Geschichten

Der Franzose -3-

Für uns war alles klar. Monsieur Gerard hatte in einem Vorsorgevertrag alles für seinen Weg in die Ewigkeit vorausbestimmt. Ein einfacher Sarg, direkt ins Krematorium, keine Trauerfeier, kein Pfarrer und ab mit der Urne nach Frankreich zu Mademoiselle Chloé.
Am Telefon radebreche ich mit Chloé Jarduin eine gute halbe Stunde lang, dann habe ich endlich verstanden, zu welchem Friedhof die Urne geschickt werden soll.
Ich nahm mir vor, mein rudimentäres Französisch mal wieder aufpolieren, denn die allererste Notiz auf meinem Zettel hätte die Urne beinahe auf den Fischmarkt von Marseille und nicht auf einen französischen Landfriedhof geschickt.
Für mehr als diesen kurzen Dialog, der nur aufgrund meiner schlechten Französischkenntisse eine halbe Stunde dauerte, reicht mein Französisch einfach nicht aus.

Nachdem aber alles geklärt ist, lehne ich mich zufrieden zurück. So einfach kann es sein, wenn man sich zu Lebzeiten schon mal Gedanken über sein Ableben macht. Man hat eine wichtige Sache erledigt und bereitet seinen Hinterbliebenen keine Sorgen.
Aber, der Teufel ist ja bekanntlich ein Elefant und das Leben ein Porzellanladen, immer wenn man sich sicher fühlt, spielt einem das Leben merkwürdige Streiche. Und oft ist es gar nicht das Leben an sich, sondern es sind Menschen, die den Weg kreuzen und mit ihren Ansichten und Wünschen einem das Leben ganz schön schwer machen können.

In diesem Fall ist dieser Mensch ein Herr Casper.
Dieser Herr Casper taucht gleich am nächsten Morgen bei uns auf, wir hatten den Verstorbenen Herrn Frotzek gerade aus dem Krankenhaus abgeholt.

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So einfach kann es sein, wenn man sich zu Lebzeiten schon mal Gedanken über sein Ableben macht. Man hat eine wichtige Sache erledigt und bereitet seinen Hinterbliebenen keine Sorgen.

Ja, er sei der Sohn des Herrn Frotzek, sagt Herr Casper zu meiner Überraschung. Ich lasse das unkommentiert, bitte ihn in eines des Besprechungszimmer und hole die Sterbefallakte. Und da steht eindeutig, Monsieur Gerard, alias Gerhard Egon Frotzek, sei alleinstehend und ledig.
„Ja, das stimmt ja auch“, klärt mich der recht gut ausschauende und intelligent wirkende Mittvierziger auf. „Mein Vater und meine Mutter waren nie verheiratet, aber es steht außer Frage, daß er mein leiblicher Vater ist.“

„Nun gut, das mag sein, aber es ist so, daß Ihr Herr Vater für den Fall seines Ablebens alles schon vorbereitet hat“, erkläre ich ihm die Situation und drehe die Sterbefallakte mit dem aufgeschlagenen Vorsorgevertrag so um, daß er einen Blick darauf werfen kann.

„Wissen Sie, mich interessiert nicht, was mit ihm wird, da kann er meinetwegen vorausbestimmen, was er will, von mir aus können Sie ihn in den Rhein werfen oder auf eine Müllkippe.“

„Ich verspüre da einen Hauch von mangelnder Familienbindung und Empathie.“

Er lächelt ob meines Sarkasmus und macht eine ausholende Handbewegung: „Es ist so, daß dieser Herr Frotzek sehr vermögend ist, und da er auch mein Vater ist, möchte ich gerne wissen, ob Sie eine Ahnung davon haben, ob es ein Testament gibt. Wenn dem nämlich nicht so ist, wäre ich ja der Alleinerbe.“

„Oh, da kann ich Ihnen weiterhelfen. In unseren Unterlagen gibt es eine Abschrift seines Testamentes und die Adresse eines Notars, bei dem er seinen Letzten Willen ausgefertigt hat. Sicher liegt eine Kopie auch hier beim amtlichen Notariat und Sie werden zu gegebener Zeit benachrichtigt.“

„Dürfte ich da mal einen Blick reinwerfen, ins Testament …?“
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„Bedaure.“

„Würde das hier Ihr Bedauern etwas reduzieren?“, fragt er und schiebt mir einen 50-Euro-Schein über den Tisch.

„Es tut mir leid“, sage ich, „Ich hätte Ihre fünfzig Euro schon sehr gerne, aber das Schriftstück mit seinem letzten Willen ist für eine andere Person bestimmt, das hat Ihr Vater ausdrücklich so verfügt.“

„Sprechen Sie nicht weiter, ich weiß es schon, da steht der Name dieser französischen Schlampe drauf und sie wird alles bekommen!“

Ich muß gestehen, daß ich den Inhalt des Testaments gar nicht kannte. Monsieur Gerard hat nämlich tatsächlich eine Abschrift seines Testaments an Mademoiselle Chloé Jarduin adressiert und dieses Exemplar extra für sie in Französisch abgefaßt. Für mich war das aber nur eine Marginalie, da der Mann auf meine Frage hin, ob er vermögend sei, nur eine wegwerfende Handbewegung gemacht hatte. „Kaum der Rede wert, ich bin ein einfacher Schlosser“, hatte er gesagt.

Als ich das zu Herrn Casper sage, springt der auf, läuft ein paar aufgeregte Schritte durch mein Büro, dann läßt er sich auf seinen Stuhl fallen, atmet schwer und holt ein Taschentuch aus seiner Jackentasche, um sich den Schweiß von der Stirn zu putzen.
„Sie haben ja keine Ahnung!“

Er springt wieder auf und läuft nervös zwischen dem Fenster und der Tür hin und her. Dann bleibt er abrupt vor mir stehen und keucht: „Schlosser! Ja, das hat er mal gelernt, vor über 50 Jahren oder so. Aber die letzten Jahre hat er sich in Frankreich einen Namen als Künstler gemacht. Er fertigte aus Alltagsgegenständen Kunstwerke und die Bilder mit Handys, Computerbauteilen und Küchengeräten stehen für Zehntausende in den Galerien! Wenn ich mal ganz vorsichtig schätzen darf, beträgt sein Vermögen einige Millionen.“

„Oh, das wußte ich nicht, davon hat er mir nichts erzählt. Aber ehrlich gesagt, geht uns das auch nicht viel an. Er hat den Vorsorgeauftrag bar bezahlt, wir schicken seine Urne nun demnächst nach Frankreich und dann ist für uns die Sache erledigt. Es würde mich für Sie freuen, wenn Ihr Vater so vermögend gewesen sein sollte, denn da fällt bestimmt auch ein ordentlicher Batzen für Sie ab.“

„Das glaube ich kaum.“

„Was glauben Sie kaum?“

„Daß Sie die Urne nach Frankreich schicken! Denn hier in Deutschland hat mein Vater immer den armen Schlosser Gerhard Egon Frotzek gemimt und einen auf spleeniger Franzose gemacht. Daß hinter ihm ein wohlhabender und angesagter Künstler steckt, ist hierzulande kaum bekannt. Der harmlose Trottel war nur eine Farce, in Wirklichkeit hat der sein ganzes Geld in Frankreich und nur diese Erbschleicherin dort weiß, wie man an das Geld kommen kann. Ha! Eins sage ich Ihnen, eher reiße ich mir ein Bein aus, als daß ich es zulasse, daß Sie die Urne nach Frankreich schicken. Solange die Urne nämlich hier ist, habe ich ein Druckmittel gegen diese Schlampe!“

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