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Das Kawasaki-Netz

Die Nacht ist schwül und heiß, die Klimaanlage muß schweigen weil es sonst meine Frau nicht tut, sie findet das leise Rauschen nervig und obwohl ich ein Wahnsinnsgeld in eine nahezu lautlose Kälteapparatur investiert habe, empfindet meine Frau das leise Ausströmen der gekühlten Luft als „das Donnern eines Jumbo-Jets“. So wundert es nicht, daß wir beide nebeneinander im Bett liegen und vor lauter tropischer Nachtschwüle nicht einschlafen können.
Man könnte sich jetzt einem tiefschürfenden Gespräch über die Nöte nicaraguanischer Kaffeebauern hingeben, sich über Schalke 04 unterhalten oder einfach nur Sex machen, doch schon bei den Nicaraguanern mauert meine Frau, sodaß ich zu Punkt Drei nichtmal versuchsweise vorzustoßen wage. Sie ist stinkesauer weil ich kurz vorher den Jumbo-Jet für eine Sekunde gestartet hatte.

„Mach bloß diese Höllenmaschine aus!“ lautete ihre höfliche Bitte und die in ihrer Stimme mitschwingende Sanftheit wurde durch das Werfen eines Damenpantoffels (Größe 39 1/2) in meine Richtung noch unterstrichen.

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Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde hatte ich mich geduckt, den Ausschalter des Jumbos betätigt und mich scheinbar teilnahmslos wieder hingelegt.
Es könnte ja nun alles wieder in Butter sein, denn ihrem Wunsch wurde ja entsprochen, doch ein kurzfristiges Verstimmtsein liegt nicht in den Genen meiner Frau, es liegt vermutlich in den Genen keiner Frau. Wenn schon alles ringsherum schwül, heiß und tropisch ist, ja dann macht das Leiden doch erst richtig Spaß, wenn man so richtig beleidigt ist und den Mann in das Leiden mit einbezieht, sprich: ihm auch noch Leiden zufügt.

Wortlos erhebt sie ihre wunderschöne, schlanke Gestalt aus dem Bett, vollführt ein erotisches Schattenspiel, das in Wirklichkeit nur aus dem vergeblichen Versuch besteht, den inzwischen auf meiner Bettseite befindlichen zweiten Pantoffel zu finden, aber auf mich nichtsdestotrotz eine durchaus anregende Wirkung hat. Das erotisierende schwarze Schementheater gipfelt dann darin, daß sie die Tür zur Dachterrasse weit aufreißt, „damit Luft in den Bau kommt“, sonst ersticke sie…

So liegen wir dann in der Folge erneut schweigend, schwitzend und unbesext nebeneinander, nur der Mond läßt einen Streifen fahlen Lichts mit dem roten Widerschein der Leuchtanzeige meines Digitalweckers kopulieren. Muß das jetzt sein?

Aber nicht nur der Mond kommt in fahlen Streifen in unser Zimmer, auch Klara tut das!
Nun ist Klara niemand den wir kennen, denn Klara ist eine bis dahin uns völlig unbekannte Stechmücke, vermutlich indianischer Abstammung, denn unverzüglich möchte das lästige Vieh Blutsbrüderschaft mit mir machen. Keine schluchzenden Karl-May-Geigen, kein junger Pierre Briece, nichts! Nur ein schmerzhafter kleiner Stachel der sich unvermittelt in eine Stelle oberhalb meines linken Knies bohrt.
Das tut weh, das juckt und noch viel schlimmer als der nadelige Schmerz ist die Tatsache, daß Klara ihre Weiblichkeit dadurch unter Beweis stellen muß, daß sie mir ständig was ins Ohr summen will.

Batsch! Klara ist tot, ich werde sie nicht bestatten.
Doch Klara wäre keine gute Indianerin, hätte sie nicht weit hinter den Kuppen der blauen Berge eine ganze Horde marodierender blutsaugender Geschwister in der Hinterhand, die nun ihre Stammesschwester rächen wollen und unverzüglich auf den Kriegspfad begeben. Einige Minuten später ist unser Schlafzimmer voll mit summenden und sausenden Insekten, die samt und sämtlich meine unteren Extremitäten zum Schauplatz eines nicht enden wollenden Gemetzels machen. Es kämpfen am „woundes Knee“ die fünf Finger meiner rechten Hand einen aussichtslosen Kampf gegen eine Übermacht aus äußerst flinken Mücken im indianischen Blutrausch.

„Hör endlich auf mit dem Geklatsche!“ mault meine Frau von rechts herüber und liegt da mit ihren nahezu unbedeckten, alabasterfarbenen Körper und keine einzige der Harakiri-Mücken denkt auch nur im Traum daran, das lästige Weib am besten in die Zunge zu stechen!

„Die stechen mich hier zu Tode!“

„Wer sticht dich zu Tode?“

„Na die Mücken!“

„Ach was, gib endlich Ruhe, ich will schlafen.“

Batsch!

Es müssen zwei, drei Dutzend Gefallene sein, die der Stamm der Harakiri-Indianermücken zu beklagen hat und in diesem Moment fällt mir das verdammte japanische Wort nicht ein und ich sage zu meiner Frau: „Die machen Kawasaki mit mir!“

„Die machen was?“

„Die stürzen sich auf mir zu Tode und stechen mich!“

„Du meinst Kamikaze.“

„Nix Katze, Mücke!“

„Blödmann! Gib ENDLICH RUHE, ICH MUSS FRÜH RAUS!“

Batsch! Gibt es eigentlich Indianer in Japan?

Während ich noch über die ethnischen Verbindungen der Nicaraguaner mit den Japanern und den Ureinwohnern Nordamerikas anstelle, fällt mir siedendheiß unser Moskitonetz ein, das ich seit dem vergangenen Jahr auf dem Dachboden aufbewahre. Das könnte ich holen und rasch aufhängen, dann wäre ich vor den ebenso hinterhältigen, wie blutrünstigen Attacken meiner inzwischen zu Erzfeinden aufgestiegenen Hausinsekten sicher.

Ich stehe wenig später mit einem Bein auf der herunterklappbaren Leiter unseres Dachbodens und angele mit einem Stock nach dem Beutel mit dem Moskitonetz, da höre ich aus dem Schlafzimmer ein fröhliches Gekicher und wie meine Frau wiederholt: „Kawasaki!“

Hahaha, lustig! Als wenn die sich nie verspricht! Aber warte, Du Natternweib!

„Nee, jetzt aber nicht wirklich, oder? Du willst doch wohl jetzt nicht mitten in der Nacht dieses Netz da aufhängen?“

„Doch, die Mücken stechen mich zu Tode. Guck mal, ich hab schon überall Beulen!“

„Ich sehe nichts was Du nicht auch sonst hast!“

Sagte ich das mit der Natter schon?

Das Netz habe ich schnell aufgehängt. An der Decke befindet sich ein kleiner, passender Haken, an den ich das Netz vor einem Jahr schon einmal versuchsweise aufgehängt habe. Versuchsweise deshalb weil meine Frau damals steif und fest behauptete, sie könne unmöglich unter diesem stickigen, luftdichten Ding schlafen und allein der Versuch, das Netz auch über ihre Betthälfte zu hängen würde ich sofort die Luft abschneiden und ich sei es dann schuld, wenn sie mit blauem Gesicht und heraushängender Zunge in der Pathologie landen würde.

Nun, jetzt ist die Sachlage anders, jetzt ist das kein Ausprobieren irgendeines Männerspielzeugs, sondern die Abwehr kampfes- und todesmutiger Killerinsekten!

Ganz kurze Zeit später liege ich unter dem feinen Gespinst aus zarter chinesischer Kunstfaser und keine einzige Mücke vermag zu mir vorzudringen. Ruhe, Frieden; Morpheus, komm und hole mich!

BATSCH!

Dieses Mal kommt das patschende Geräusch aber von rechts. Eine der Mücken muß doch tatsächlich meine süße Schwarzhaarige gestochen haben, würde ich ja auch tun…

BATSCH!

„Komm doch auch unter das Netz!“ locke ich mein Weib mit süßer Stimme, doch sie grunzt nur unverständlich, schnalzt mit der Zunge und so ein Zungenschnalzen meiner Frau ist wie das Geräusch das entsteht, wenn man den Sicherungsstift aus einer Handgranate herauszieht. Man weiß, daß es jetzt ganz gefährlich wird, gleich kann das Teil explodieren!

Ich wäre aber kein Mann, würde ich diese Gefahr nicht ignorieren. Der verwegene Kampf gegen eine Übermacht stechlustiger Fluginsekten hat mich mutig gemacht und wie dereinst das tapfere Schneiderlein wage ich mich ziemlich weit hervor, als ich meine Aufforderung wiederhole: „Nee ehrlich, hier ist es sicher, da kommt keine Mücke rein.“

BATSCH!

Dieses Mal hat sie nicht nach einer Mücke geschlagen…

Der Versuch mich zu treffen endet vorläufig damit, daß sie das Gespinst des Moskitonetzes trifft und dieses infolgedessen beschließt rauschend von der Decke herab auf mich herunter zu sinken. Ähnlich muß es einem Fallschirmspringer kurz nach der Landung gehen, wenn sein Schirm über ihm zusammensinkt. Nur fällt dem Fallschirmspringer nicht mit einem leisen ‚Plong‘ ein Haken auf den Kopf.

Nix da! Ich habe einen Werkzeugkoffer aus dem Bauhaus und da sind all die feinen Sachen drin, die ein Mann nachts so braucht, wenn seine Frau eine zickige Natter und die Mücken voller mörderischer Energie sind.

„Du willst doch jetzt nicht ernsthaft um halb drei Uhr in der Nacht Deine Bohrmaschine auspacken?“

„Das ist nur ein Akkubohrer!“

„Wehe da fällt ein Krümel Bohrstaub auf mich, Du stirbst!“

Ich bohre wie ein Gott, kein Krümel sinkt herab und wenig später drücke ich einen kleinen grauen Dübel in das frische Loch. Meine Frau dreht mir den Rücken zu, wieder fällt Mondlicht auf ihre glatte helle Haut und ohne daß sie auch nur im Geringsten sehen kann was ich mache, sagt sie: „Du willst doch wohl nicht ernsthaft einen dunkelbraunen Haken in die helle Decke drehen, oder?“

Sagte ich schon, daß ich diese Art zu fragen an meiner Frau hasse?

Es dauert aber keine dreißig Minuten da habe ich in der Garage einen passenden, weißen Haken gefunden, drehe den in die Decke, hänge das Netz wieder auf und verschanze mich unter dem schützenden Gewebe. Endlich, endlich kommt das Sandmännchen und ich schlafe gegen halb vier ein…

„Wenn ich nachher aufstehe, weil ich mal aufs Klo muß und ich stolpere über irgendeines Deiner doofen Werkzeuge, dann ist was los!“

Mit dieser Kriegsandrohung reißt mich meine Frau aus dem Schlaf und ich kämpfe mich unter meinem Netz hervor und befördere das Werkzeug unters Bett, Weib!

Um Sieben ding-dongt der Wecker und als ich endlich wieder die chemoelektrischen Vorgänge zwischen meinen Ohren in Gang setzen kann, sehe ich daß meine Frau, schön wie immer und völlig friedvoll unter meinem Moskitonetz liegt. Ich hingegen sehe aus wie Quasimodos Bruder, verquollen und verbeult, zerstochen an Stellen an denen andere Männer noch nicht mal Stellen haben.

Beim Frühstück schauen meine Kinder uns so komisch an und endlich fragt die Kleine ganz mitleidsvoll: „Papa, hat Mama Dich verhauen?“ Der Größe nickt und streichelt mir verständnisvoll über den Arm.

Meine Frau kommentiert das: „Wenn einer von uns mal stirbt, nehm ich auf keinen Fall die Kinder!“

„Das waren die Mücken“, erkläre ich den Kindern und was sagt meine Frau?

„Isser doch selber Schuld, er hätte sich ja auch unter das Netz legen können!“

Nochmals die Frage: Krieg ich mildernde Umstände wenn ich die auf der Stelle mit dem Toaster erschlage?

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