Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -27-

Noch eine Weile saßen wir zusammen, dann zerbröselte sich die Truppe in alle Himmelsrichtungen. Die Allerliebste und ich nutzten die Rückfahrt, um alles noch einmal Revue passieren zu lassen.
Heiner und Lizzy hatten mit einer Band anreisen wollen, das war aber wegen des Hickhacks mit dem Wirt und mit sich selbst ins Wasser gefallen. Stattdessen hieß es, daß sie einen kleineren Auftritt absolvieren würden; und auch der war wegen Lizzys ‚Unpässlichkeit‘ ausgefallen.
Der Wirt hatte aber schon seinen Obolus für den Auftritt entrichtet und sich offenbar auch vorher schon so über die beiden geärgert, daß er so erbost war und uns zwar gutes Essen, aber knapp und etwas zappig servieren ließ.

Ja, die Gäste hatten einen Fixpreis bezahlt, einen Betrag für Essen und den Leseabend mit Auftritt, aber natürlich war da beim Wirt nichts von hängen geblieben. Einmal hatte er sich verkalkuliert und war von viel mehr Besuchern ausgegangen und zum anderen waren die Künstler halt „sehr teuer“ gewesen.
Die Gäste, ja sie waren die Leidtragenden, denn es hatte weder die tolle sauerländische Bewirtung gegeben, noch einen tollen Auftritt mit Musik und Gesang.

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Nur einen Film hatte es gegeben. Die DVD lag hinter mir auf der Rückbank. Ein Film, den die beiden Künstler mit viel Fleiß und Engagement gemacht hatten. Aber auch mein Anteil an dem Film war nicht unmaßgeblich, denn rechnet man die vielen Stunden zusammen, um aus Schnipseln und Schnipselchen einen fertigen Film zu schneiden, was ich ja auch nicht jeden Tag mache, dann war das ja auch ein beträchtlicher Aufwand.

„Ach komm! Stell doch Dein Licht nicht immer unter den Scheffel!“ schimpfte die Allerliebste: „Du hast das Buch geschrieben, aus dem die Geschichte stammt, Du hast Ideen für das Drehbuch mitentwickelt, Du hast denen die Kamera und die Filmbänder geschenkt, Du hast den Film geschnitten und vertont, das ist genausogut Dein Film, wie das deren Film ist.“

„Ja, sicher“, sagte ich, „Das war ja immer auch so abgesprochen. Der Film hat im Sauerland seine Uraufführung und dann kann man ihn im Blog, bei weiteren Fantreffen und Lesungen immer zeigen. So gesehen habe ich ja doch noch was von meinem Engagement, da hast Du Recht.“

Irgendwie wurden wir uns nicht darüber einig, ob wir nun mehr auf den Wirt böse waren oder auf die Künstler.

Die darauffolgende Arbeitswoche begann wie jede Arbeitswoche, nur dass Herr Falk nicht zur Arbeit erschienen war. Seine Lebensgefährtin hatte angerufen, er sei krank.
Mit irgend so etwas hatte ich eigentlich schon gerechnet.

Heiner blieb krank. Er kam nie wieder.

Ende der Geschichte?

Nein.

Lizzy tauchte am Mittwoch bei mir auf. Sie war völlig aus dem Häuschen, ihr Vogelnesthaar wippte auf und ab und ihre Worte überschlugen sich. Sie hetzte sich dermaßen durch ihr Vokabular, daß sie mehr als einmal ins Stolpern geriet und ich kaum verstand, um was es ging.

In etwa hatte sie folgendes vorgebracht: Der Heiner sei jetzt in der Psychiatrischen, der komme damit nicht klar, das sei alles zuviel für ihn gewesen und der müsse jetzt aus Ton so kleine Figuren kneten. Ich sei das alles Schuld, der Johnny sei das alles Schuld, die ganze Welt sei das alles Schuld und während ihrer Abwesenheit hätte noch jemand Lizzys Auto zerkratzt…

Jau.

Wen dem so ist, daß ich mal wieder an allem Schuld bin, dann ist das eben so. Merke: Man kann einen Mann dann nicht mit Schuldzuweisungen in die Knie zwingen, wenn dieser verheiratet und entsprechend abgehärtet ist.

Was sollte ich der Schnepfe sagen?

Ich hörte mir das an, wünschte ihr einen guten Tag und ließ sie stehen. Feddisch!

Meine Fresse, ich hatte die Schnauze voll von dem ganzen Theater.

Am nächsten Tag will ich gerade für meine Blogleser den „Es ist kalt“-Film online stellen, blinkeldingt mein Rechner und kündigt damit das Eintreffen einer Mail an.

Es ist eine Mail von Heiner und Lizzy.

Ja, der Franz, der da so kongenial in dem „Es ist kalt“-Film mitgespielt habe, der sei ja eigentlich Schauspieler von Beruf und habe da neben seinem Job noch so ein Engagement bei der und der Bühne und er habe völlig übersehen, dass in seinem Arbeitsvertrag steht, daß er an solchen Filmen nicht mitmachen dürfe.

„Der Film kann damit nicht gezeigt werden. Außerdem ist das Projekt mit den Vorführungen Deiner Texte gestorben.“

Das soll es gewesen sein? Außer Spesen nix gewesen?

Das ganze Theater und dann am Ende nichtmal einen Film, den man vorzeigen kann?

„Nix da!“ schimpfte meine Frau: „Den Typ sieht man in sechs Szenen von vorne. Ansonsten sieht man den nur von hinten oder hört nur seine Stimme. Die paar Szenen schneidest Du raus, da wo man den richtig sieht und da legst Du einen Off-Ton drüber. Dann sieht man den Kerl nicht und wir können den Film trotzdem zeigen.“

Skeptisch wiegte ich meinen Kopf hin und her: „Ich weiß nicht, ich glaube, das gibt Ärger.“

„Ach weißt Du was? mach doch was Du willst!“

Ich habe dann am selben Tag noch den Film so umgeschnitten, daß die in Rede stehende Person nicht mehr zu sehen war. Den Vor und Nachspann hatte ich ebenfalls entsprechend geändert.
Mit dem Ergebnis war ich zwar nicht hundertprozentig zufrieden, aber man konnte den Film so wenigstens vorzeigen. Genauergesagt, wer es nicht besser wußte, der bemerkte gar nicht, daß da was geändert wurde.
Auch geändert hatte ich den Abspann aus dem Grund, weil ich mich ja immer noch in dem Dilemma befand, daß nicht jeder wissen sollte, daß sich hinter mir die Kunstfigur „Undertaker Tom“ verbirgt.

Gut, im Sauerland hatten meine Fans reinen Wein eingeschenkt bekommen, aber das würde sich nicht hier vor Ort auf das Geschäft auswirken. Denn ich hatte dieses alter ego ja in erster Linie deshalb gewählt, weil ich nicht wollte, daß Trauernde hier vor Ort Rückschlüsse auf mich, mein Unternehmen und meine Mitarbeiter ziehen konnten.
Würde das jetzt bekannt werden, daß da der Bestatter, dem sie sich und ihre Verstorbenen anvertraut hatten, ihre Schicksale literarisch ausschlachtet, das hätte bei der doch manchmal etwas dörflichen Bevölkerung einen solchen Nachhall, daß ich um die Existenz meines Betriebes fürchten mußte.

Am nächsten Tag kommt wieder eine Mail.

„So, wir haben jetzt seit Sonntag auf einen Anruf von Dir bei mir oder Heiner gewartet, wir haben so einen Hals! Den Film darfst Du nicht mehr zeigen, Punkt. Und wir bekommen von Dir 200 Euro für die vom Heiner gemachten Särge. Die kannst Du uns online überweisen, das kannst du ja so gut. Wenn Du nicht willst, daß Deine Identität im Netz aufgedeckt wird und Du mit dem Ende Deiner beruflichen Existenz rechnen mußt, dann ist die Kohle ruckzuck bei uns. Klappt das mit dem Geld, dann kann der Undertaker noch bis in alle Ewigkeiten friedlich in den Sonnenuntergang reiten. Klappt das mit der Kohle nicht, geht er in die ewigen Jagdgründe ein. Wir stehen Dir jederzeit für Gespräche zur Verfügung.“

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(©si)