Monate vergangen, seit ich mit Dr. Rüpel über die verstorbene Elfriede gesprochen habe und nichts ist passiert. Ich hatte mir doch wenigstens eingebildet, man würde mich jetzt noch einmal vernehmen oder bei Elfriedes Schwester würde mal jemand mit einer Kripomarke in der Hand nach dem Rechten schauen.

Aber nichts geschah und im Grunde belastete mich das auch nicht weiter. Anfangs hatte ich immer mal daran gedacht, nochmal bei Dr. Rüpel nachzufragen, aber immer wenn ich den Hörer in die Hand genommen hatte, war etwas dazwischen gekommen. In der Zeitung suchte ich nach einem Bericht über Henriette und Bruno, fand aber nichts und schließlich vergaß ich es ganz, beim Staatsanwalt nachzufragen und in der Zeitung interessierten mich andere Dinge.

Werbung

Vorher hatte es in meinem Inneren rumort und gegrummelt, ich hatte das Gefühl gehabt, da sei ein Unrecht geschehen und möglicherweise komme der Urheber dieses Unrechts ungeschoren davon. Nun bin ich keiner, der von einem enormen Meldebedürfnis geprägt ist, mir ist es ziemlich egal was die Leute um mich herum treiben und selbst wenn ich alltägliche Läßlichkeiten und Verstöße beobachte, treibt mich nichts dazu, die Polizei anzurufen. Ich komme ja auch immer mal wieder in ganz normale Lebenssituationen, die andere als schlimme Sache sehen könnten und bin auch froh, wenn der Blockwart seine Finger von der Telefontastatur mit den fest einprogrammierten Nummern sämtlicher Dienststellen läßt.

Doch hier hatte es ein Menschenleben gekostet und sollten meine Leute und ich Recht haben, sieht es doch verdammt danach aus, als haben Henriette und Bruno Elfriede die Treppe hinuntergestoßen.
Hatte sie nicht zu mir gesagt, sie setze gewiss nie wieder einen Fuß nach oben in die Wohnung ihrer Schwester? Wer wie ich schon viele alte Menschen im Streit erlebt hat, der weiß, wie lange sowas anhält und daß sie diesen Streit, der oft ihr einziger Lebensinhalt ist, nicht kurzfristig einer Versöhnung opfern.

Das alles hatte mich bewegt, aber nachdem ich mit dem Staatsanwalt gesprochen hatte, war es so als sei eine Last von mir abgefallen, als habe ich meinen Teil nun erledigt und könne mich nun bequem zurücklehnen und alles Weitere würde sich sozusagen von alleine ergeben und irgendwann käme dann mal in der Zeitung ein Bericht von der Verhaftung und Verurteilung der beiden Mörder.

Aber nichts dergleichen passierte und irgendwann überwog das Alltägliche, die Zeit tat ihr Übriges und der Fall galt innerlich als abgehakt.
Außerdem hatte ich natürlich auch meine Zweifel, daß an der Sache wirklich etwas dran sein könnte. Irgendwie neigt man doch dazu, immer an das Gute im Menschen zu glauben und wer wirft schon eine wehrlose alte Frau die Treppe runter…
Wahrscheinlich hatte Dr. Rüpel doch noch mal ermitteln lassen und es hatte sich herausgestellt, daß nichts Schlimmes passiert war. Wie man das herausfinden konnte, das wußte ich nicht, schließlich war Elfriedes Leichnam eingeäschert worden. Aber gut, vergessen ist vergessen…

Es sollte jemand sein, mit dem ich nun tatsächlich niemals gerechnet hätte, der mich wieder an Elfriede erinnerte und mir ins Bewußtsein rief, daß da ja noch etwas unerledigt war.
Ausgerechnet Olaf Kröpplinger war es, jener Mann Anfang dreißig, der angeblich noch bei Mama und Papa in der Mitte des elterlichen Betts schlafen sollte, wie Sandy keck behauptet hatte. Das hatte uns ja alle doch sehr erstaunt, aber als ich dann -ohne Namen und nähre Umstände zu erwähnen- in meinem Bekanntenkreis davon erzählte, kamen auf einmal ganz viele ähnliche Geschichten zutage. Offenbar gibt es entweder in jedem Bekanntenkreis einen solchen Fall oder alle kennen auf irgendeine Weise eben jenen Olaf Kröpplinger.

Nachdem ich davon erfahren hatte, wie er angeblich leben soll, hatte ich mir fest vorgenommen, seine Mutter irgendwie dazu zu bringen, mir etwas davon zu erzählen. Aber so sehr mich das auch interessiert hätte, es ergab sich keine Gelegenheit, das Gespräch in diese Richtung zu lenken, ohne daß es plump und auffällig gewirkt hätte.
Bei der Trauerfeier für den alten Herrn Kröpplinger hatte sich Olaf ganz rührend um seine Mutter gekümmert und man merkte der Frau an, daß sie an ihrem Sohn eine richtige Stütze hatte. In den darauffolgenden Wochen sah ich die beiden häufig gemeinsam auf dem Friedhof, Olaf stets im zugeknöpften Popeline-Mantel, die Mutter ganz in Schwarz und langsam gewann in mir die Erkenntnis Oberhand, daß es gut war wie es war und mich nun wirklich nicht weiter zu interessieren hätte.
Es ist nicht gut, daß der Mensch allein ist, finde ich und außerdem habe ich für mich herausgefunden, daß es bequemer und billiger ist, wenn mehrere zusammenwohnen. Ob die nun verheiratet sind, nur so zusammenleben oder ob sich, wie in diesem Fall, um Mutter und Sohn handelt, das kann doch völlig egal sein. Wenn alle sich bei der gewählten Lebensform wohlfühlen, kann nichts Verwerfliches dabei sein, selbst wenn den allermeisten anderen Leuten diese Lebensweise merkwürdig vorkommt.

Auch Olaf und seine Mutter hatten längst anderen Sachen in meinem Gedächtnis Platz gemacht, da stand Olaf eines Tages, natürlich im blauen Popeline, in unserer Halle und schniefte unter seiner Brille hervor: „Die Mutti ist tot.“

Bild: Wikipedia, Urheber Wo_st_01, Creative Commons Attribution Creative Commons Share Alike, wobei ich mich immer frage, was jemand, der sich Wo_st_01 nennt, von der Nennung seines „Namens“ hat.

Bildquellen:

    Hashtags:

    Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

    Keine Schlagwörter vorhanden

    Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


    Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

    Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




    Lesen Sie doch auch:


    (©si)