Geschichten

Das Schwein -VIII-

Drei Frauen haben sich am Samstag, dem Tag der Trauerfeier für Melanie, vor dem Friedhof die Beine in den Bauch gestanden. Die Birnbaumer-Nüsselschweif war nicht dabei, sie hatte drei andere Mütter geschickt, um auf „Melanie aufzupassen“.
Die eine hatte einen Besenstiel mit einer bemalten Pappe mit der Aufschrift: „Gegen Kindesmissbrauch“ und die andere hielt ein in Plastikfolie laminiertes Bild von Melanie vor ihre Brust. Die dritte Frau war wohl die stumme Mahnerin der Woche.
Klaus und Monika Hartmann sind bei der Variante mit der Feuerbestattung geblieben und ich hatte den Eindruck, daß nun auch beide diese Lösung bevorzugten. Zwar war von vornherein angekündigt worden, die Trauerfeier solle in ganz kleinem Rahmen stattfinden, jedoch hatte die Familie dann doch erst die Ausnahme gemacht, dann noch die und noch die und am Ende hatten wir vom Bestattungshaus alle Hände voll zu tun, um die falschen Besucher abzuhalten, eine sehr undankbare Aufgabe.

Höchsten zehn Leute würden da kommen, hatte Herr Hartmann gesagt und dann kurz vor der Trauerfeier kam er zu mir: „Es kommen da doch ein paar mehr, aber Sie machen das schon.“

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„Wie, wir machen das schon? Woher sollen wir denn wissen, wen Sie dabei haben wollen und wen nicht?“

„Also die Kinder von der Schulklasse dürfen rein, die Lehrer, ein paar Freundinnen und so. Die Verwandten nehme ich alle mit rein, wirklich, da kommen nicht viele, sie machen das schon, lassen Sie bloß keine Presse rein.“

Der Hinweis auf die Presse war durchaus berechtigt, denn obwohl der Sterbefall ohne Ankündigung und ohne Aushang abgewickelt wurde, waren einige Damen und Herren mit großen Fotoapparaten gekommen.
Manni und ich haben uns zwei dicke Stricke besorgt und damit kurzerhand den Durchgang zur Trauerhalle abgesperrt.
So ganz einfach wollte ich das Herrn Hartmann dann aber doch nicht machen und habe ihn „gebeten“ beim Kondolenzpult stehen zu bleiben, um uns beim Aussortieren zu helfen.

Tatsächlich kamen dann etwa 30 bis 35 Personen und nur bei einer Frau, einer Nachbarin, schüttelte Hartmann den Kopf und wir mussten sie bitten, draußen zu bleiben.
Dann ging die Tür zu und nur Manni blieb draußen.

Erst als die Orgel das erste Lied fertig gespielt hatte, schoben die Friedhofsmitarbeiter auf mein Zeichen den Sarg in die Halle, wo wir mit langen blauen Seidentüchern ein Meer aufgebaut hatten, auf dem der Sarg fast zu schwimmen schien.
Die Pfarrerin hatte sich eine sehr schöne Traueransprache ausgedacht, in die sie viele Zitate aus Kindermund eingebaut hatte und die vor allem nicht den Versuch unternahm, den frühen Tod eines so jungen Mädchens entschuldigend zu erklären.

Die Hartmanns hielten sich die ganze Zeit an den Händen und ihre Gesichter waren unbewegt. Ich hatte den Eindruck, daß Monika Hartmann etwas eingenommen hatte, was sicherlich keine schlechte Idee gewesen ist.

Erst als die Totenglocke ihr fades, monotones Bimmeln in den grauen Morgen ätzte und der Sarg langsam aus der Trauerhalle geschoben wurde, sackte Frau Hartmann auf ihrem Stuhl kurz zusammen und schluchzte laut auf.

Ich habe mir schon oft Gedanken darüber gemacht, wie man das Ende einer solchen Trauerfeier am besten gestaltet.
Eine Weile bevorzugte ich die Direktabholung. Dabei wird der Sarg aus der Trauerhalle hinaus geschoben und noch im Beisein der Trauergäste in den Bestattungswagen geladen und weggefahren.
Es schien mir aber fast etwas zu hart zu sein, auf diese Weise von einem Angehörigen Abschied nehmen zu müssen und deshalb machten wir es dann jahrelang so, daß wir den Sarg in der Trauerhalle stehen ließen und die Leute einfach nach der Trauerfeier weggingen. Den Sarg haben wir erst später geholt.
Aber auch diese Variante gefiel mir irgendwann nicht mehr so richtig. Es ist nicht schön, den Verstorbenen einfach so, allein zurückzulassen und wegzugehen.
Also gingen wir dann zu der Variante über, daß wir den Sarg am Ende der Trauerfeier hinausschieben und so das Weggehen und das Endgültige hervorheben. Dann ist der Sarg den einen Weg gegangen und die Trauergäste gehen durch die andere Tür den anderen Weg, zurück ins Leben.

Am besten jedoch gefällt es mir nach wie vor, wenn man bei einer Feuerbestattung mit dem Sarg gar keine Trauerfeier macht, sondern diese erst durchführt, wenn die Urne bereits zur Verfügung steht. Dann kann man eine ganz normale Beerdigung mit der Urne machen. Während der Trauerfeier steht sie vorne, wo sonst der Sarg steht und anschließend gehen alle Trauergäste gemeinsam zum Grab und sind bei der Beisetzung dabei.
Das erspart den Angehörigen während und nach der Trauerfeier auch den direkten Gedanken daran, daß der Sarg mit dem Leichnam jetzt anschließend ins Feuer kommt.
Das ist dann schon geschehen, man weiß nicht genau wann und jetzt ist eben wie gewünscht nur noch die Asche in der Urne da.
Vor allem muss man bei diesem Verfahren nicht zweimal auf den Friedhof, einmal zur Sargfeier und dann nochmal zur Urnenbeisetzung.

Die Menschen müssen im wahrsten Sinne des Wortes begreifen, daß die Zeit des Abschieds gekommen ist, aber man muss sie ja nicht ein paar Mal diesem Druck aussetzen.

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