Geschichten

Der Franzose -5-

Herr Casper kommt noch am selben Tag kurz vor Feierabend zu uns ins Bestattungshaus. Drei langstielige rote Nelken hat er mitgebracht, um sie auf den Sarg seines Vaters zu legen.
Aber das sagt er, das ist nur ein Vorwand, denn er legt die Blumen in der Halle auf den Tisch und dort liegen sie auch am Abend noch.

Der eigentliche Grund seines Besuchs ist offensichtlich, er will wissen, wie weit die Dinge gediehen sind, und ob sein Vorsprechen beim Friedhofsamt irgendeinen Erfolg gezeigt hat.
Ich tue erst mal so, als wisse ich von nichts, verweise den Mann an Frau Büser, die heute schon gegangen ist und bitte ihn, morgen mit ihr zu telefonieren.

„Bei uns hier läuft alles seinen normalen Gang. Ihr Herr Vater ist eingebettet, steht unten in einem Kühlraum und wird morgen zum Krematorium gebracht“, kläre ich ihn über das weitere Vorgehen auf.

Werbung

„Ja aber, das geht doch nicht! Ich war doch extra beim Amt und man versprach mir, bei Ihnen alles zu stoppen.“

„Ach, das kommt dann noch. Ich muß da ja was Schriftliches haben. Solange ich das nicht habe, läuft hier alles vollautomatisch so ab, wie Ihr Vater sich das gewünscht hat.“

„Verstehen Sie doch, die Urne darf nicht nach Frankreich, dann sehe ich vom meinem Erbe gar nichts.“

„Wir haben ja keine Eile. Wenn da noch was Amtliches kommt, dann halten wir uns natürlich daran.“

Herr Caspers ist ratlos, preßt seine Lippen zusammen und knallt unsere schwere Eingangstür beim Rausgehen zu.

Ja, was hatte der erwartet? Daß er seine Millionen gleich bei uns mitnehmen kann?
Im Grunde geht uns die ganze Erbschaftsangelegenheit nichts an. Mir könnte es letztlich absolut egal sein, ob Mademoiselle Chloé das Geld bekommt oder ob Herr Casper es einsacken kann.
Und, wenn ich recht überlege, ist es mir auch egal. Mir geht es in erster Linie darum, Monsieur Gerard seinen letzten Wunsch zu erfüllen, daß nämlich seine Urne auf diesen kleinen französischen Dorffriedhof kommt, so wie er es sich so sehr gewünscht hat.

Es ist ja überhaupt so eine Sache, das mit dem Anteilnehmen an den Schicksalen der Menschen.
Wie viele Bestatter habe ich kennengelernt, die ihre einzige Aufgabe im Verkauf von Sarg und Wäsche sehen, die Sterbeurkunden besorgen und es damit gut sein lassen. Vielleicht gibt es auch eine bestimmte Anzahl von Menschen, denen mit genau dieser etwas rudimentären Art der Dienstleistung am besten geholfen ist, wer weiß?

Solche Kunden hatten wir auch immer mal wieder. 08/15-Aufträge nannten wir das.

Merkwürdigerweise überwogen aber immer die Kunden, die eine Geschichte hatten, die sie teilen wollten, die mich oder uns in ihr Schicksal eingebunden haben und die mehr benötigten als ein handwerklich-kaufmännisches Ruckzuck.
Danach gesucht habe ich nie, die Menschen gedrängt, das habe ich nie.
Mir war es immer schon lieber, die Leute lassen mich mit ihren Schicksalen alleine. Denn Probleme hat doch jeder von uns gerade genug, und wie nichtig und unwichtig kommen einem da oft die Geschichten anderer vor. Man selbst ist doch irgendwie immer wichtiger.
Aber wenn denn dann schon ein Problem an mich herangetragen wird, dann kann ich nicht anders, dann muß ich mich kümmern.

Und wie ich schon sagte, in diesem Fall war das Problem mit dem Vermögen nicht mein Problem, aber die Erfüllung des Vorsorgeauftrags des Monsieur Gerard schon.

Also telefoniere ich am nächsten Morgen mit der Werkstatt im Keller und weise die Männer an, den Sarg mit Monsieur Gerard in Krematorium zu bringen.
Ich spekuliere darauf, daß ich auf diese Weise die Verantwortlichkeit auf das Krematorium abwälzen kann. Schließlich ist es ein kommunaler Betrieb und Silke-Claudia Hitz ist ja quasi die Kommune.

Ich lasse Sandy die Kopien vom Vorsorgevertrag zu ihr bringen.
Soll doch die scharfe Silke-Claudia entscheiden, wie es weitergeht. Vielleicht sind ja auch die Männer vom Krematorium schneller und haben Monsieur Gerard bereits eingeäschert, bevor sich die Rothaarige mit den schönen Zähnen und den großen Hupen dagegen entscheiden kann.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)