Geschichten

Der Fleck an der Deck -I-

Frau Zimmermann ist 76 Jahre alt. Sie ist klein, schmal, hat etwas krumme Beine und sieht in ihrem sicher an die 50 Jahre alten Persianermantel und dem schwarzen Hütchen mit dem kleinen Schleier vor den Augen aus wie eine englische Romanautorin.

Vor wenigen Tagen haben wir ihren Mann Günther beerdigt, den sie zwei Jahre lang ebenso liebevoll wie energisch gepflegt hat und über dessen Ableben sie sehr traurig ist, aber dennoch keinen Hehl daraus macht, daß ihr eine große Last von den Schultern genommen worden ist. Sie sei froh, wenn das Sanitätshaus bald die Sachen, das Krankenbett, den Klostuhl und die üblichen anderen Dinge endlich abhole, dann könne sie diesen Teil des Wohnzimmers wieder herrichten und einen Schlußstrich ziehen.

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Was Frau Zimmermann zu mir treibt, das hat aber nur am Rande etwas mit dem Tod ihres Mannes zu tun.
Der hatte nämlich einen kleinen Sammeltick und den Keller voll mit Verkehrsschildern und vor allem Lübecker Hütchen1.
Nun hat Mannis Schwager dritten Grades einen Kumpel, der in seinem Angelverein einen kennt, der auch wieder einen Schwager hat, dessen Cousin so etwas ebenfalls sammelt; und so konnten sich dieser Cousin und Frau Zimmermann zusammentun und zwei Leute wurden glücklich. Frau Zimmermann hat seitdem mehr Platz für Eingemachtes („Ach, wer soll das jetzt bloß alles essen?“) und der Cousin hat nun den Keller voll („Hoffentlich sieht das meine Frau nicht!“).

Nachdem der Keller aber von den Beutestücken der Zimmermannschen Sammelwut befreit war, offenbarte sich, daß dahinter noch viel mehr Gerümpel verborgen war, weil es dort in einen Notkeller geht, den man irgendwann im Zweiten Weltkrieg angelegt hatte und den Frau Zimmermann längst vergessen hatte.

Hier kamen wir dann ins Spiel, denn auf unserem Faltblatt erwähnen wir auch, daß wir Dienstleister aus den Bereichen Entwesung und Entrümpelung vermitteln können.

„Haben Sie da nicht so jemanden, der den ganzen Plunder mit einem Container abholen kann?“

Ja, so jemanden hatten wir und immerhin kamen zwei Kubikmeter alte Ski, Bretter, Blechdosen und jede Menge Töpfe, Pfannen und Holzkisten zum Vorschein; was Männer halt so über 60 Jahre ansammeln, vieles davon noch von Herrn Zimmermanns Vater.

Wir sind aber immer noch nicht bei der Geschichte, die es eigentlich zu erzählen gilt, denn der Keller ist ja inzwischen mit Eingemachtem voll und Frau Zimmermann sitzt wieder bei uns.

„Mir ist das so peinlich, ich habe mit noch niemandem darüber gesprochen, aber wir haben doch den alten Herrn Krause auf der Mansarde wohnen…“

Ach, wie lange schon habe ich das Wort Mansarde nicht mehr gehört. Die Mansarde, der zum Wohnen ausgebaute Dachboden, ist wohl aus der Mode gekommen. Heute heißt das „City-Flat mit Ausblick und Flair“ oder die Mansarde wird einfach Bestandteil der so genannten Maisonettewohnung.

„Ja, und was ist mit dieser Mansarde und dem Herrn Krause?“

„Der ist weg.“

„Wie, der ist weg?“

„Ja, nicht das Sie mich falsch verstehen, ich brauch den für nichts, ich vermisse den auch nicht, aber der ist weg.“

Dann erzählt mir Frau Zimmermann, daß der alte Krause vor über zwölf Jahren die etwa 60 Quadratmeter große Wohnung im Dachgeschoss angemietet habe. Da sei Herr Zimmermann gerade in Rente gewesen und man habe diese zusätzliche Einnahme ganz gut gebrauchen können, zumal dann auch endgültig sicher war, daß keines ihrer Kinder und Enkel dort einziehen wollte.

Man habe den sehr zurückgezogenen Mann so gut wie nie gesehen oder gehört; der habe immer das Treppenhaus benutzt, während sie stets vorne die Tür genommen hätten.

„Den hat man aber gerochen. Wenn der aus seiner Tür rausgegangen war und über den Hof vorne zum Tor gelaufen war, dann hat man dem seine Stinkfahne noch eine Viertelstunde gerochen.“

Mit der Hygiene habe es der Mann wohl nicht so und wenn man das kleine Treppenhaus betrete, dann schlage einem ein ganz übler Geruch entgegen.

„Ich geh‘ da aber nicht hoch, was soll ich denn machen, wenn der tot ist?“

Wir überlegen hin und her, die Polizei will sie nicht rufen, sie habe noch nie die Polizei im Haus gehabt, was sollen da die Nachbarn denken und einfach in die Wohnung gehen, da könne sie doch auch nicht.

Also ich würde ja die Polizei rufen, damit die mal nachgucken, was mit dem alten Mann los ist, möglicherweise braucht der ja Hilfe oder ist vielleicht sogar tatsächlich tot. Aber wenn sie keine Polizei will, dann wird das schwierig.

Doch nachdem wir eine ganze Weile überlegt und die verschiedenen Möglichkeiten erörtert haben, sagt sie auf einmal: „Es ist ja vor allem auch wegen dem Fleck.“

„Wegen welchen Flecks?“

„Wegen dem an der Decke.“

„Und was ist das für ein Fleck?“

„Keine Ahnung, in der Küche bei mir, da ist so ein Fleck an der Deck‘, da wüßt‘ ich schon gern, was das ist.“

Mir schießen in Sekunden fast hundert Erinnerungen an Fundleichen und übel riechende Pfützen durch den Kopf und ich sehe vor meinem geistigen Auge schon einen alten Mann, halb mumifiziert, halb verwest in der Küche liegen, um ihn herum ein großer Fleck von Körperflüssigkeit.

„Ja wenn da doch ein Fleck ist“, sage ich, „dann können Sie doch als Vermieterin mal nachschauen. Da ist doch sozusagen Gefahr im Verzug.“

„Das steht sogar so im Mietvertrag“, sagt Frau Zimmermann. „Da steht drin, daß der Vermieter, also wir, äh, also ich, mit Handwerkern und in dringenden Fällen die Wohnung betreten dürfen.“

Ich habe keine Ahnung, ob diese Klausel gültig ist, aber ich beschließe, die Frau zu begleiten und mit ihr gemeinsam die Wohnung oben in ihrem Haus zu inspizieren.

Ich hätte es nicht tun sollen!

1 „Der Leitkegel wird auch Lübecker Hütchen, Verkehrsleitkegel, Verkehrshütchen, Molankegel oder Pylon genannt, in Österreich auch Haberkornhütchen, in der Schweiz auch Verkehrstöggel.“

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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Juni 2012 | Peter Wilhelm 16. Juni 2012

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10 Kommentare
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Ines
13 Jahre zuvor

Jetzt spannst du uns aber auf die Folter 🙂

Stephan
13 Jahre zuvor

1.) Selber schuld wenn Du mitgehst
2.) Und wie gehts nun weiter? muss ich wieder bibbernd bis morgen warten, nächste Woche, Monat, Quartal warten um die Fortsetzung lesen zu dürfen?

Ich bin schon alt und vertage den Stress nicht mehr so gut 😉

btw: heute ist Mittwoch oder?

Klaus
13 Jahre zuvor

Och neeee,

ein anderer Stefan
13 Jahre zuvor
13 Jahre zuvor

… also ansich mag‘ ich ja Fortsetzungsgeschichten mit Cliffhanger… eigentlich. Aber „uneigentlich“ will ich dann auch immer wissen, wie’s weitergeht… 😉
*schongespanntistunddasschlimmstebefürchtet*

Ma Rode
13 Jahre zuvor

[quote]Dienstleister aus den Bereichen Entwesung und Entrümpelung …[/quote]

Ja, das liest sich gruselig …

Mugnogger
13 Jahre zuvor

Na, ich glaube, ich ess erstmal mein Brötchen auf, bevor ich die anderen beiden Teile lese… 😉

Held in Ausbildung
13 Jahre zuvor

UAHHH… das hört sich grausam an! Gleich mal die anderen 3 Teile noch weiterlesen

13 Jahre zuvor

hmmmmmm….. bin grad am essen…. ich glaub ich les SPÄTER weiter ;D mahlzeit!

fuzzy
13 Jahre zuvor

@ Mugnogger und Mao-B
So geht es mir auch. Lese die Geschichte gerade beim Abendessen und die Andeutung von Tom reicht mir, um erstmal fertig zu essen ;-).




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