Als ich am nächsten Morgen, etwas später als sonst, ins Büro herunter kam, redeten schon alle über den nächtlichen Vorfall.
Einerseits wunderte mich das, weil von mir noch keiner was erfahren hatte, und andererseits hörte sich die Geschichte nun seltsamerweise doch ganz anders an, als ich sie in Erinnerung hatte.
Frau Büser trug sie folgendermaßen vor: Ich also sei des nachts mit dem Hunde auf Einbrecherjagd gewesen, weil ich mir eingebildet hätte, da sei etwas Merkwürdiges im Keller zugange. Seltsame Geräusche hätten mich dorthin gerieben, gepaart mit einem Anfall präseniler Bettflucht. Und dort habe ich dann den friedlich in einem Sarg schlafenden Herrn Falk geweckt, der sich, ganz Herr der Lage, heute Morgen noch köstlich darüber amüsiere, daß ich mit Hund und Frau „so durch den Wind“ gewesen sei und er lache jetzt noch, der Herr Falk.
Ich nahm die Büsersche Schilderung mit einer spockhaft hochgezogenen Augenbraue zur Kenntnis und fragte nur zurück: „Und was will der da unten gemacht haben?“
„Der Herr Falk? Der hat geübt!“
„Geüüüüübt? Für was denn geübt? Im Sarg schlafen, falls die Russen mal kommen und alle Betten stehlen? Oder was?“
„Na, für sein Theaterstück.“
„Was denn für ein Theaterstück? Sind wir hier beim Kasperle-Theater, oder was?“
„Nein, der Herr Falk hat gehört, daß Sie immer so lustige Geschichten aufschreiben und schon ein Buch geschrieben haben. Das hat er sich vorige Woche gekauft und übt eine Geschichte.“
„Was?“
„Der will doch ein Schauspiel aufführen.“
„Wie?“
„Na, von ihrer Geschichte!“
„Ach was!“
„Doch!“
„Ich glaub‘, ich spinne. Schicken Sie mir den mal hoch!“
„Der ist mit Manni unterwegs, die sind erst in zwei bis drei Stunden wieder da. Überführung mit Trauerfeier außerhalb und dann wieder hier her.“
Ich entließ sie mit einem Kopfnicken und kam dann auch nicht mehr dazu, näher über die Sache nachzudenken, denn kaum eine Minute später brachte Antonia die Post und zwar zwei dicken Mappen, das bedeutet Arbeit.
„Sie haben um 10 Uhr einen Termin“, sagte sie noch und machte mit einem Kugelschreiber in meinem Kalender bei der Zehn einen Kringel.
„Eine Beratung? Ein Sterbefall?“
„Nein, wenn ich das richtig verstanden habe, kommt da eine Opernsängerin, die auf Beerdigungen singen will.“
Ach du Scheiße!
Wenn ich irgendwas morgens nicht gebrauchen kann, dann sind es Sopranistinnen, die mir Arien oder noch schlimmer Schubert-Lieder vorsingen wollen, um sich als Solokünstler für die musikalische Umrahmung von Trauerfeiern zu bewerben.
„Hoffentlich singt die Alt“, gab ich meiner Sopranophobie Ausdruck.
„Nö, die klang ganz jung“, meinte Antonia und einmal mehr blieb ich kopfschüttelnd zurück. Ja, dieses Kopfschütteln würde mich noch eine Weile durch diese Geschichte begleiten, doch davon ahnte ich noch nichts, auch nicht davon, daß Kopfschütteln noch die mildeste Form der inneren Erregung war, die ich noch an den Tag legen würde.
Um Punkt zehn Uhr klopfte es an meiner Tür und nachdem ich „Herein!“ gerufen hatte, öffnete Sandy die Tür und noch bevor sie etwas sagen konnte, schob sich eine kleine, etwa 27-jährige, blonde Frau an ihr vorbei und kam freudestrahlend auf mich zu. Höflicherweise war ich aufgestanden. „Hiller, mein Name, Lizzy Hiller!“ flötete die Frau in allerhöchstem Sopran und ehe ich es mich versah, war sie mit ausgebreiteten Armen um den Schreibtisch herum gekommen und schloß mich in die selben. „Ach, was freu‘ ich mich, nee, was freu‘ ich mich, ach, was ist das schön, nee, ich freu mich so, das ist so schön“, rief sie, während sie sich an mich, ihren Duft nach Früchteparfüm in meine Nase und ihre spitze Nase in meine Schulter drückte.
„So, genug geschönt und gefreut!“ kommandierte ich und schob die kleine Frau etwas von mir weg.
Sie hatte ein Strahlen auf dem Gesicht, als wollen sie in einer Ferienanlage an der türkischen Riviera alte Leute zum Hip-Hop-Tanzen animieren oder ihnen sündhaft teure Rheumadecken verkaufen.
Dieser Gesichtsausdruck hatte fast schon etwas religiös Verzücktes, als sei ihr der Heiland persönlich erschienen.
Sie trat einen Schritt zurück und musterte mich von oben bis unten, was ja immer eine Weile dauert, weil ich ziemlich groß bin.
„Toll, toll, ganz toll! Genau so habe ich Sie mir vorgestellt! Der Heiner hat mir so viel von Ihnen erzählt.“
„Welche Heiner?“
„Na, der Heiner!“
„Ich kenne keinen Heiner.“
„Doch, den Heiner Falk, der arbeitet doch hier.“
„Ach, den Herrn Falk meinen Sie, ja, den kenne ich. Und wer sind Sie jetzt ganz genau?“
„Sagte ich doch, Lizzy Hiller, also eigentlich Lizzy Miller, aber das kommt erst.“
„Was kommt erst? Nehmen Sie doch bitte Platz!“
Die Kleine setzte sich, schüttelte ihr kurzes Haar und schlug die nicht unansehnlichen Beine übereinander. „Das mit dem Miller, das kommt erst.“
„Wann kommt das und warum?“
„Na ja, eigentlich hieß unsere Familie ja Mittler, aber so wollte nach dem Krieg ja keiner mehr heißen. Sie wissen schon, wegen dem da“, sagt die Blonde und hielt sich zwei Finger ihrer linken Hand senkrecht unter die Nase und erhob den rechten Arm zum deutschen Gruß. „Wirklich, Mittler ging gar nicht, da hat sich mein Opa, also der Vater meines Vaters, umtaufen lassen. Haben damals ja viele gemacht, die so ähnlich hießen wie der da. Sie wiederholte die beiden Gesten und ich nickte nur.
„Ja, heißen Sie jetzt Hiller oder Miller?“
„Hiller, Lizzy Hiller.“
„Und was war mit dem Miller?“
„Ich bin Pädagogin…“
„Macht doch nix.“
„…und arbeite für die Stadt…“
„Ist doch nicht schlimm.“
„…und berate alleinerziehende Mütter.“
„Ja und? Weiter!“
„Ja, das geht doch nicht.“
„Was geht nicht? Das gibt es doch oft, daß Pädagogen alleinerziehende Mütter beraten.“
„Das meine ich nicht. Ich meine das mit dem Hiller.“
„Sie verwirren mich.“
„Oh, das lag nicht in meiner Absicht. Ich fang nochmal von vorne an…“
„Bitte nicht! Machen Sie da weiter, wo der Miller ins Spiel kommt!“
„Wenn ich berühmt bin, kann ich doch nicht Hiller heißen. Wegen meines Dienstherrn, ich bin doch städtisch.“
„Ja“, sagte ich mit einem fragenden Unterton und nickte, obwohl mir immer noch nicht klar war, was die Frau von mir wollte.
„Dann kann doch nicht Lizzy Hiller auf den Plakaten stehen. Das verträgt sich doch mit meinem Beruf nicht. Da muß ich dann quasi inkognito berühmt werden, und deshalb nenne ich mich dann Lizzy Miller.“
„Na, das leuchtet ein. Inkognito berühmt werden, das wäre mal was Tolles und von Lizzy Miller kommt natürlich niemand auf Lizzy Hiller.“
Einmal mehr wünschte ich mir einen geheimen Knopf unter meinem Schreibtisch, den man nur zu drücken braucht, um einen im Untergrund verborgenen Mechanismus in Gang zu setzen, der dann eine Falltür öffnet und die mir gegenüber sitzenden Personen einfach verschluckt. Es würde auch ausreichen, wenn auf den Knopfdruck hin zwei Männer in weißer Krankenpflegerkleidung hereinkommen und mein Gegenüber in einer Zwangsjacke abführen würden.
„Hören Sie mir überhaupt zu?“ unterbracht Lizzy Hitler-Mittler meine Gedanken und als ich wieder zu ihr hinschaute, stellte ich fest, daß sie mit etwas Phantasie doch recht viel Ähnlichkeit mit Eva Braun hatte – also, wenn Eva Braun kürzere Haare gehabt hätte…
„Doch, doch, ich folge Ihnen ganz aufmerksam“, sagte ich: „und ich möchte auch nur zu gern verstehen, was Sie mir da alles erzählen, doch allein gebricht es mir an der dazu nötigen zerebralen Störung.“
„Was?“
„Ach nichts. Also, Sie kennen mich, weil unser Herr Falk Ihnen von mir erzählt hat. Und sie heißen Hiller, weil ihr Opa nicht Mittler heißen wollte, weil der Name so ähnlich klingt, wie der vom Adolf. Und dann wollen Sie berühmt werden und dann lieber nicht mehr Hiller, sondern Miller heißen, damit niemand erfährt, daß sie im Hauptberuf alleinerziehende Mütter pädagogisieren. Ist das richtig so?“
„Genau, sag ich doch.“
„Wunderbar! Nur habe ich immer noch nicht genau verstanden, was Sie von mir wollen.“
„Wegen dem Heiner!“
„Wegen des Heiners oder einfach wegen Heiner. Also, jetzt erklären Sie mir mal, was Sie und der Heiner miteinander zu tun haben.“
„Der Heiner ist mein Mann. Also, jetzt noch nicht, aber bald. Jetzt ist er ja noch mit seiner Frau zusammen, bei der bleibt er ja wegen dem Kind.“
„Wegen des Kindes!“
„Sag ich doch, sag ich doch! Und wenn der Heiner und ich zusammen sind, dann wollen wir berühmt werden.“
„Das ist aber schön.“
„Nicht wahr? Das wäre soooo supersüüüüüß von Ihnen.“
„Von mir? Moment mal, was habe ich denn jetzt damit zu tun. Heiraten Sie den Heiner bitte alleine, ich will da nicht mitmachen.“
Sie lachte laut auf, so, als ob ich einen tollen Witz erzählt hätte, schüttelte den Kopf und meinte: „Aber nein doch, Sie müssen gar nichts tun, nur zustimmen.“
„Meinetwegen, meinen Segen habt Ihr.“
„Doch nicht das! Nicht wegen dem Heiraten, sondern wegen der Geschichte.“
„Hitler?“
„Nein, nicht die Geschichte, die andere Geschichte.“
„Gibt es zwei? Seit wann das? Ich kenn nur die mit Hitler.“
„Sie machen sich über mich lustig, oder?“
„Niemals!“
„Nein, die Geschichte aus Ihrem Buch.“
Ich hob nur hilflos die Arme und das nahm sie zum Zeichen, mir weiter zu erklären: „Sie haben da doch diese Geschichte geschrieben, von Frau Ruckdäschel und dem Tod. Und die würden der Heiner und ich gerne auf die Bühne bringen. Wir machen Musik, tanzen, singen und spielen das vor.“
„Au weh!“
„Wie bitte?“
„Ich sagte, nette Idee.“
„Nicht wahr? Eine ganz tolle Idee ist das! Ich hatte ja auf der Schule Schaulspielunterricht in der Theater-AG und der Heiner, der kann so schön singen.“
„Toll! Und jetzt?“
„Soll ich mal was vorsingen?“
„Nein, bitte nicht!“
„Was vorspielen? Ich könnte jetzt mal die Kunigunde aus dem König von Lerchenthal geben.“
„Nein, nein, auch das nicht.“
„Sie wollen gar nichts hören oder sehen?“
„Nicht jetzt, mir ist sowieso schon irgendwie ganz anders. Vielleicht erklären Sie mir nochmal, was Sie vorhaben.“
„Also, wir haben unseren ersten Auftritt im Altersheim von Heiners Oma. Da wollen wir dann zuerst musizieren, am Anfang nur bekannte Volksweisen, um die alten Leute abzuholen.“
„Abholen? Waren die weg?“
„Innerlich abholen!“
„Ach so. Weiter!“
„Ja, und nach den Volksliedern schwenken wir dann um auf unsere Musik, Jazz, Pop, Klassik und bringen was zur Einstimmung. Und dann kommt Heiner und liest aus Ihrer Geschichte vor.
Ich untermale das durch Gesang und Tanz.“
„Also, mir ist egal, was Sie im Altersheim mit Heiners Oma anstellen, aber eins sage ich Ihnen gleich: Ich singe und tanze auf gar keinen Fall!“
„Nein, das müssen Sie ja auch nicht, Sie müssen uns nur erlauben, daß wir das Stück vorführen dürfen, weil das doch ihr Text ist.“
„Um welchen handelt es sich ganz genau?“
„Um die Geschichte, wo Frau Ruckdäschel dachte, Ihre Frau sei gestorben.“
„Ach die.“
Ich grübelte. Die Geschichte war eine lustige Geschichte, die sich um ein Mißverständnis und die sich daraus ergebenden Verwicklungen drehte. Sie war schon etwas älter und ich fand eigentlich nichts dabei, daß jemand die in einem Altersheim mal vorlas oder vorspielte. Deshalb, und auch um Frau Miller-Braun endlich los zu werden, sagte ich: „Meinetwegen! Meinen Segen haben Sie!“
„Ui, das ist ja toll, da freue ich mich ja. Ach, was wird der Heiner sich freuen, wenn ich ihm erzähle, daß sein Vadda ihm das erlaubt.“
„Was’n für’n Vadda?“
„Na, Sie! Er nennt Sie immer sein‘ Vadda.“
Ach ja, stimmte ja, das hatte er ja auch schon mal zu mir gesagt.
Die Frau freute sich so arg, daß sie mich abermals umarmen wollte, aber ich wich ihr geschickt aus und schob Sie, den Schwung ihrer Umarmung ausnutzend, in Richtung Tür.
„Tschüß, und wir hören voneinander“, sagte ich nur und schon hatte ich sie raus geschoben und die Tür zu gemacht.
„Meine Güte“, seufzte ich leise: „Was hat die für einen gewaltigen Knall!“
Wie groß dieser Knall sein würde, das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Die Spannung steigt! O_O
Köstlich zu lesen, aber diesen Satz fand ich mit am schönsten: „… doch allein gebricht es mir an der dazu nötigen zerebralen Störung.”
Manchmal kann man Bildung wie eine „Waffe“ benutzen 🙂
Ich noch mal.
”Wegen des Heiners oder einfach wegen Heiner …“ – heißt es doch so schön „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod!“ – Kann es sein, dass ich leichte pädagogische Rudimente entdecke??? *grinsgrinsgrins*
Verzeihung – der Haken sollte bei „Benachrichtige …“ landen und nicht bei „Verlinken“ – muss nicht sein, schadet aber auch nicht.
Genitiv ins Wasser weil’s Dativ ist.
Passt auch immer.
Ich entdecke in dieser Geschichte nur allzu bekanntes…
Da war doch mal was: Weblog – Treffen – Eklat?
„H- … -einer von…“ ??
Ähnliche Assoziationen… 😀
Danke für die spannende Geschichte! Hoffentlich tut es Dir auch gut, etwas zum „Normalbetrieb“ zurückzukehren 🙂
Ich spekulier mal a bisl über den Hintergrund: Der Heiner, dem sein Alter bei ihm nen Vaterkomplex hinterlassen hat, und die Lizzy, der ihr Opa mal der GRÖFAZ ihre Hand schütteln gedurft hat, also die zwei ham sich in der Psychiatrie kennengelernt. Da ham sie ihre Liebe zum Theater entdeckt und sich dem Tom sein Buch ausgeliehen. Nach seiner Entlassung hat sich der Heiner dann nen Job im Tom seiner Firma ergattert usw…….
Ich bin schon wahnsinnig gespannt auf den nächsten Teil!!
Die Beschreibung von Heiner, erinnert mich an eine Doku, bei der ein junger Mann gerne so lebt wie am Anfang des Jahrhunderts. Nur war der Friedhofsgärtner. Aber groß, blond und Kleidungsstil passen!
Ich bin schon sehr auf die Fortsetzung, und vor allem auf das Ende dieser Geschichte, gespannt. Ist ja schon recht interessant: erst schläft der Heiner im Sarg „um zu proben“ und dann taucht diese Frau Miller auf und erklärt, was die beiden Vorhaben und welche Rolle die Geschichte der Frau Ruckdäschel dabei spielt.
„…um die alten Leute abzuholen“ He. He, die wollen Werbung für dich machen!