Menschen

Der Patentmann -5-

Wir waren froh, daß Herr Schade aus Südafrika von seinem Wunsch, die Bestattung seines leiblichen Vaters selbst in die Hand nehmen zu wollen, gar nicht mehr gesprochen hatte und völlig davon abgerückt war. Kein Bestatter sitzt gerne zwischen zwei Stühlen und muß dann zusehen, wie sich zwei gegnerische Parteien um „seine“ Leiche rangeln.
Der Bestatter möchte einen Auftrag, diesen so reibungslos wie möglich abwickeln und dann einige Wochen später sein Geld für die Dienstleistungen und Waren.

Viele Kollegen sehen ihr Heil darin, wenn die Abwicklung möglichst komplett im Rahmen dessen abläuft, was sie an Waren vorrätig oder leicht beschaffbar haben und was sie an Dienstleistungen immer genau gleich erbringen.
Das ist mit ein Grund dafür, warum es in dieser Branche teilweise so eine gewisse Unbeweglichkeit gibt, die oft wenig Platz für Neues läßt.
Wenn Kunden also das erste Mal mit irgendeiner Idee kommen, um den Ablauf des Ganzen in besonderer Weise zu gestalten, stoßen sie leider zumeist auf taube Ohren und den Satz: „Das hat es noch nie gegeben, das ist hier wahrscheinlich auch gar nicht erlaubt.“
Erst wenn dieser Wunsch, weil bei einem anderen Bestatter schon mal realisiert, häufiger vorgetragen wird, ziehen allmählich auch die anderen Bestatter nach.

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Nun darf man aber nicht glauben, daß Innovationen in der Bestattungsbranche von den Kunden ausgehen, zumindest nicht in erster Linie. Es sind die Bestatter und ihre Lieferanten, die oft über viele Jahre hinweg etwas anders gestaltete Produkte oder entstaubte und frischer gestaltete Dienstleistungen wie saures Bier anbieten, was die Kunden jedoch immer wieder ablehnen, weil die allermeisten dann doch auf das Traditionelle und Althergebrachte zurückgreifen; man will ja nichts verkehrt machen und nicht unangenehm auffallen.

08/15 lautet die Devise. Und so hat sich bei den Bestattern im Allgemeinen eine gewisse Abneigung gegen alles eingeschlichen, was den routinierten und kostenschonenden Ablauf irgendwie stören könnte.

Dazu gehört natürlich auch, wenn die Angehörigen sich nicht über dies und das einigen können.

Das war im Falle des Industriellen Vockenroth glücklicherweise nicht der Fall. Seine Lebensgefährtin und deren Tochter hatten sich zwar etwas großkotzig aufgeführt, vor allem die Tochter namens Maternas, aber unterm Strich hatten sie gut eingekauft und eine beträchtliche Summe im Voraus bezahlt. Auch der vermeintliche Sohn aus Südafrika hatte die Füße still gehalten, wie man so sagt, und sich auf die Rolle des stillen Beobachters zurückgezogen.

So lief dann die Beisetzung des Herrn Vockenroth ganz ruhig und ordentlich ab.

Schon am Nachmittag des vorherigen Tages hatten unsere Männer alle Hände voll zu tun.
Man muß sich vorstellen, daß das große, sehr prominent gelegene Grab, das Herr Vockenroth für sich gekauft hatte, nicht an einem schmalen Friedhofsweg lag, sondern an einem der fast neun Meter breiten Hauptwege, in deren Mitte noch ein Grünstreifen mit altem Baumbestand verläuft.
Ganz hervorragende Bedingungen also, um die erwartete große Zahl an Trauer- und Ehrengästen ordentlich unterzubringen.

Meine Angestellten hatten den ganzen Bereich weiträumig mit Grasmatten ausgelegt, wodurch sich die Fläche aus Kies und Lehm vor dem Grab in einen großen, wenn auch künstlichen Rasen verwandelte. Zwar haben wir im Laufe der Jahre fast 80 wetterfeste Klappstühle angeschafft, aber die reichten nicht und so mußte ein Partyservice noch weitere 40 Stühle herbeischaffen.
Auch zwei große grüne Schirme brachte er mit, die unsere vier Schirme ergänzten, sodaß zumindest im vorderen Bereich am Grab die meisten Trauergäste trocken bleiben würden, falls es zu regnen begonnen hätte.

Der zweite Bürgermeister und Dezernent der Stadt hatte noch bei Frau Büser angerufen und ihr mitgeteilt, daß aus organisatorischen Gründen in Absprache mit der Familie die eigentliche Trauerfeier nämlich ans Grab verlegt worden sei und das Orchester des Konservatoriums am Grab spielen würde.
Dafür bauten die Friedhofsmitarbeiter und unsere Angestellten über das danebenliegende Grab des alten Psychologen ein niedriges Podest als Bühne.

Am Samstag war es dann so weit und schon in aller Frühe war die mit dunkelvioletten Blumen geschmückte Urne des Industriellen in der Trauerhalle auf einer schwarzen Säule, die Manni noch in der Nacht lackiert hatte, aufgestellt worden.
Unzählige Gärtnereien aus der Stadt und der Umgebung lieferten unablässig Kränze und Gebinde an und schon nach kurzer Zeit war der gesamte vordere Raum mit Blumen so voll. daß Manni, Sandy und ich aussortieren mußten.
Jeder Gärtner denkt ja, er müsse für seinen Kunden die Blumen auf den besten Platz ganz vorne und ganz nah am Sarg oder der Urne plazieren.
Wir sortierten alles aus, was keine Schleife trug oder an dem nur eine Karte befestigt war. Diesen Blumengebinden würde man ja sowieso nicht auf den ersten Blick ansehen, von wem sie kamen und so landeten sie auf einem der drei Blumenanhänger hinter der Halle und würden später mit aufs Grab kommen.
Frau Büser und Nadine betreuten die Kondolenzbücher, wovon an jedem der beiden Eingänge der Trauerhalle zwei auslagen.

Frau Kluge, die immer bei uns aushilft, hatte alle Hände voll zu tun, das sogenannte Schleifenprotokoll zu führen. Jedes einzelne Blumengebinde wird darin aufgenommen, mit dem Text der Schleife, der Sorte der und Farbe der Blumen und gegebenenfalls mit einer Nummer, die mit der Nummer korrespondierte, die sie auf einen möglicherweise beigefügten Umschlag ebenfalls notierte.
So können die Angehörigen später in aller Ruhe nachlesen und anhand der von Frau Kluge gemachten Fotos nachschauen, wer da alles was an Blumen gebracht hatte und welcher Umschlag von wem stammte.

Erstaunlich war die große Zahl der Blumen deshalb weil es in der Traueranzeige, die Frau Bauer uns noch telefonisch durchgegeben hatte, geheißen hatte, daß statt Blumen lieber für die Krebshilfe gespendet werden sollte.

Für 12.30 Uhr war die Beisetzung angesagt, aber schon ab kurz nach neun kamen die erste Trauergäste und zogen in einer langen Schlange an der Urne vorbei. Zwischendurch kamen auch Fotografen und machten ihre Aufnahmen.
Herr Vockenroth hatte in früheren Zeiten einmal über 700 Angestellte in seiner Fabrik beschäftigt und viele von denen schienen sich sehr angenehm an ihn zu erinnern, denn anders ist es nicht zu erklären, daß viele von ihnen, so lange nach seinem Ausscheiden und dem Verkauf eines Teils der Unternehmen, noch zu seiner Beerdigung gekommen waren.

Tatsächlich waren im Laufe des Vormittags bis kurz nach zwölf an die dreihundert Personen erschienen und hatten sich vor dem Grab versammelt.
Den großen Grabstein hatten wir durch unseren bevorzugten Steinmetz mit einer provisorischen Platte und aufgesetzten Messingbuchstaben entsprechend gekennzeichnet. Eigentlich sah das sogar schon so aus, daß man es für immer so hätte lassen können. Man hätte diese Platte nur mit Schrauben am alten Stein befestigen müssen.
Neben dem Grabstein stand eine Staffelei, das Herrn Vockenroth in besseren, das heißt jüngeren Jahren zeigte, da muß er so an die Siebzig gewesen sein.
Auf dem Podest neben dem Grab hatten acht Musiker Platz genommen und die ersten Stuhlreihen waren von der gesamten Stadtprominenz belegt. Zwei Stühle, die etwas vorgerückt standen, waren für Frau Bauer und Frau Maternas vorgesehen.

Um 12.30 Uhr begann die etwas dünn und hoch klingende Totenglocke an der Friedhofskapelle zu läuten und Manni und einer der Friedhofsmitarbeiter trugen die Urne, gefolgt von Frau Bauer und Frau Maternas, sowie dem Prälaten Obermeier zum Grab.

Ich muß zugeben, ich war ziemlich aufgeregt. Hoffentlich ging alles glatt, so große Beisetzungen hat man nicht alle Tage und das ist natürlich immer auch eine gute Werbung, weshalb wir den mit unserem Firmennamen beschrifteten Bestattungswagen ganz verbotswidrig vorne im Eingangsbereich am großen Rondell sehr wirkungsvoll geparkt hatten.
Dann muß aber auch alles klappen!

Und es klappte!
Der Prälat begleitete die beiden Frauen, die ganz in Schwarz gingen, zu ihren Plätzen, die Urne wurde neben dem kleinen Loch auf dem Grab abgestellt und dann trat der Geistliche an das Mikrofon, das an einem Stehpult befestigt war.

Er betete, würdigte dann in einer langen Ansprache die Verdienste des Ehrenbürgers der Stadt und überließ dann dem Dezernenten das Mikrofon. Der faltete umständlich einen so dicken Stapel Blätter auseinander, daß ich insgeheim schon „Meine Güte!“ dachte.
Aber seine Rede war dann doch kurzweilig, mit Anekdoten aus dem Leben des Erfinders und Fabrikanten gespickt, beschrieb seine Verdienste für die Menschheit und die Stadt und zähle alle Orden am Bande, Ehrenringe und Auszeichnungen auf, die Vockenroth, wohl auch verdientermaßen, verliehen bekommen hatte. Einige der Auszeichnungen hatte Sandy auf einer weiteren Staffelei auf der eine mit rotem Samt überzogene Styroportafel stand, schön aufgeheftet.

Es folgte ein musikalisches Intermezzo, das davon geprägt war, daß man selbst als Laie erkennen konnte, daß die Musiker hochprofessionell spielten, aber eine ziemlich abgedrehte und doch sehr lahme Jammermusik produzierten.
Etwas atonal klang das Ganze und ich war erstaunt, daß es dann hieß, die sei aus der „Westside-Story“ gewesen. Diese Melodien hatte ich anders im Kopf.

Es sprach nochmals kurz der Prälat, dann folgte ein sehr klappriger alter Herr, vom Wohltätigkeitsclub, der auf seinem Weg zum Rednerpult gestützt werden mußte und der ständig am Mikrofon vorbei redete.
Seine Rede war so mit Fremdwörtern und lateinischen Zitaten gespickt, daß offensichtlich kaum jemand folgen konnte. Glücklicherweise war der nächste Redner, ich weiß nicht mehr von welchem Kommunalverband der war, ein besserer Sprecher, der in wenigen Sätzen vieles auf den Punkt brachte und schnell fertig war.

Musik, Prälat, Prälat am Grab und dann wurde die Urne ins ein schwarzes Tuch gehüllt und damit ins Grab abgelassen. Prälat, Musik, nochmal Musik und dann wurde am Grab vorbei marschiert.
Frau Bauer und Frau Maternas waren die Ersten am Grab und standen dann seitlich vorne nebeneinander und mußten hunderte von Händen schütteln und sich die wohl immer wieder gleichen Worte des Beileids anhören.
Interessant wurde es ganz plötzlich für mich, als ich in der Reihe der auf einen Händedruck wartenden Menschen Herrn Schade entdeckte.
Was hatte der denn vor?
Skandal am Grab oder was?

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