Licht aus! Die Leute im Saal verstummen. Der von Frau Oberhammer gebuchte Techniker hat ein riesengroßes Mischpult mit Lichtsteuerung aufgebaut und lenkt einen Spot auf die Hintertür des Saales.
Einige Sekunden vergehen, aus den Boxen tönt schwermütiger Gesang, dann der Trauermarsch und mit den ersten Takten des Trauermarsches öffnet sich die Tür und Hinnerk van der Grube trägt Lizzy Miller auf seinen Armen durch den ganzen Saal nach vorne. Der Lichtkegel folgt ihm.
Licht aus!
Es poltert etwas, Gemurmel im Saal, ob wohl etwas passiert ist? Doch noch bevor man sich darüber mehr Gedanken machen konnte, flammt die Bühnenbeleuchtung wieder auf, Hinnerk und Lizzy stehen auf der Bühne und der Techniker zaubert einen Blitz und Donnergrollen herbei. Mit dem Donner setzt abermals Musik ein und die beiden Künstler singen beschwingt und fröhlich.
Tolle Stimmen! Und wie die beiden harmonieren! Ich bin begeistert!
Dann erzählen sie in szenischer Darstellung die Geschichte von Frau Ruckdäschl und den Totenlichtern.
Damit meine Leser im Bestatterweblog sie kennenlernen, habe ich sie im Folgenden auszugsweise aufgeschrieben:
Frau Ruckdäschl bewohnte in einer Zeit, in der Bestattungen nicht mehr mein Metier waren, die Parterrewohnung des Hauses, in dem wir damals lebten.
Die Tür immer einen Spaltbreit geöffnet, lauerte die selbsternannte Concierge den ganzen Tag zwischen ihren Geranien auf dem Balkon (die sie ob ihrer norddeutschen Herkunft Scherohnien nannte; und weshalb wir sie auch immer die Frau Scherohnie nannten) und dem Treppenhaus auf jedwede Art menschlicher Regung, um dann im passenden Moment entweder über die Balkonbrüstung oder indem sie sich im Treppenhaus einem in den Weg stellte, am Leben der anderen durch eine Dauerberieselung mit Fragen und vielen Hinweisen auf bevorstehende häusliche Ordnungsereignisse, teilzunehmen.
Viel war von ihrer norddeutschen Sprache nicht mehr geblieben, inzwischen herrschte der hier von den Eingeborenen gepflegte und stets etwas breitmäulig vorgetragene Dialekt der Kurpfalz vor:
„Gell, sie denke daran, daß Sie Kerwoch‘ hawwe! Und net widda die Stell‘ hinnerm Müllääämer vergesse!“
In genau diesem Tonfall hatte mir die Scherohnie schon seit etwa drei Wochen beinahe täglich, ach was sage ich: dreimal am Tag nahegelegt, daß demnächst der Heizungsableser komme und ich dann gefälligst daheim zu sein habe, um ihr, als Abordnung der blockwartigen Mitmieterschaft und dem Heizungsableser den Zugang zu allen Räumen zu ermöglichen.
–
Diese Dauerberieselung muss die Information aus meinem Hirn gelöscht haben. Jedenfalls bin ich ziemlich überrascht, als Frau Ruckdäschl eines Tages klingelt und ankündigt: „Der Ableser ist gekommen, ich komm dann gleich mit. So in zehn Minuten sind wir da!“
(…)
Ich husche durch die Wohnung und schaue nach, ob alles in Ordnung ist. Meine Güte, im Schlafzimmer steht ein Korb mit ungebügelter Wäsche vor dem Bett!
Wenn die Ordnungsliebenste aller Ordnungsliebenden das sieht!
Schnell stelle ich den Korb ins Bett der Allerliebsten und lege die Bettdecke darüber.
Die Allerliebste und ich mögen es, in unserem Bett romantische Stunden zu verbringen.
Schließlich sind wir beide ja noch im fortpflanzungsfähigen Alter, oder doch zumindest im fähigen Alter.
Sie wissen, was ich meine.
Wir finden es besonders romantisch, abends bei Kerzenlicht im Bett noch ein Gläschen von diesem oder jenem zu uns zu nehmen.
Hierfür kauft die Allerliebste Unmengen von Teelichten, die auch noch ganz besonders eklig nach Himbeere oder altem, toten Hund riechen.
Glücklicherweise gingen diese kleinen Kerzen irgendwann zur Neige und weil sie auch noch ins Geld gingen fand ich die Idee ganz hübsch, aus dem Supermarkt große rote Teelichte mitzubringen.
(Anm.: Diese Geschichte stammt aus dem Buch „Zum Hieressen oder zum Mitnehmen?“ von mir und in diesem Buch kommt das Thema Bestattungen und Tod nicht hauptsächlich vor, ja es ist so geschrieben, daß dort als einzige Profession meine Autorenarbeit eine Rolle spielt. Das erklärt, warum der Herr Schriftsteller, der diese Geschichte erzählt, das Folgende nicht wußte.)
Die Allerliebste sah daheim meine Einkäufe und fragte mich, was ich denn mit diesen Kerzen wolle.
Ich sagte: „Fürs Schlafzimmer, die waren billig, brennen 24 Stunden lang und sind schön rot. Das ist romantisch.“
Sie tippte sich an die Stirn und meinte: „Bis du eigentlich bescheuert? Das sind doch Friedhofslichter!“
„Ja und? Ich finde sie hübsch rot! Sie sind billig und brennen ziemlich lang.“
Ich stellte die roten Dauerbrenner auf der Ablage am Kopfende unseres Bettes auf. Die Allerliebste maulte noch ein, zwei Tage, dann hatte sie sich an den romantischen Schein der neuen Kerzen gewöhnt. „Wirklich, du hast Recht (sic!), die Dinger leuchten wirklich schön!“
Probieren sie es ruhig mal zu Hause aus. Wenn man nicht gerade selbst tot ist, macht es einem nichts aus! Und wenn man tot ist, vermutlich auch nicht.
Frau Ruckdäschl kommt also mit dem Heizungsableser, der Ableser liest ab und Frau Ruckdäschl stolziert durch unsere ganze Wohnung.
So kommt sie endlich mal in jedes Zimmer, auch ins Schlafzimmer.
Damit die Sonne das Zimmer nicht so aufheizt, haben wir die Rolladen etwas heruntergelassen, es ist schummrig.
Ich beeile mich und zünde die roten Dauerbrenner an, damit der Mann was sehen kann. Während der Ableser seiner Arbeit nachgeht, nähert sich Frau Ruckdäschl von einem anderen Zimmer her und plappert die ganze Zeit vor sich hin. Doch jetzt verstummt die Scherohnien-Tante und bleibt ehrfurchtsvoll an der Tür stehen.
Ich führe das auf ihren Anstand zurück. Schließlich ist so ein Schlafzimmer ein intimer Ort.
Als die beiden wieder gegangen sind, will ich mich hinsetzen, um ein paar Witze aufzuschreiben. Eigentlich schreibe ich ja keine Witze auf, aber Tochter Josie fragt immer wieder, was ich denn eigentlich arbeite. Ich zeige ihr dann die schönen Bücher und erkläre ihr, dass ich da so lustige Geschichten schreibe.
Josie versteht das mit ihren (damals! Anm. des Autors) sieben Jahren natürlich sofort und erzählt allen Freundinnen und Nachbarn: „Mein Papa verdient Geld mit Witzeaufschreiben!“
Doch ich komme nicht dazu! Es klingelt an der Tür. Eine Abordnung der benachbarten Eingeborenen steht im Flur.
Statt des üblichen Gezeters nur betretenes Schweigen. Selbst die Scherohnie schweigt. Ich blicke die Leute aufmunternd an. Sie schauen bedrückt auf ihre Fußspitzen. Ich sage: „Und?“
(Die im Folgenden genannten Personen sind die Leute aus dem Universum des o.g. Buches, es tut aber nichts zur Sache, wenn man sie im Einzelnen nicht kennt.)
Da fasst sich Herr Muschelknautz, der mit dem hohen Benzinverbrauch, ein Herz und sagt: „Es tut uns ja allen so leid! Wir hatten ja keine Ahnung!“
Mir bleibt nichts anderes übrig, als auch einmal so zu schauen, wie die mir gegenüber Stehenden sonst immer schauen, nämlich ahnungslos und nichts verstehend.
Kalle, der Schrauber, meint: „Hoffentlich ist es schnell gegangen!“
Ich schaue ratlos in die Gesichter der Leute und mache: „Häh?“
Frau Ruckdäschl überreicht mir einen kleinen Bund frisch geschnittener Scherohnien und sagt: „Legen Sie Ihrer Frau die Blümchen doch aufs Bett, sie würde sich bestimmt freuen!“
Ich nehme das Kraut und glotze weiterhin ratlos aus der Wäsche.
Kalle sagt: „Kommt, wir lassen ihn alleine, der braucht jetzt seine Ruhe.“
Alle gehen und lassen mich mit einem Bund Scherohnien zurück.
Pflichtschuldig lege ich die Kräuter auf die Bettdecke der Allerliebsten; vielleicht ist es ja so eine Sitte hier und schließlich ist die Allerliebste ja von hier…
Erst spät abends kommt sie nach Hause.
Sie sagt: „Unten traf ich Herrn Muschelknautz vom Nachbarhaus. Er hat sich bekreuzigt und ist schreiend davongelaufen, als er mich sah!“
Ich berichte ihr von meinem Erlebnis mit den Scherohnien-Lieferanten. Sie sagt: „Wo hast du denn die Blumen hin?“
„Aufs Bett gelegt, was sonst. Ich will ja nichts verkehrt machen!“
Daraufhin geht sie geht ins Schlafzimmer, es ist einen Moment ganz ruhig, dann ruft sie mich herbei.
„Sag mal, was ist denn das für eine Vorstellung hier?“
Sie deutet auf das Bett, in dem immer noch der Wäschekorb unter der Bettdecke liegt, brav mit einem Sträußchen Scherohnien verziert. Die Friedhofslichter brennen.
Die Allerliebste lacht sich inzwischen kugelig. Ich weiß immer noch nicht, was sie hat. Dann sagt sie: „Guck dir das doch mal an! Das sieht doch so aus, als ob im Bett jemand liegt, mit der Decke bis über den Kopf, dann noch die Friedhofslichter! Hast du immer noch nicht kapiert, was die Alte glaubt, gesehen zu haben?“
Die Trauerfeier findet in aller Stille statt! Wir genießen im Schein der roten Dauerbrenner ein Gläschen Sekt und die Allerliebste freut sich, dass sie seit einigen Tagen ihre Ruhe vor den Nachbarn hat. Jeder hält sie für eine Erscheinung aus dem Jenseits.
Ich auch!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Die Geschichte mit der vermeintlich toten Allerliebsten war ja genial!
was sich manche Leute denken…?
Nach dem Ableben Deiner Allerliebsten bittest Du ganz cool den Heizungsableser herein. Sonst noch was…?
Ich musste gerade einfach köstlich lachen. Das ist wirklich unglaublich. 🙂
Ich auch, und die Tränen liefen…. 🙂 🙂
Oha, ich musste gerade sehr über diese Geschichte lachen. Großartig! Bravissimo!
Tausend Dank dafür! 😀
Grablichter sind wirklich genial, Frau Nachbarin hat sie in ihrem Fenster stehen (gut, sie ist mindestens, wenn nicht 77, vielleicht will sie sich einfach auch nur schon mal an die Beleuchtung gewöhnen) und der Onkel hat sie im Winter im Gewächshaus. Das sieht sehr heimelig aus. Na ja, eher sehr unheimelig für alle, die des nächtens dann an dem Grundstück vorbei flanieren und im Gewächshaus die Grablichter brennen sehen, deren Zweck es ist, die Temperatur so zu halten, das die Saatkisten nicht einfrieren. Das wissen aber nicht alle, manche denken, der steht auf Voodoo, Satan oder sonst so ein okkultes Zeugs… mein Onkel doch nicht. Der ist doch mindestens, wenn nicht… genau 73. Das ist die erfinderische Generation, schließlich hatte man ja nix. So nach dem Krieg. Da war man froh, wenn man noch das Leben hatte… (was aber leider manch einer mittlerweile vergessen hat. Also nicht, das er froh war, noch am Leben zu sein, sondern das man vielleicht alles verliert, wenn Krieg ist und dann froh ist, wenn man irgendwo ein Dach über… Weiterlesen »
„Frau Ruckdäschl bewohnte in einer Zeit, in der Bestattungen nicht mehr mein Metier waren …“
Es gab also zwei Bestatter-Phasen, die Geschichte von Frau Ruckdäschl stammt aus der Phase dazwischen, und der Blonde mit dem Irren Blick arbeitete in Phase 2? 😉
Das ist eine gute Frage. Die Irritation ist berechtigt, resultiert aber aus einem Kunstgriff, zeitliche Zusammenhänge zu verschieben. Das wird nur offenbar, wenn diese von mir gemachten Anmerkungen dabei stehen, die ich zur näheren Erklärung für die Blogleser eingefügt habe.
De facto habe ich mein Bestattungshaus aus persönlichen, wie gesundheitlichen Gründen vor einigen Jahren aufgegeben und habe dann mit dem Schreiben begonnen, d.h. mit dem hauptberuflichen Schreiben. Geschrieben habe ich schon immer, eigentlich seit meinem 12 Lebensjahr.
Die Geschichte spielt eigentlich in der Zeit, als ich schon nur noch als Autor gearbeitet habe, ich habe sie aber aus dramaturgischen Gründen in die Zeit verlegt, in der das Bestattungshaus noch bestand, damit die Personen Antonia & Co. mitspielen können.
Die Geschichte um Frau Ruckdäschl, die ja in vielen meiner Satiren und Familiengeschichten vorkommt, ist austauschbar. Sie spielt für den weiteren Fortgang keine so bedeutende Rolle, es muß halt nur irgendeine Geschichte sein.
Hach, die leichte Verwirrung um deine Kunstgriffe stört mich ja kein bisschen, weil die Geschichten an sich total klasse sind!
Mein Beileid übrigens an dich, ähm, wegen deines verstorbenen Wäschekorbes. Oder so 😀