Geschichten

Der Franzose

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Früher gab es einmal eine Fernsehwerbung für einen französischen Likör, der Picon hieß. Um den Nachkriegsdeutschen das Getränk schmackhaft zu machen, warb unter anderem ein vermeintlich typischer Franzose mit filterloser Zigarette, Baskenmütze und gestreiftem Hemd und starkem französischen Akzent für diesen Aperitif. Daß so Franzosen natürlich so nicht aussehen, daß weiß man ja.
Und dennoch betritt genau so ein Franzose morgens um neun unser Bestattungshaus.

„Darf isch ’ier rauchen?“, ist seine erste Frage und den mit einem vorwurfsvollen Blick von Frau Büser dargereichte Aschenbecher nimmt er nicht etwa zum Ausdrücken seiner Filterlosen, sondern behält ihn und raucht fröhlich weiter.
„Schön ’abben Sie es ’ier! Isch will misch erkundische’ wegen meinen Sterben.“

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„Ja, aber bitte jetzt nicht hier“, entfährt es Antonia, die mit einer neuen Urne für den Ausstellungsraum unsere Eingangshalle betritt.

Frau Büser wirft auch ihr einen ihrer in unendlicher Menge vorhandenen vorwurfsvollen Blicke zu. „Was können wir denn für Sie tun?“, erkundigt sie sich bei dem Mann mit der Baskenmütze.

„Isch binne der Gerard, aber wenn das ist für Sie zu schwer, könne’ Sie auch Gerhard sagen.“

„Also, Herr Gerhard, was möchten Sie denn?“

„Isch bin 75 Jahre alt und muß sterben, also nischt jetzt, aber bestimmte irgendwann, und da will isch alles präpariert haben. Sagt man das so?“

„Das sagt man so. Kommen Sie bitte mit, ich hol mal unseren Chef.“

Nicht ohne ihm den Aschenbecher mit der inzwischen ausgedrückten Zigarette wegzunehmen, führt Frau Büser den Mann in unser Kaminzimmer.

Dort treffe ich auf ihn und er begrüßt mich, als ob ich ein uralter Freund sei, einer von der Sorte, mit denen man die letzte Kriegsjahre zusammen im Graben gelegen und sich dann zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hat.
„O, Monsieur, mein ’err, isch begrüße Sie!“

Es ist doch wirklich keine Kunst, den anderen für das gelten zu lassen, das er ist oder sein möchte, möge es uns auch noch so fremd oder befremdlich vorkommen. Wer weiß denn, wie fremd und befremdlich wir auf diese Menschen wirken?

Ich ertrage die heftige Umarmung, die angedeuteten Küßchen auf die Wangen und nehme Platz. Ihn zu fragen, was er möchte, unterlasse ich, erstens hatte Frau Büser mir das schon gesagt und zweitens reicht meist ein fragender Blick, um die Leute zum Reden zu bringen.

Monsieur Gerard erklärt mir, daß er nun, da in vorgerückterem Alter angelangt, er des öfteren über den Tod und seinen dereinstigen Verbleib nachdenke. Das verursache ihm ein ungutes Gefühl, da er nicht anonym hier in Deutschland, sondern lieber auf einem Friedhof in Südfrankreich beigesetzt werden möchte. Dort gebe es eine junge Mademoiselle, die er ab und zu besuche, und die sein Grab aufgrund des hohen Altersunterschiedes sicher noch an die 20 Jahre pflegen könne.

Nun gut, das was der Mann möchte, ist leicht zu erfüllen, er will eine Feuerbestattung und es ist völlig unproblematisch möglich, seine Urne eines Tages nach Frankreich zu schicken, damit sie auf dem gewünschten Friedhof beigesetzt werden kann.
Schnell habe ich ihm den Ablauf erklärt und im Groben mal die sehr überschaubaren Kosten ausgerechnet.
Er ist einverstanden und will den Vorsorgevertrag sofort unterschreiben. „Was du ’eute kannst besorsche’, das verschiebe nischt auf morge’!“

Ich notiere den Auftragsumfang und bitte Monsieur Gerard um seinen Ausweis.
Er reicht mir den und ich nehme ihn an, erst auf den zweiten Blick, man rechnet ja nicht mit so etwas, lese ich seinen Namen …

… und da steht: Gerhard Egon Frotzek, geboren in Braunschweig.

„Herr, äh, …, Frotzek?“

„O, so heiße ich, das ist mein Name, ja genau“, sagt Monsieur Gerard und hat auf einmal nicht mal mehr den Hauch eines Akzents.

„Gerard? Gerhard? Frotzek? Braunschweig?“, frage ich etwas gedehnt und Herr Frotzek kratzt sich am Kopf und runzelt die Stirn. Offenbar wird ihm in diesem Moment diese merkwürdige Diskrepanz zwischen seinem frankoimitatorischen Auftritt und seiner wahren Herkunft bewußt. „Äh ja, isch bin natürlich kein Franzose, nur so ein halber.“

„Ah, nur ein Elternteil war französisch?“

„Nö, jetzt mehr so andersherum.“

„Wie, andersherum? Nicht der Vater, sondern die Mutter, oder nicht die Mutter, sondern der Vater, oder was?“

„Ja, also, mehr so, weil ich alle zwei Monate nach Frankreich zu meiner Mademoiselle fahre.“

Nun ja, ich kenne viele Leute, die eine Woche in den USA waren, und es dann schick finden, eine Weile mit einem leichten amerikanischem Akzent zu sprechen. ‚Du glaubst ja nicht, wie schnell man seine Muttersprache da verlernt…, schon nach drei Tagen träumte ich in Englisch.‘

Und auch Herr Frotzek war so einer.

„Ich bin halt oft in Frankreich und mir gefällt der Lebensstil der Franzosen so gut. In dem kleinen Dorf in Südfrankreich werde ich voll akzeptiert und bin eben der Gerard. Ich mag die Art, wie die sich kleiden, wie sie essen und trinken …“

„Mensch, Herr Frotzek, mir ist das doch egal. Machen Sie sich keine Gedanken, von mir aus können Sie auch ein Baguette im Haar tragen, Sie glauben nicht, was mir schon alles begegnet ist. Nochmals, mir ist es völlig egal. Meinetwegen sind Sie Monsieur Gerard, Punkt.“

„Und’e daß macht Ihne nix aus? Isch meine, Sie ’abben wirklisch nix dagegen?“

„Ach, wissen Sie, ich wäre gerne Nepalese und habe nur noch nicht den Mut gefunden so zu sein. Ich bewundere Sie sogar ein bißchen.“

„Ehrlisch?“ Herr Frotzek reckt sich etwas, rückt seine Baskenmütze gerade und strahlt. „Dann bin isch ’eute eine sehr glücklische Mann!“

Es ist doch wirklich keine Kunst, den anderen für das gelten zu lassen, das er ist oder sein möchte, möge es uns auch noch so fremd oder befremdlich vorkommen. Wer weiß denn, wie fremd und befremdlich wir auf diese Menschen wirken?

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 14. September 2015 | Revision: 21. September 2015

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    16 Kommentare
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    Winnie
    9 Jahre zuvor

    Die spinnen, die Gallier, deutsche welche.

    9 Jahre zuvor

    Saupreiß, französischer! 😀

    Konni Scheller
    9 Jahre zuvor

    Der letzte Satz fasst meine bescheidene Lebenseinstellung zusammen.

    Das war aber auch nicht immer so…

    9 Jahre zuvor

    Haha, der Knaller. Damit hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. 😀

    ein anderer Stefan
    9 Jahre zuvor

    Das Fazit ist wirklich gut.

    Hajo
    9 Jahre zuvor

    von Antonia hätte ich noch erwartet, dass sie die Urne öffnet
    .. mit einer einladenden Handbewegung 😉
    ansonsten sagte meine Oma immer: „jeder hat seinen Vogel“, und das war nicht böse gemeint

    (wer weiss, welchen Vogel Aussenstehende bei mir feststellen 🙁 )

    Salat
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo: Nix da, ich hab meinen Papagei!

    Salat

    Roichi
    Reply to  Salat
    9 Jahre zuvor

    @Salat: Norwegian Blue?

    Winnie
    Reply to  Roichi
    9 Jahre zuvor

    @Roichi:

    Ne, eher Citygrill gut durch…
    😉

    Hajo
    Reply to  Winnie
    9 Jahre zuvor

    @Winnie:
    Papagei gegrillt? Schon in meiner Karl-May-Zeit hatte ich gelesen, dass diese Vogelsorte doch eher „extra dry“ ist 😉

    Winnie
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo:

    Auch gut, zu Karl Mays Zeiten gab es ja reichlich Whiskey zum Nachspülen. 😉
    Wäre doch gelacht, wenn wir den Pleitegeier nicht runter gewürgt kriegen. 😉

    Hajo
    Reply to  Winnie
    9 Jahre zuvor

    @Winnie:
    😀
    jetzt müssen wir nur noch herausbekommen, wo Salat seinen gefiederten Freund versteckt, einen Einweggrill hätte ich noch 😉

    Josef
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo:
    Ein Papagei für zwei? Hört sich nach Diät an!!!

    Hajo
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo:
    ach Josef, dann ist’s halt „haute quisine“, dort sind die Portionen nun mal eher übersichtlich 😉

    Winnie
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo:

    Genau Josef, es wird genossen und wenn genug Whiskey vorhanden ist, sehe ich da kein Problem. 😉
    Hajo, ich denke es wird eher schwieriger Salat zu überreden. Dabei fällt mir ein, ich liebe Diät. Echt vegan, ein Salatblatt, mmh, gefüllt mit Papagei. 😉

    Hajo
    Reply to  Hajo
    9 Jahre zuvor

    @Hajo:
    Winnie, ich glaube, wir schwimmen da auf der selben Welle
    jetz fehlt nur die Adresse von Salat 😀




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