Geschichten

Das Schwein -XI-

Tja, was soll ich davon halten?
Ich habe bisher keine Position eingenommen, meine ich. Sandy meint hingegen, ich hätte immer für die Hartmanns gesprochen und wenn das so war, dann liegt das daran, daß mir Isolde mit ihren Anschuldigungen sehr unsympathisch ist.
Aber jetzt hat man die Hartmanns eingesperrt und das tun Polizei und Staatsanwaltschaft normalerweise ja nicht, wenn nicht ein dringender Tatverdacht vorliegen würde.

Manni sieht das anders: „Hier in Deutschland steht jeder sowieso immer mit einem Fuß im Gefängnis. Wenn ein böser Nachbar das will, kommen die Kanzlerknechte morgen schon und holen dich ab.“

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Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist es, die Licht ins Dunkel bringt, denn sie erzählt der Gemüsefrau alles „garantiert aus erster Hand“. Und die Gemüsefrau erzählt es mir.
Isolde ist also mit dem Handy bei der Polizei gewesen und dort soll man sie ziemlich nüchtern und etwas rüde fast schon abgewiesen haben. Die angeblich so verdächtigen SMS seien bei näherer Betrachtung gar nichts Schlimmes und die Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen; lese man die ganzen Nachrichten, gehe die Brisanz komplett verloren und es seien nur die Kurznachrichten eines Vaters, der einen freundschaftlichen Umgangston mit seiner Tochter pflegt.
Aber dennoch hat man das Handy da behalten und die zuständige Staatsanwältin habe dann die Sache ganz anders gesehen und erneut einen Anfangsverdacht angenommen, der in Verbindung mit dem Tod des Mädchens und dem Obduktionsergebnis ausreichend für einen Durchsuchungsbeschluss des Hauses der Hartmanns gewesen sei.

Bei der Obduktion sei zwar keinerlei Fremdeinwirkung nachweisbar gewesen, jedoch habe sich ergeben, daß das Mädchen Melanie oft und vermutlich auch regelmäßig Geschlechtsverkehr gehabt habe, auch vor dem Tod in der Badewanne und das widerspreche den Schilderungen der Eltern, die darauf beharren, das Mädchen sei noch unberührt und habe nichtmal einen Freund.

Bei der anschließenden Durchsuchung des Hauses habe man dann im Keller, und an dieser Stelle soll die Birnbaumer-Nüsselschweif zur erzählerischen Hochform aufgelaufen sein, einen abgeschlossenen Folterraum entdeckt, mit Folterbank, Peitschen, Ketten, Handschellen und Latexbekleidung, Mundknebeln und Penetrationswerkzeugen.
Gut, ich muss eingestehen, daß die Birnbaumer nicht das Wort Penetreationswerkzeuge benutzt hat, aber die Phantasie der Leser dürfte ausreichen, um sich selbst zwei oder drei vulgärere Synonyme ausdenken zu können.

Für die Birnbaumer-Nüsselschweif ist damit alles klar.
Die Hartmanns, die ja ach so bieder und harmlos daher kommen, sind in Wirklichkeit Kinderschänder, die im geheimen Kellerverließ vermutlich alle beide Sex mit der eigenen Tochter hatten. „Sowas gehört an die Wand gestellt und zwar sofort und geben Sie mir ein Gewehr, ich bin die Erste die abdrückt!“ soll die Nüsselschweiferin gesagt haben.

„Hätten Sie das von denen gedacht?“ fragt mich die Gemüsefrau, „Sie kennen die doch, sie müssen die doch von der Beerdigung kennen? Ich meine, sowas sieht man doch, hat der angewachsene Ohrläppchen und eng zusammenstehende Augen? Sagen Sie doch mal! Hat der zusammengewachsene Augenbrauen? Daran erkennt man doch die Kinderf*****. Also, daß der sowas macht, das kann ich mir gut vorstellen, ich kenn‘ ja die Leute nicht, die kaufen ja nie bei mir, aber das ist ein Mann und Männer machen sowas, das ist ja klar, das weiß ja jeder. Aber die Frau, daß die da mitmacht, also nein. Aber so ist das immer, wenn der Mann sich an der Tochter vergreift, dann ist die Mutter genauso Schuld, die haben dann schon jahrelang die Beine zusammengeklemmt und den Alten nicht mehr rangelassen und dann haben die ein schlechtes Gewissen deswegen und halten die Klappe, wenn der Alte sich das bei der eigenen Tochter holt.
Ich würd‘ die auch an die Wand stellen und erschießen und dann den Alten kastrieren und nicht mehr rauslassen, das ist ja das Problem, dass die die immer wieder rauslassen, und kaum sind die draußen, suchen die sich das nächste Kind, das kennt man doch!“

Die öffentliche Meinung ist ein Kuhfladen…

Bei so viel Ignoranz, Dummheit und Vorverurteilung wird mir fast schlecht und ich kaufe der Gemüsefrau nur einen Sechserpack extra dicke Eier ab und gehe wieder nach Hause. Auf dem Weg treffe ich Bolte von der Tageszeitung, der auf dem Weg ist, um im Altenheim eine hundertjährige Demente zu knipsen. Bei seinem fotografischen Talent kann man von Fotografieren nicht sprechen.
Der dauereilige Lokalreporter weiß aber noch, daß der Keller gar nicht im Haus der Hartmanns sei, sondern in deren Wochenendhaus und im Wohnhaus habe man Videos mit Kinderpornographie gefunden, so sei das nämlich gewesen. Und die Schwester Isolde sei diejenige gewesen, die das alles aufgedeckt habe.
Nein, er habe gar kein Problem damit, mich auf dem Laufenden zu halten, vorausgesetzt, ich würde ihm dann hin und wieder auch mal ein paar Informationen zukommen lassen. Es sei doch blöd, wenn er vom Tod bekannter Bürger immer erst aus der Zeitung erfahre…

Nachbar Nasweis-Lästig ist mit Salzstreuen beschäftigt, was er prophylaktisch tut, denn es ist weder Schnee noch Eis in Sicht. Er weiß es besser als die Birnbaumer, die Gemüsefrau und Reporter Bolte zusammen.

Das sei ein ganzer Kinderschänderring, der da aufgeflogen sei. Es habe im Morgengrauen Verhaftungen in der ganzen Republik gegeben und Schuld daran sei nur das Internet, da komme das ganze Zeug mit dem Sex ja überhaupt erst her und wer Internet habe, der sei in seinen Augen sowieso als Pornograph entlarvt.
Das Kellerverließ sei tatsächlich unter dem Wochenendhaus gefunden worden und da seien ganze Horden von Unholden und Schindern ein und aus gegangen und „über harmlose Mäderl gerutscht“, sogar Buben seien dort rangenommen worden. „Ferkel, ekelhafte Ferkel, sowas hat es früher nicht gegeben, da ist die Durchrassung Schuld dran, das kommt alles aus dem Morgenland.“

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(©si)