Geschichten

Der Fleck an der Deck -II-

Ich nehme es gleich vorweg. Herr Krause ist nicht tot.
Wir kamen am frühen Nachmittag am Haus der Zimmermanns an und Frau Zimmermann holte den Schlüssel zum Vorderhaus, für die Haustüre und die Wohnungstüre der Mansarde. Mit einer merkwürdig bangen Stimmung schlichen wir uns wie zwei Verbrecher die Treppe hoch und ich wußte sofort, was Frau Zimmermann gemeint hatte, als sie von einem üblen Geruch gesprochen hatte.

Eins war klar, so riecht keine Leiche, so riecht Urin.

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Erstaunlicherweise fanden wir die Wohnungstüre unverschlossen. Man mußte nur die Klinke herunterdrücken, schon ging sie auf. Frau Zimmermann blieb ängstlich stehen und gab mir einen leichten Stoß: „Los, gehen Sie mal!“

Ich rief mehrfach den Namen des Mannes, versuchte Licht zu machen, doch keiner der Lichtschalter bewirkte irgendwas. Offenbar war der Strom abgestellt oder die Sicherung rausgeschraubt. Durch die herabgelassenen Rolladen schimmerten nur schmale Streifen der Nachmittagssonne und ich war froh, eine kleine, aber sehr kräftige Taschenlampe an meinem Schlüsselbund zu haben.

Nun habe ich ja schon einiges an Gerüchen wahrgenommen und meine Nase ist schon in ganz schlimme Düfte geraten, aber dieser scharfe Gestank nach Urin verschlug selbst mir den Atem und ich merkte, wie sich mein Mageninhalt kurzfristig den verkürzten Ausweg nach oben überlegte. Ich mußte umkehren und erst einmal das Fenster im Flur aufmachen und einen tiefen Zug frische Luft nehmen.

„Isser da drin?“ will Frau Zimmermann wissen und ich sage: „Keine Ahnung, ich mußte erst mal Luft holen.“

Dann ging ich wieder in die Wohnung, das heißt ich stakte in die Wohnung, wie ein Storch. Überall auf dem Fußboden im Flur lagen Lumpen, Lappen und leere Plastiktüten. An den Fußleisten entlang konnte ich im Schein der Taschenlampe unendliche Reihen zusammengeknüllter Papiertaschentücher sehen, die sich mit inzwischen getrockneter Flüssigkeit vollgesogen hatten.

Nochmals rief ich mehrmals den Namen des Mannes und als ich keine Antwort bekam, bog ich nach links in das erste Zimmer ab. Nur ein schmaler Gang war noch frei, ansonsten war das Zimmer bis zur Decke mit Plastikbeuteln und Waschmittelkartons vollgestopft. Der Gang führte zum Fenster, vor dem eine Art Schlafsack aufgeschlagen lag – leer.
Langsam zog ich vorsichtig die Rolladen hoch und bereute es, daß ich mir keine Handschuhe mitgenommen hatte.

Endlich kam Licht in die Burg und ich konnte erkennen, daß diese enge Mulde, ja fast Höhle, der einzige zugängliche Platz im Zimmer war. Ob hinter den Bergen von Müll irgendwo Möbel verborgen waren… man konnte es nicht erkennen.

„Isser da?“ rief Frau Zimmermann wieder von der Tür und ich grunzte nur, denn ich wagte es nicht, dem Mund zum Sprechen aufzumachen, der Gestank war pestialisch.
Das Zimmer gegenüber ließ sich als Wohnzimmer ausmachen. Ein Sessel und ein Fernsehapparat waren die einzigen freien Möbel, alles andere war hier mit Bergen von Kleidungsstücken ebenfalls bis zur Decke vollgestopft.
Als auch hier die Läden offen waren, riss ich noch die beiden Fenster auf, aber einen Herrn Krause konnte ich hier auch nicht finden.

So ging es weiter durch Küche und Bad. Ich will die Zustände in diesen beiden Räumen gar nicht beschreiben. So viel Dreck auf einmal hatte ich noch nie zuvor gesehen. Offene Konservendosen mit Essensresten, Flaschen, versiffte Töpfe und Pfannen, alles klebte von Fett und über allem lag dieser stechende Uringeruch.
Ich spreche vom Badezimmer!
Die Toilette, das sah ich sofort, war seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden, die Kloschüssel war geborsten, der Deckel abgerissen und in den stinkenden Schlund der Kackschüssel hatte Herr Krause einen alten Mantel gestopft.

In der Küche wurde ich dann fündig.

Nein, nicht Herrn Krause habe ich gefunden, sondern die Ursache für Frau Zimmermanns Deckenfleck.
Eine Bratpfanne stand so ungünstig im überfüllten Spülbecken, daß ein stetig tropfende Rinnsal aus dem Wasserhahn auf den Holzfußboden umgeleitet wurde. Dort war nur eine kleine Pfütze zu sehen, aber im Laufe der Zeit muß die Feuchtigkeit bis zu Frau Zimmermann durchgedrungen sein.
Es war mir unmöglich, den Wasserhahn richtig zuzudrehen, alles verklebt, verkalkt, verdreckt. Ich schob aber mit einem Stück von einer Holzlatte die Töpfe und Pfannen so beiseite, daß die Tropfen von da an wieder ins Waschbecken tropfen konnten.

„Nee, da ist niemand“, sagte ich zu Frau Zimmermann und steckte wieder den Kopf zum Flurfenster raus, um tief durchatmen zu können. Ich bin mir nicht sicher, aber ich hatte das Gefühl, als hätte ich die ganze Zeit die Luft angehalten.

Während ich noch die Luft in tiefen Zügen in meine Lungen pumpte, war Frau Zimmermann vorsichtig in die Wohnung gegangen. Ein Taschentuch, getränkt mit irgendeinem alte-Frauen-Parfüm, hielt sie sich vor die Nase und sagte immer wieder nur: „Meine Güte, meine Güte!“

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