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Geschichten

Der Goldfisch -VI-

Radek fegt bei der Gemüsefrau den Hof und ist ihr eine wichtige Quelle für alle möglichen neuen Gerüchte, die die dicke Schwanztante Schwatztante schon auf dem Weg vom Hof in ihren Laden um 300% Dramatik anreichert, um sie dann brühwarm ihrer viktualiensüchtigen Kundschaft mit auf den Weg zu geben.

Wir hatten ja schon ein paarmal das Vergnügen mit ihr und ihren Geschichten. Man muß sie schon ziemlich gut kennen und ganz genau zuhören, um aus dem Geschwalle den rudimentären Kern der Wahrheit herausfiltern zu können. Und dabei ist das was ihr als Grundlage dient, nämlich zum Beispiels Radeks Erzählungen, auch schon mit erzählerischem Ausdenken angereichert.

Immerhin fällt die Gemüsefrau als verwässernde Zwischenstufe weg, als Radek am nächsten Tag zu uns kommt.
Er soll alle Autos hochbocken und die Winterreifen abmachen und die Sommerreifen montieren. Das macht er schon seit vielen Jahren, ohne besonderen Auftrag, irgendwann war er einfach da, half zunächst dem damaligen Manni und irgendwann war das dann einfach abgemacht, daß Radek sich um unsere Reifen kümmerte. So als ob er dafür eingestellt sei, kommt er hin und wieder, schaut sich die Autos an und wenn irgendwas mit den Reifen ist, dann kümmert er sich darum.

Vermutlich hat er alle seine Stellen so bekommen, auf einmal war er da und weil er gut und zuverlässig ist, erkennt jeder seine Vorzüge und weil er billig arbeitet, lässt man ihn auch wiederkommen. Dafür braucht man sich auch nicht mit dem Betriebsrat herumschlagen, wenn man Radek irgendwann mal wieder wegschickt.
Und das Tolle: Radek hat dafür sogar ein Gewerbe angemeldet, als Hausmeisterdienst, und schreibt einem richtig ausgefüllte und abgestempelte Rechnungen aus einem Zweckform-Rechnungsbuch.

Zu seiner Bezahlung verlangt er, das heißt er macht es einfach, daß er sich eine oder zwei Tassen Kaffee nehmen darf und in aller Ruhe zwei bis zwölf Zigaretten pafft und die neuesten Geschichten aus dem Stadtteil zum Besten gibt. „Hab ich kein Büro, hab ich kein Geschäft, muß ich hier Pause mache.“

Das Wörtchen „hab“ ist in seinem schlechten Deutsch von besonderer Bedeutung, man wird das jetzt sehen:

„Hab der Bauer jetzt ein Problem weniger. Der hab ja die Katja in sein Betrieb eingestellt als Telefonistin. Er hab sie zuerst gar nicht beachtet, weil der hab ja die Sonja gehabt und mit der hab er zusammengelebt.“

Dann aber habe ihm eben diese Sonja, und das ist schon Jahre her, einen Laufpass gegeben und der alte, aber begehrte Junggeselle, hatte seine Aufmerksamkeit auf die junge Telefonistin Katja gelenkt. Die hat er beinahe ein Jahr lang umschwärmt, sie zur Chefsekretärin und seiner persönlichen Assistentin befördert, sie mit Geschenken überhäuft und sich so ins Herz der jungen Frau geschlichen.

„Nein, der hab die nicht bloß mit Geld gekauft, dafür ist der zu schlau und auf andere Seite auch wieder zu doof. Der hab jede Menge Romantik gemacht, kannste Dir nicht vorstellen, was der alles gemacht hab. Einmal hab der den ganzen Weg von Straßenrand bis zum Hauseingang von Katja mit roten Rosenblättern und über zweihundert Kerzen geschmückt als er die abgeholt hab. Der hab schon Romantik, ja die hab er.“

Sehr schnell war Bauer klar geworden, daß seine Angebetete in einer festen lesbischen Beziehung lebte, aber er hatte in Dagmar, der Lebensgefährtin von Katja, keine Konkurrenz gesehen. Bei allem weltmännischen Auftreten ist Bauer tief in seinem Inneren genau das, was sein Name widerspiegelt: ein Bauer.
Er soll mal gesagt haben: „Lesbisch ist sowas wie eine Krankheit, die hatte bloß noch nie einen richtigen Mann, wenn die mal richtig rangenommen wird, dann wir die schnell sehen, daß #### nicht das Einzige ist und daß richtiger Sex mit einem richtigen Mann auf für sie das Wahre ist.“

Jaja, das glauben ja viele. Jetzt ist es aber so, daß Katja und Dagmar nicht gerade eine problemlose Beziehung führten und beinahe jeden Tag stritten, zankten und sich fetzten. Zumindest einmal in der Woche hatten die beiden sich wieder so gezickt, daß Katja wutentbrannt ihre Jacke und Handtasche schnappte und die gemeinsame Wohnung verließ. Sie fuhr dann zum „Beelzebub“, einer kleinen, verrauchten Bierkneipe am anderen Ende der Stadt und zischte dort ein Pils nach dem anderen. Und wenn sie dann mehr als genug hatte, dann klingelte sie oft mitten in der Nacht ausgerechnet bei ihrem Chef Hugo Bauer Sturm.
Ja und der in dieser Hinsicht einfach gestrickte Mann sah das natürlich als Zeichen und Beweis für seine Theorie, daß man Lesben heilen kann, denn immer landeten die beiden dann im Bett.

Drei, vier Tage blieb Katja dann bei Bauer, fuhr mit ihm morgens in den Betrieb und ging nach Feierabend auch mit ihm wieder weg. Für die Mitarbeiter des Autohauses war es klar: Die Katja ist die Freundin vom Chef.
Dafür sprach ja auch zum Beispiel, daß er ihr ein nagelneues Cabriolet tunen und aufmotzen ließ, bevor er es ihr schenkte.

Aber nach spätestens einer Woche war der Zauber jedesmal wieder vorbei und Katja kehrte zu Dagmar zurück.
Bauer war natürlich der Auffassung, daß Katja inzwischen „geheilt“ sei und konnte mit dem Wechselbad der Gefühle seiner Freundin nichts anfangen. Er vermutete vielmehr, daß Katja in diesen Wochen, in denen sie nicht bei ihm lebte, sich mit anderen Männern traf. Also tat er alles was man sich nur vorstellen kann.
Tage- und nächtelang fuhr er heimlich hinter ihr her, stand Stunden um Stunden vor irgendwelchen Kneipen und beobachtete die junge Frau mit einem Fernglas. Sogar ein Nachtsichtgerät aus NVA-Beständen hatte sich Hugo Bauer besorgt, um seiner Freundin besser nachspionieren zu können.
Aber damit nicht genug! Sogar einen Peilsender besorgte er sich und brachte den heimlich am Auto seiner Angebeteten an.
Jetzt ist es aber so, daß man mit so einem Peilsender und dem dazugehörigen Empfänger auch umgehen können muß, sonst hat man zwar die teure Technik, findet aber trotzdem niemanden. Hugo Bauer konnte es nicht. Deshalb hatte er Radek gebeten, der sonst nur den Hof des Autohauses Bauer fegte und hin und wieder ein paar gut erhaltene Altreifen holte, sich ganz der Beschattung von Katja zu widmen.

Und genau deshalb weiß Radek so gut Bescheid.


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 7. Juli 2012 | Peter Wilhelm 7. Juli 2012

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14 Kommentare
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Kirstin
13 Jahre zuvor

Na dann sinds wa ma gespannt wat da bei rum kam.
Und das beste is, du erfährst es sogar noch VOR der Gemüsefrau. 😀

Klaus
13 Jahre zuvor

Gibt schon kranke Gestalten.

Andertes Thema,
deine Verbesserungen, wie z.B. „Schwanztante“ sind eigentlich viel zu schön als das sie ausversehen passiert sind.

turtle of doom
13 Jahre zuvor

Schon wieder ein Cliffhanger.

Teil VII: Radek erzählt, was er im Geheimdienst ihrer Majestät herausgefunden hat. Ich wette ein Stange Geld, dass Radek in einem Aston Martin der Katja bis nach Monaco gefolgt ist, um dann sie dann bei einer Runde Baccarat in den Ruin zu spielen… 😛

betty
13 Jahre zuvor

WEITERSCHREIBEN!!! Biiitte, blinzel, augenklimper, schöndreinschau

Anita
13 Jahre zuvor

Wie kann es sein, dass, wenn der Herr doch angeblich so einfach gestrickt ist, er erfolgreich ein Unternehmen fuehrt, dass sogar Extras wie ueberaus teure Geschenke fuer seine Gespielin dabei herausspringen?

Wolfram
13 Jahre zuvor

Eine gewisse Pfiffigkeit in Geschäftsangelegenheiten ist kein Widerspruch zu absoluter Begriffsstutzigkeit im Bereich des Zwischenmenschlichen. Manche würden sogar das Gegenteil behaupten.

Henning
13 Jahre zuvor

Wolfram: oder anders formuliert: Die Größe der angebauten Nachtschattengewächse ist reziprok proportional zum Intelligenzquotienten des anbauenden Landwirtes.

turtle of doom
13 Jahre zuvor

Och, das mit den Nachtschattengewächsen wollte ich gerade überbieten… 😛

Anonym
13 Jahre zuvor

Es soll Nobelpreisträger geben die ihr Leben lang gegen den Wind gepisst haben.

Klugheit und Durchsetzungsvermögen im einen Bereich, schließt absolute Dummheit in einem anderen Bereich ja nicht aus.

Betty
13 Jahre zuvor

2 Wolfram. Das geht auch simpel: die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln. 😉

JohnB
13 Jahre zuvor

@Anita Ich kann mich da noch an einen ehemaligen Bundeskanzler erinnern der, nicht der hellste, so doch mit einer gewissen Bauernschläue ausgestattet mehrmals wiedergewählt wurde.

Winnie
13 Jahre zuvor

Immer diese Unterbrechungen, wenn ich es nicht besser wüsste oder mir schön denken würde, könnte ich glatt auf die Idee kommen Du willst Deine Leser ins Grab bringen.

Da aber alle im Land und Ausland verstreut wohnen, bringt es Dir ja nichts. Ergo, bleibt vielleicht noch eine masochistische Ader übrig, oder Du willst einfach Deine Leser am (im?) Blog halten.

Gut so, mach weiter. Ich bleibe auch hier und nerve gelegentlich mit sinnfreien Kommentaren. 🙂

Und Freund Lurchi (Salamander, ja ich weiß das macht einige von uns alt) würde sagen: „Noch lange schallts beim Bestatterbloch, Salamander lebe hoch.“

MacKaber
13 Jahre zuvor

Da Bauer und Dagmar voneinander wussten, lässt das eine lebhafte Beisetzung erwarten. Wehe, wenn die aufeinandertreffen.
Radek, die Universalfachkraft. Wieviel trägt er unter dem Fachbegriff Auskunftei in seinem Zweckformbuch ein? Oder sind Dein Kaffee und Deine Zigarretten ausreichend?
Bei mir in der Nachbarschaft wohnt auch so ein Mann für wirklich Alles – ausser. Der hat sich so einen Ruf erarbeitet, dass er zu den von Dir oben angegebenen Hausmeisterfähigkeiten noch Frühstückservice, Laborfahrten, Flughafentransfer, Filmstatist, und mehr anbietet, und deshalb schon mehrere Mitarbeiter beschäftigt. Auch hat er sich einen ansehnlichen Fuhrpark zulegen müssen.
Respekt, Respekt.

Wolfram
13 Jahre zuvor

Ich rede nicht von Dummheit, sondern von Soziopathie.




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