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Das Hexenhaus -VI-

Es ist ein komisch Ding, der Mensch, so lautet eine Weisheit meiner Ahnin und der alte Lukaszewicz, wobei es nichts zur Sache tut wer das war, sagte immer: „So sind Leute!“
Olaf ist so ein komisch Ding und Lukaszewicz, der keine nennenswerte Schule besucht hatte, nach immerhin aber 87 Jahren eine Menge Lebensweisheit gesammelt hatte, hätte über ihn nur den Kopf geschüttelt.

Ich fasse jetzt nicht nochmals alles ausführlich zusammen, eine Kurzform mag reichen: Putzfrau Elfriede war in ihrem Haus die Treppe heruntergefallen, hatte aber vorher düstere Andeutungen bezüglich ihres Todes gemacht, sodaß mein Verdacht auf ihre Schwester Henriette und deren Freund Bruno fallen mußte. Ohne besonderen Meldeeifer hatte ich davon Staatsanwalt Dr. Rüpel berichtet und mußte erkennen, daß sich nichts tat. Doch dann erzählte mir das unselbständige Muttersöhnchen Olaf, wie selbstverständlich und völlig beiläufig, er habe das doch gesehen, daß Henriette und Bruno die Elfriede die Treppe runtergeschmissen haben.

So schrieb ich in meinem letzten Text zu diesem Thema: „Bin ich da wirklich einem Verbrechen auf der Spur? Ich gestehe, ziemlich aufgeregt zu sein und das Bedürfnis zu haben, sofort irgendetwas zu unternehmen. Aber was? Am Liebsten würde ich Olaf bei seinem blauen Popeline-Gürtel packen und zur nächsten Polizeiwache schleppen.“

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Doch Olaf weist das weit von sich. Das käme ja auf gar keinen Fall in Frage und mit der Polizei wolle er nun partout überhaupt nichts zu tun haben. Das seien „unterbelichtete Kanzlerknechte“ (O-Ton Olaf), die überdies auch noch schlecht bezahlt würden und es deshalb mit der Ehrlichkeit nicht ganz so genau nähmen.

„Was haben Sie denn genau gesehen?“ will ich von ihm wissen und er zurrt den Gürtel seines blauen Popelinemantels etwas enger und ich frage mich unwillkürlich, ob er darunter überhaupt etwas anhat. Vielleicht trägt er nur so Hosenbeinstulpen bis zum Knie… Mit einem Kopfschütteln wische ich diese blöden Gedanken hinweg und wiederhole meine Frage: „Also? Was haben Sie gesehen?“

Am fraglichen Abend habe er beobachten können, wie Elfriede laut krakeelend durch das hell erleuchtete Treppenhaus nach oben gestiegen sei, das könne man durch das eine Treppenhausfenster sehr gut sehen.

„Und dann?“

„Ja dann habe ich gesehen, wie Henriette und der Mann von oben gekommen sind, der Mann hatte einen Besen dabei, mit dem er vor Elfriedes Gesicht herumfuchtelte.“

„Hat er sie vielleicht mit dem Besen gestoßen?“

„Kann sein, Elfriede habe ich am unteren Fenster gesehen, die beiden anderen am anderen Fenster und dann ist plötzlich das Treppenhauslicht ausgegangen, es dauerte ein paar Sekunden und dann ging das Licht wieder an und Elfriede war weg.“

„Die war weg?“

„Ja genau, die beiden anderen sind dann aufgeregt nach unten gelaufen, haben kurz miteinander gestritten, das konnte man deutlich sehen, aber verstehen konnte ich natürlich nichts und dann ist ja auch schon bald der Arzt gekommen und die Polizei und der Krankenwagen…“

„Und was ist in der Zwischenzeit passiert?“

„Das weiß ich nicht, ich war in der Küche, um mir ein Brot mit Schimmelkäse zu machen, Blauschimmelkäse um genau zu sein.“

„Mich interessiert doch nicht, was Sie für einen Käse gegessen haben!“

„Sie wollen doch sonst immer alles so genau wissen“, mault Olaf und stülpt etwas beleidigt die Unterlippe vor.

„Sie müssen das der Polizei erzählen, wirklich. Irgendwas ist da auf der Treppe passiert, was nichts mit einem einfachen Herunterfallen zu tun hat.“

„Die haben die mit dem Besen gestoßen!“

„Wenn ich Sie aber richtig verstehe, haben Sie aber genau das nicht gesehen, weil da das Treppenhauslicht gerade aus war.“

„Trotzdem, der hat die mit dem Besen gestoßen.“

„Was Sie aber nur glauben, jedoch nicht gesehen haben.“

„Stimmt“, gibt Olaf zu und zuckt wieder gleichmütig mit den Achseln: „Ist ja auch egal, die war doch sowieso schon alt.“

Mir gelingt es auch nicht mehr, Olaf auf dieses Thema zu lenken und so muß ich ihn nach einer Weile ziehen lassen und bleibe mit den wüstesten Vorstellungen zurück.
Als Bestatter hat man tagtäglich mit Toten zu tun, die meisten davon können einen nicht mehr schrecken und man hat auch immer wieder mit den unglaublichsten kriminellen Abgründen zu tun, denn nicht alle Menschen versterben einfach nur im Krankenhausbett. Gift, Messer, Schusswaffen, Seile, Boote und sonstige Dinge sind geeignet, um einen Menschen vom Diesseits ins Jenseits zu befördern, alles schon erlebt, zumindest in seinen Auswirkungen.
Schon allein deshalb ist man nicht besonders aufgeregt, wenn einem ein Sterbefall unterkommt, der eine nichtnatürliche Ursache hat.
Aber in diesem Fall ist das doch ganz anders: Da sieht es für mich fast so aus, als haben Henriette und Bruno der alten Elfriede etwas angetan und kommen nun ungeschoren davon. Gut, vielleicht ist an der ganzen Sache auch nichts dran, mag ja sein, mehr als meine Vermutungen, die auf Elfriedes Andeutungen basieren und Olafs Beobachtungen, die im Dunkel eines kurzzeitig erloschenen Treppenhauslichtes verborgen liegen, haben wir nicht zu bieten. Aber warum ermittelt man nicht wenigstens in dieser Richtung, um herauszufinden wie es wirklich war?

Diese Gedanken beschäftigen mich eine ganze Weile, vielleicht zwei oder drei Tage, nicht ständig, aber immer mal wieder, dann tritt eine Änderung der Sachlage ein, der Zeitungsmann erzählt mir, Henriette und Bruno seien von der Polizei abgeholt worden.

Aha, denke ich, hat Olaf also doch den Weg zur Polizei gefunden und eine Aussage gemacht. Doch es ist ganz anders: Nicht Olafs Beobachtungen, von denen die Behörde immer noch nicht weiß, sind der Anlass für die Festnahme des alten Paares, sondern eine Unfallversicherung. Bei einem Automobilverein hatte Henriette eine Versicherung für ihre Schwester abgeschlossen, angeblich über 25.000 Euro, auszahlbar an sie selbst. Und genau das hat nun das Misstrauen der Polizeibeamten geweckt, denn hatte Henriette doch mehrfach beteuert, wie sehr sie ihre Schwester abgelehnt habe und daß sie mit der schon lange kein Wort mehr gewechselt habe, so passte die Lebensversicherung nun so gar nicht in dieses Bild.
Im Übrigen sprachen die einen von einer Lebensversicherung, die bei Unfall sogar das Doppelte bezahle und die anderen sprachen von einer Art Sterbeversicherung, so ganz genau weiß das keiner, es wird natürlich -wie immer in solchen Fälle- viel spekuliert und dazugedichtet. Am Ende hörte ich sogar, Henriette würde eine ganze Million bekommen…

Viel Arbeit hielt mich auf Trab und so konnte ich den Fortgang der Sache auch nur anhand der Gerüchte und diverser kleiner Artikel in der Zeitung verfolgen. Unsere Tageszeitung hier glänzt nicht gerade durch eine besonders professionelle Berichterstattung. Ich jedenfalls vermisse immer das Wesentliche und die oft angebrachte Kritik, die vor lauter dienernder Hofberichterstattung zu kurz kommt.

Auf dem Friedhof treffe ich den sprechenden Popelinemantel, der mit einer Gießkanne hantiert und nach dem üblichen unverbindlichen Palaver lenke ich das Gespräch erneut auf Henriette und Bruno.
„Ja doch!“ bekomme ich zur Antwort: „Ich war ja bei der Polizei und habe alles erzählt.“ Olaf ist sichtlich genervt und will weg. „Nee, kommen Sie, erzählen Sie doch mal!“ halte ich ihn auf.

Olaf seufzt und berichtet. Man habe ihn von Anfang an nicht ernst genommen und schließlich habe einer der Beamten ihn gefragt, ob er immer noch in Behandlung sei. „Der kennt mich von der Würfelrunde im Gemeindehaus und weiß, daß ich regelmäßig zu Doktor Böhmermann gehe. Ich höre doch manchmal Stimmen, wissen Sie?“

Ein Bestatter mit vagem Hörensagen, ein Wettermann in blauem Popeline, der bei einem Nervenarzt in Behandlung ist und zwei alte Leute die sich vermutlich gegenseitig ihre Schilderungen bestätigen; was soll dabei herauskommen?
Henriette und Bruno jedenfalls sind nach eingehendem Verhör wieder nach Hause entlassen worden und einen Prozess hat es nicht gegeben.

Es geht eben nur um eine alte Putzfrau, alles liegt klar auf der Hand und ich würde mal sagen, man kann denen nichts nachweisen, weil man denen nichts nachweisen wollte.

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(©si)