Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -11-

Schwierig? Die beiden? Ach woher denn!
Künstler waren das. Solche Leute haben Ansprüche, minimale, aber ganz essentielle, bescheidene, auf das Notwendigste beschränkte, genau so sah das aus!

„Also wirklich, da haben Sie uns ja mit einer Gurkentruppe zusammengebracht“, lachte Lizzy Miller und auch Heiner-Hinnerk grinste breit und meinte: „Jetzt mal ehrlich, Vadda, wir wollen doch bloß, dass alles reibungslos verläuft. Wir sind nicht kompliziert, die Welt um uns herum ist kompliziert.“

Das sagten die beiden, als wir mit dem schmerbäuchigen Wirt vom Dorfkrug seinen Saal besichtigten. Die geduldige und stets gemütlich lächelnde Frau Oberhammer war auch gekommen. Sie war stolz, den beiden Künstlern einen so schönen Raum anbieten zu können.
Der Saal wurde überwiegend vom örtlichen Gesangsverein genutzt, der sich aber aufgrund fehlenden Nachwuchses und der zunehmenden Inkontinenz der gebliebenen Altmitglieder immer seltener zu Gesangstunden einfand. Die linke Wand des Saales wurde somit auch von einem Bord geziert, auf dem sich Pokale, Teller und Wimpel befanden, die vom erfolgreichen Abschneiden bei Sangeswettbewerben Kunde gaben.

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Die rechte Wand hingegen hatte sechs große Fenster, die vom Fußboden bis zur Decke reichten und Ausblick auf einen schönen Kirschgarten boten.

An der Stirnwand gab es eine schöne breite Bühne mit mehreren Scheinwerfern und einem elektrisch bedienbaren, schweren Vorhang.
Einziger Nachteil war, daß man die Bühne nur von außen erreichen konnte. Vom Saal aus führte ziemlich weit vorne an der Bühne eine Tür ins Freie, von wo aus man den Bühneneingang nehmen mußte, um in eine kleine Garderobe zu kommen und von dort konnte man die Bühne dann von hinten betreten. Die meisten Leute, die dort jemals aufgetreten sind, waren vorne aus der Gaststätte raus- und dann seitlich am Gebäude entlang gegangen, um auf die Bühne zu gelangen.

„Ja, wie jetzt? Wie sollen wir das denn machen?“ schimpfte Lizzy plötzlich los. „Am Anfang trägt mich Heiner als Hinnerk von der Grube ja durch den Saal nach vorne. Wie sollen wir denn auf die Bühne kommen, gibt es da keinen Aufgang?“

„Nee, hawwe mer net, do misse Sie da vorn aus der Tür raus, dann glei‘ links durch die Tür wieder ’nei und dann sind’se schunn uff der Bühn'“, sagte der Krugwirt und untermalte seine Wegbeschreibung mit rudernden Bewegungen seiner etwas kurzen Arme.

„Also nein, das geht ja mal gar nicht, ich bin ja dann barfüßig“, regte sich Lizzy immer mehr auf.

„Dann stelle‘ Sie sich halt ä Paar Pantoffeln draußen hin“, sagte der Wirt kopfschüttelnd. „Hier sin‘ schon ganz annere Leut‘ aufgetrete‘, Hermann Grobschlack, Sieglinde Meyer, Klara Gründopf und Neunzehndreievierzig der Gauleiter Brockhuzer. Die hawwe all‘ de‘ Weg gefunde‘, da werde Sie de Weg a‘ finde.“

Frau Oberhammer nickte zustimmend: „Ja, das war immer so schön.“

„Was?“ fragte ich: „Wenn der Gauleiter kam?“

„Na, das alles, damals, vor 45.“

„Das war schön?“

Frau Oberhammer schluckte und schwächte dann ab: „Wir waren da noch ganz klein, Schulfrei hat’s gegeben, wenn sowas war.“

„’s war ja net alles schlecht, damals“, fügt der Krugwirt hinzu.

„Sie?“ staunte ich: „Sie sind doch noch viel zu jung, um das miterlebt zu haben.“

„Ha jo, isch war da noch gar net uff der Welt, aber man hat ja viel gehört und so. Alles war net schlecht. Wenn der Hitler das mit den Juden net gemacht hätt‘, die Autobahnen und so, des war schon gut.“

Lizzy, die sich inzwischen mit Hinnerk beraten hatte, fuhr bei der Nennung des Namen Hitler hoch und krähte: „Das verbiete ich mir, mein Name ist Hiller und hier bin ich für Sie überhaupt nur Frau Miller, Lizzy Miller!“

„Um Sie geht es doch gar nicht“, versuchte ich die Aufgebrachte zu beruhigen.

„Ja also,“ sagte sie, und wieder einmal zitterte ihre spitze Nase, so tobte es in ihr: „Unter diesen Umständen treten wir nicht auf.Wir können nicht durchs Freie auf die Bühne. Das ist gegen unsere Künstlerehre.“

„Um Himmels Willen!“ jammerte Frau Oberhammer: „Ich habe es schon in die Presse gesetzt, die Plakate hängen überall, ich habe einen Techniker mit Lautsprecheranlage gebucht und bin schon gehörig in Vorlage gegangen; das können Sie mir nicht antun!“

Lizzy und Hinnerk standen mit verschränkten Armen und zu Schmollmündern geschürzten Lippen da und schwiegen trotzig.

Der Krugwirt zog sich seine fettig Hose weit bis über den Bauchnabel hoch, machte ein nachdenkliches Gesicht, kratzte sich kurz im Schritt und scheinbar hat ihm das beim Nachdenken so geholfen, daß er dann sagte: „Moment, isch hab da noch den Tritt!“

Sprach’s und klappte vorne an der Bühne eine Klappe hoch und zog eine kleine, verstaubte Holztreppe hervor: „Bitt’schön, da hawwe mir, was Sie brauche‘, des is ä Trepp‘ ä wunnerschöne Trepp!“

Hinnerk untersuchte die Treppe, schob sie vor die Bühne und ging sie mehrmals rauf und runter. „Ja, das wird gehen!“ jubelte er und auch Lizzy hatte binnen Sekunden ihren Trotz gegen Begeisterung ausgetauscht.

„Supi! Supi!“ rief sie und klatschte vor eben dieser Begeisterung in die Hände und hüpfte wie ein kleines Mädchen, dem man ein Pony geschenkt hatte.

„Das wird bestimmt ganz großartig“, sagte Frau Oberhammer erleichtert. Und als die beiden Künstler uns nicht hören konnten sagte sie zu mir: „Meine Güte, die sind aber wirklich schwierig. Die haben mir vorhin schon so ein Theater wegen der Gage gemacht.“

„Was denn für eine Gage?“ wollte ich wissen.

„Na, die wollen tausend Euro“, sagte Frau Oberhammer flüsternd.

„Was? Wie bitte?“

„Ja, das wäre so üblich.“

„Die sind doch bisher nur in Altenheimen und Kneipen aufgetreten…“

„Die wollen aber tausend Euro! Aber bitte, machen Sie jetzt keinen Ärger deswegen, ich habe denen das schon zugesagt. Es passen ja gut 100 Leute hier rein, wir nehmen zwölf Euro Eintritt, für den Saal müssen wir nichts bezahlen, wenn der Wirt in der Pause Essen servieren darf und der Techniker, der sonst 600 Euro nimmt, macht es uns für 200. Da komme ich Null auf Null raus und für den Notfall hat unser Verein noch etwas in der Kriegskasse.“

„Tausend Euro“, wiederholte ich nur staunend.

Später in meinem Büro:

Lizzy und Heiner sind froh gelaunt und reden aufgeregt über den in wenigen Tagen bevorstehenden Auftritt. Sie sitzt entspannt zurückgelehnt in einem Sessel und fährt sich immer wieder durch das kurze, zauselige Haar und ihr ohnehin sehr kurzer Rock ist ziemlich weit hoch gerutscht: Schlüpferalarm! Ich will immer wegschauen, aber der Neandertaler in mir ist stärker und ich muß nochmals schauen, ach du meine Güte, die trägt gar keinen Schlüpfer…

Ich bemühe mich, nicht mehr hinzuschauen und halte meinen Blick starr auf Heiner gerichtet, der schon viel größere Pläne schmiedet: „…irgendeine große Theaterbühne… …das Fernsehen, ja das Fernsehen, da muß man rein… …Videokamera, auf jeden Fall lassen wir eine Videokamera mitlaufen… …große Band zur Untermalung…“

Ich höre ihm aber gar nicht richtig zu, vor meinem inneren Auge läuft ein Film ab, in dem Hinnerk Lizzy in ihrem ach so kurzen Brautkleid auf den Armen durch den Saal trägt und die gesamte Dorfbevölkerung den subnabeligen Urwald der Frau Miller-Hiller vor der Nase herumgeschwenkt bekommt.


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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 24. Februar 2014

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comicfreak
10 Jahre zuvor

*wimmer*

..biiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiitteeeeeee, schreib weiter!

Alleswisser
10 Jahre zuvor

„den subnabeligen Urwald der Frau Miller-Hiller“
WUUUUAAAAAAAAAAAAAHHH!!! IST DAS HERRLICH!!!!!
*trommel* *kreisch* *hüpf* *brüll* *tanz* *japs*

10 Jahre zuvor

1000€ Auftritt Gage? Mir scheint, hier wird jemand größenwahnsinnig, Schuld ist aber wohl auch Fräulein Oberhammer, der ein Grundkurs in Betriebswirtschaft auch ganz gut täte… Einen heiden Aufwand betreiben, um schließlich im besten Falle nichts zu verdienen?

Tante Tina
10 Jahre zuvor

Danke für die schöne Pause subnabeliger Urwald……..Herrrrrlich!!!!

10 Jahre zuvor

Endlich mal eine Frau, die nicht dem Ganzkörperenthaarungswahn frönt!

Christians Ex
10 Jahre zuvor

Werden noch Wetten angenommen? Ich tippe auf 0 zahlende Gäste bei €12 Eintritt.

10 Jahre zuvor

Bitte unbedingt weiter schreiben! Ich bin schon sehr gespannt!

Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

ganz…. großes… Kino… *brüll* 😀

Lochkartenstanzer
10 Jahre zuvor

Bin mal gespannt, ob von den 1000€ Gage noch eine tafel Schokolade als Tantieme für den Autor abfällt.




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