Geschichten

Der Goldfisch

Wenn ich im weißgekachelten Versorgungsraum stehe und mir den Verstorbenen betrachte, der nun hergerichtet werden soll, dann sehe ich in der Regel alte Leute und muß immer wieder feststellen, daß das was das Alter mit den meisten von uns macht, nicht besonders schön ist.
Daß diese Menschen tot sind, das gehört zu meinem Beruf, das kann mich nicht mehr schockieren.
„Ihr müßt doch diesen Leib verwandeln“, das ist unser Wahlspruch und wie immer geben wir unser Bestes, um aus einem von Alter und Krankheit gezeichneten Leichnam einen gut anschaubaren und vorzeigbaren Menschen zu machen, der Würde und Frieden ausstrahlt.
„A scheene Leich'“ möchten wir haben, die Angehörigen wollen ihren Verstorbenen am Liebsten so sehen, wie sie ihn vor Krankheit und Tod in Erinnerung hatten. Also machen wir sie schön; und die meisten haben es auch nötig.

Dabei macht die Kleidung schon viel aus…

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denn abgesehen von einigen Prachtexemplaren sind die allermeisten Menschen angezogen viel schöner als nackt.
Eine Binsenwahrheit, die -so würde ich es gerne als Wunsch äußern- auch die meisten Lebenden, gerade jetzt wo die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut pieksen, beherzigen sollten. Nicht alles was einem da die lieben Mitmenschen so an nackter Haut und nackten Körperteilen präsentieren, ist wirklich schön und es wird auch nicht schöner, wenn man sich auf seinen fettschwulstigen Bratarsch vom 50-Euro-Kirmes-Tätowierer einen krummen Egel nageln lässt, der nur nach ausführlicher Erklärung als Seepferdchen zu erkennen ist.

Aber die junge Frau, die heute vor mir liegt, ist wirklich schön und sie hat einen wunderschönen japanischen Goldfisch auf ihren Oberschenkel eintätowieren lassen.
Schade, das ist immer einer meiner Gedanken, schade… So ein junger Mensch, so ein schöner Mensch, was für eine Verschwendung…

Manchmal fragen mich Leute, was ein Bestatter wohl empfinden mag, wenn da eine sehr schöne, junge Frau vor ihm liegt. Ich habe Augen um zu sehen und das was ich sehe, das sehe ich auch, selbstverständlich registriert man, ob es sich um ein knochiges altes Mütterchen oder eine ansehnliche jüngere Person handelt. Aber es ist ein toter Mensch, eine Leiche und da kann ich keinen wie immer gearteten Reiz empfinden. Auch für meine Leute kann ich da die Hand ins Feuer legen, keiner würde da mehr drüber nachdenken, als es fachlich und sachlich notwendig ist.

Im Laufe der Jahre hat man ja schon einmal die eine oder andere Geschichte gehört und es gibt kaum eine Stadt in der nicht irgendeine Geschichte umgeht, es habe da am Friedhof oder Krematorium oder in der Pathologie mal einen gegeben, der habe immer…
In den seltensten Fällen ist da was dran. Das ist so wie mit der Ziege mit den drei Köpfen, die immer nur irgendwo im tiefsten Kaukasus entdeckt worden sein soll.

Katja heißt sie, ist gerade einmal 27 Jahre alt geworden und gestern Nacht im Haus ihres Vaters auf den eigenen, nur umgehängten, langen Bademantel getreten, ins Stolpern geraten und kopfüber die Treppe hinuntergefallen.
Sie hat sich das Genick gebrochen, ansonsten zeigt ihr Körper keine Verletzungen. Allenfalls an den Knien und am Becken ist etwas zu sehen, aber ich kann nicht beurteilen, ob das vom Sturz kommt oder schon Leichenflecken sind.
Je nachdem wie sie gelegen hat, und sie hat über eine Stunde da gelegen, können Leichenflecken ja an allen möglichen und unmöglichen Stellen auftreten. Nackt wie sie war haben wir sie geholt und seitdem liegt sie bei uns in der Kühlung. In einigen Minuten wird sie abgeholt und ins rechtsmedizinische Institut gebracht. Deshalb können wir auch nichts an ihr herrichten, alles muß so bleiben wie es ist.
Den Auftrag zur Bestattung werden wir bekommen, der Vater hat noch in der Nacht seinen Besuch bei uns angekündigt und sich eine Visitenkarte geben lassen.
Wenn er es sich nicht doch noch anders überlegt, dann müßte er in einer halben Stunde kommen.

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(©si)