Geschichten

Das Reich

Der Mann war klein, etwas füllig um die Hüften und trug eine grüne Lodenjacke, ein Hütchen mit einer Eichelhäherfeder und Knickerbocker. Seine Frau sei gestorben und er wolle nun die Beerdigung bei uns beauftragen, hatte er zu Frau Büser gesagt und die Gute hatte ihm das Warten auf einen freien Berater mit einer Tasse Tee und etwas Selbstgebackenem versüßt.

Ich selbst steckte zu diesem Zeitpunkt noch auf der Autobahn in einem Stau und Sandy war zu einem anderen Beratungsgespräch außer Haus.
So hatte Frau Büser wenigstens schon mal die persönlichen Daten des Auftraggebers und der Verstorbenen aufgenommen und war, weil es ihr gar zu lange gedauert hatte, mit dem Mann schon einmal in unseren Ausstellungsraum gegangen.

Genau in diesem Moment traf Sandy ein, etwas abgehetzt und wie immer etwas durch den Wind, wie man so sagt.

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Und obwohl Frau Büser ihr signalisierte, sie könne sich noch ein paar Minuten der Ruhe gönnen, übernahm die quirlige Amerikanerin trotzdem gleich das Beratungsgespräch.
Die Sache mit dem Sarg und die Auswahl der übrigen Waren stellten auch kein Problem dar, der Mann war sozusagen pflegeleicht.
So glaubte Sandy auch schon fast, sie könne den für diesen Abend geplanten privaten Termin noch rechtzeitig wahrnehmen und freute sich überdies, daß der Mann nicht knauserig war, sondern für Sarg, Wäsche und Blumen ordentlich was ausgeben wollte.

Doch dann, die beiden saßen gerade im Kaminzimmer über den Unterlagen, kam es zu der Stelle im Beratungsgespräch, an der es um die Frage geht, welche Art von Grab der Mann sich für seine Frau wohl wünschte.
Ja und genau in diesem Moment traf ich ebenfalls, auch ein bißchen abgehetzt, im Bestattungshaus ein und hörte durch die spaltbreit geöffnete Tür noch wie der Mann sagte: „Ja, sind sie denn überhaupt befugt Grund und Boden des Reichs so parzellenweise einfach zu verkaufen?“

Nun waren für die junge Deutsch-Amerikanerin der weite Bereich der Geschichte und der der Politik mehr oder minder ein Buch mit sieben Siegeln, ach, was sage ich, ein Buch mit vierzehn Siegeln, aber ganz dicken.
Bundesrepublik, Reich, Deutsches Reich, alles dasselbe, Kanzler, Reichskanzler, Bundespräsident, alles das Gleiche, CDU, SPD, FDP, keine Ahnung. Sandy interessierte sich für solche Sachen nicht, konnte aber alle amerikanischen Präsidenten auswendig aufsagen, ohne zu wissen, wofür die einzelnen Präsidenten standen und was sie getan, unterlassen oder geleistet hatten.

Bei ihr kam der Wutbürger an die richtige Adresse. Sie schaute ihn aus ihren tollen Augen an, es zuckte kurz um ihre Nase und sie sagte: „Klar, kann ich das, kostet für ein Reihengrab 850 €.“

Der Herr in der Lodenjacke hatte nur auf so eine Gelegenheit gewartet. Er gehörte einer Art Gesinnungsbewegung an, deren Anhänger es nicht genügt, wie die Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg zustande gekommen ist. Sie verweisen spitzfindig auf angeblich Form- und Gesetzesfehler und behaupten in etwa, es gäbe demnach gar keinen Staat, der die Aufgaben des Deutschen Reichs weiterführe. Deshalb könne man beispielsweise auch selbst angefertigte, oder von Gesinnungsgenossen verfertigte Reise- und Diplomatenpässe sogenannter Reichsregierung oder Exilregierungen nutzen.
Gemeinsam scheint es diesen Leuten zu sein, daß der jeweilige konkrete Anlaß, der sie mit Behörden der Bundesrepublik in Berührung bringt, gar keine Rolle spielt. So war es für diesen Mann auch von untergeordneter Bedeutung, daß es hier um die Bestattung seiner Frau ging. Er wollte in erster Linie seine Message absetzen: „Die Bundesrepublik Deutschland, die gibt es gar nicht! Das hier ist der Boden des Deutschen Reichs, auf dem sich eine von den Alliierten eingesetzte Organisation namens Bundesrepublik Deutschland anmaßt, staatliche Gewalt ausüben zu dürfen. Dieser Gewalt unterstehe ich nicht, ich bin ein Reichsbürger!“

Nein, dachte ich, nicht schon wieder so ein Reichsbürger!

Aber ja, der Mann war so einer.

Ich betrat das Zimmer, begrüßte den Mann und hörte mir an, was er zu sagen hatte.

„Da die Bundesrepublik nicht Eigentümer dieses Bodens sein kann, darf sie ihn auch nicht parzellenweise als Grabgrundstücke verkaufen. Das ist freier Reichsboden und ich als Reichsbürger werde mir ein Stück davon in Besitz nehmen.“

Ich hüstelte und sagte: „Das können Sie tun. Sie können da auch eine Fahne hissen und diese zwei Quadratmeter Tag und Nacht besetzt halten, meinetwegen auch mit Hungerstreik. Aber so lange Ihnen Ihre Reichsregierung keine Bagger zur Verfügung stellt, die da ein Loch ausheben, und so lange die Reichsregierung keine Trauerhallen hat, in denen man Trauerfeiern abhalten kann, so lange werden sie entweder mit den Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Kommunen vorlieb nehmen müssen, oder aber, ihre Frau wird nicht so ohne weiteres beerdigt.“

„Ich habe 40 Aktenordner voll mit Unterlagen und kann beweisen, daß das alles rechtswidrig ist.“

„Können Sie ja alles gerne tun. Sie können auch vor Gericht ziehen oder einen Krieg anfangen, aber wenn Sie wollen, daß wir Ihre Frau hier auf dem Friedhof beerdigen, dann nur nach den hier geltenden Spielregeln.“

Irgendwie schien er nachdenklich zu werden. Offenbar kämpfte in ihm sein missionarischer Trieb mit der Trauer um seine Frau.
Nach kurzem Überlegen war er wohl zu dem Schluß gekommen, daß es sich nicht lohnen würde, jetzt den dicken Max zu spielen. Etwas kleinlaut meinte er dann: „Aber wenn alles rum ist, verklag ich die alle!“

„Das wird das Beste sein“, sagte ich und nickte.

Es war dann eine ganz normale Beerdigung, ohne Theater, ohne politische Aufmärsche und auch später habe ich nie irgendetwas gehört, offenbar war es dem Mann immer nur wichtig, jedem einmal das mit der nichtexistierenden Bundesrepublik zu erzählen, dann war es gut.


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 19. September 2014

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