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Der Blonde mit dem irren Blick -3-

Im Präparationsraum bot sich uns nach dem Einschalten des Lichts ein seltsames Bild.

Auf dem Boden lag Herr Falk auf dem Rücken, über ihm unser Labradorrüde Tibor, der ihm freudig schwanzwedelnd das Gesicht abschleckte und sich freute wie Bolle, während Herr Falk das für einen gefährlichen Angriff hielt und die ganze Zeit um Hilfe schrie. „Hilfeeeee! Warum hilft mir denn keiner? Hilfeeeee!“
Neben ihm kullerte eine eingeschaltete Taschenlampe über den Boden.
Und während er das rief, fuchtelte er die ganze Zeit mit den Armen, was der Hund für ein lustiges Spiel hielt und sich immer mal wieder auf den am Boden liegenden Mann plumpsen ließ, mit diesem einmel herumrollte, um ihm dann wieder die Hände und das Gesicht zu schlecken.

Eindeutig, der Hund hatte seinen Spaß!

„Hören Sie doch auf zu schreien!“ rief ich dem Mann zu und meine Frau kommandierte: „Tibor, aus!“

Und tatsächlich erwies sich der Hund als ein gehorsamer Hund, ließ von Herrn Falk ab und gesellte sich hechelnd zu meiner Frau.

„Mann, was machen Sie hier, nachts um diese Zeit?“ brüllte ich den Mann an und meine Frau meinte nur lakonisch: „Schrei doch nicht so!“

„Ich? Wie? Ich?“ mehr vermochte Herr Falk, der sich nun aufgesetzt hatte, dazu nicht zu sagen. Er blickte schwer atmend, soeben dem Tode entronnen, von einem zum anderen und immer wieder zum Hund.

„Der, der, der Hund, der Hund, der, der wollte mich totbeißen!“ rief er mit jammernder Stimme.

„Ach was! Der tut keinem was. Oder hat er Sie gebissen?“

„Das, das, weiß ich jetzt nicht so genau, da, da mu- muß ich erst mal gucken, muß ich da“, stammelte Falk und tastete seine Glieder ab. „Ich glaub‘, da is‘ nix.“

„Nee, da ist auch nichts! So und nun stehen Sie mal auf, beruhigen sich und dann sagen Sie mir gefälligst, was Sie nachts hier machen!“

„Genau“, fügte meine Frau unterstützend hinzu: „Wir wollen nämlich wissen, was Sie hier machen.“

Ich warf meiner Frau einen Blick zu, in dem mein gesamter Weltschmerz lag.

Der lange Blonde hatte sich aufgerichtet, atmete immer noch schwer und setzte sich auf einen Metallstuhl in der Ecke. Während er seine Kleidung sortierte, sah ich mich im Raum um.

Der Präparationsraum ist ein gekachelter Raum mit einem Edelstahltisch in der Mitte, auf dem Verstorbene hergerichtet werden können.
Außer den Werkschränken und den Waschbecken, sowie den Geräten und Bestecken hat er normalerweise nur noch zwei Stühle und einen kleinen Tisch als Einrichtung.

Jetzt stand aber ein Sarg an der einen Wand, genauergesagt, das Unterteil eines Sarges, gefüllt mit Sägespänen und darüber ein weißes Leinentuch.

„Was’n das?“ fragte ich Herrn Falk und deutete auf den Sarg.

Anstelle des Angesprochenen antwortete die Allerliebste, das tut sie besonders gerne: „Ach Gottchen, vielleicht ist der arme Mann obdachlos. Dem muß man helfen! Der kann doch nicht auf der Straße pennen und auch nicht in so einem Sarg, ach, der Ärmste…“

Ich unterbrach sie, das tue ich nämlich auch besonders gerne: „Was ist los, Herr Falk, nun antworten Sie doch mal!“

„Laß doch den Armen in Ruhe, Du siehst doch, daß der ganz fix und fertig ist“, antwortete wieder meine Frau.

Ich warf ihr einen zornigen Blick zu und wandte mich abermals an Herrn Falk: „Mensch, jetzt machen Sie doch mal den Mund auf! Was soll das Ganze hier?“

Die Allerliebste antwortete: „Na, der wird hier schlafen wollen, der Ärmste.“

Ich ignorierte sie und ging einen Schritt auf Falk zu: „Jetzt aber raus mit der Sprache, Kerl, antworten Sie!“

„Ich, ich, ich komm‘ ja nicht zu Wort!“ jammerte er.

„Ach was, Papperlapapp, Du bist jetzt ruhig!“ sagte ich zu meiner Frau und zu Herrn Falk sagte ich: „Reden Sie!“

„Ihre Frau hat recht, ich wollte hier schlafen…“

„Siehste!“ unterbrach ihn die Allerliebste und ich fuhr zu ihr herum: „Schweig Weib, Du plapperndes, Du!“

Herrn Falk fragte ich: „Und warum wollten Sie hier schlafen? Sind Sie zu Hause rausgeflogen, oder was?“

„Aber nein, wo denken Sie hin, nein, zu Hause ist alles in Ordnung, ich wollte hier nur mal in einem Sarg schlafen.“

„In einem Sarg?“

„Ja.“

„Und warum?“

„Nur mal so.“

„Wie? Nur mal so?“

„Ja wegen der Atmosphäre und so.“

„Atmosphäre? Hier im Keller wo alles nach Chemie, Holz und Werkstatt riecht?“

Mit weit aufgerissenen Augen, in denen irgendetwas Seltsames aufblitzte, schnüffelte Falk wie ein Reh, das vorsichtig auf eine Lichtung getreten ist, in der Luft herum: „Ich rieche nix.“

„Also wirklich, ich hab‘ ja schon einiges erlebt, aber daß hier jemand wirklich eine ganze Nacht in einem Sarg verbringen will, nur wegen der Atmosphäre…“

Es hatte so etwas schon gegeben. Sandy hatte sich schon oft mittags in der Pause einfach in einen Sarg gelegt, bis ich ihr das irgendwann verboten hatte. Und jeder Neue kommt irgendwann auf die Idee, mal auszuprobieren, wie das so in einem Sarg ist. Aber daß da jemand wirklich schlafen wollte, das war neu. Außerdem hätte ich wahrscheinlich gar nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn mich der Blonde danach gefragt hätte. Meine Güte, jeder tickt anders. Aber der? Der schien mir ganz besonders anders zu ticken.

„Sie können also nach Hause?“ fragte ich ihn und weil er nickte, fügte ich hinzu: „Gut, dann packen Sie ihr Zeug, fahren Sie nach Hause und schlafen Sie sich aus. Wir unterhalten uns morgen.“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 19. Februar 2014 | Peter Wilhelm 19. Februar 2014

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comicfreak
10 Jahre zuvor

*Nägelbeiß*

..und weiter?

10 Jahre zuvor

Wieso musste ich im ersten Augenblick an Henning denken… apropos, muss die Geschichte mal wieder lesen.

uli-mit-hut
10 Jahre zuvor

*lach* … also wirklich … und wie gehts weiter ???

Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

Warum erinnert mich der Blonde an den Beißer von James Bond? 😀

Veit
Reply to  Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

Keine Ahnung, da fehlt noch ein viertel Meter (und die dunklere Färbung der Haare)

Corpi
Reply to  Held in Ausbildung
10 Jahre zuvor

Ich hab eher den Kinski vor Augen.




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