Ich hatte ja gedacht, meine Beweise seien so schlagkräftig, daß ich sie nur vorzuweisen habe und dann alles seinen Weg geht. Aber jetzt ist alles zu Ende“, sagte Herr Schade und schob mir ein mehrseitiges Schriftstück über den Tisch. „Da, lesen Sie mal, alles abgeschmettert.“
„Von wem ist das?“ fragte ich, denn wer hätte da was abschmettern sollen, seit der Beisetzung waren erst einige Tage vergangen und es hatte unmöglich bereits ein Prozeß stattfinden können.
„Vom Anwalt.“
Ich las ein wenig, dann wunderte ich mich über den netten und freundlichen Ton im Anwaltsschreiben und blickte vom Schriftsatz auf: „Dieser Anwalt, äh, diese Anwältin, ist ja ganz nett wie’s scheint.“
„Das ist ja auch meine Anwältin! Eine der größten und besten Kanzleien, die auf Familien- und Erbrecht spezialisiert sind.“
„Und Ihre eigene Anwältin hat alles abgeschmettert?“
„Lesen Sie einfach!“
Also las ich und obwohl ich an und für sich mit juristischen Schriftsätzen sehr gut zurecht komme, ja mir manchmal den Vorwurf anhören muß, selbst Gratulationsschreiben von mir klängen, wie ein Anwaltsschreiben, kam ich mit dem verklausulierten Juristendeutsch in diesem Brief nicht zurecht.
„Hm“, machte ich und „ah ja“ und dann schob ich den Brief Herrn Schade wieder über den Tisch.
„Nein, nein, der ist für Sie, ist eine Kopie, ich habe noch mehr davon. Lesen Sie das mal in Ruhe. Ich komme morgen wieder. Ich bin, lassen Sie mich mal eben nachschauen – noch bis zum Einundzwanzigsten in der Stadt und fliege erst dann wieder zurück. Abgestiegen bin ich im ‚Drei Glocken Hotel‘, dort könnten Sie mich auch erreichen.“
Ich schaute ihn verwundert an. Wozu hätte ich versuchen sollen, ihn zu erreichen?
Es schien als habe er in diesem Moment meine Gedanken gelesen, denn er nickt und sagte mit einem fast schon entschuldigenden Unterton: „Ich kenne sonst hier kaum jemanden. Wenn man schon so lange im Ausland lebt, dann verliert sich in der Heimat alles. Selbst die besten Freunde aus meiner Jungend… die sind entweder schon tot oder weit weg gezogen. Mit einem, der hier noch in der Stadt wohnt, hatte ich vor Jahren mal aus Sentimentalität übers Internet Kontakt aufgenommen.
Natürlich hat der sich gefreut, mal wieder was von mir zu hören, aber ich kam in unserer Korrespondenz überhaupt nicht vor, er hatte nur ein weiteres Opfer gefunden, das er mit Fotos und albernen Geschichten von seinen Enkeln langweilen konnte, die jetzt wohl sein Lebensinhalt zu sein scheinen.
Verwandte habe ich keine mehr.“
„Ihre Eltern…“, weiter kam ich nicht, als ich das sagte, denn ich wußte ja schon, daß die beiden verstorben waren, doch er unterbrach mich gleich und es schien fast, als habe er etwas feuchte Augen.
„Die Gräber gibt es schon lange nicht mehr, die sind doch vor Ewigkeiten gestorben, der Gärtner hat mir jedes Jahr eine Rechnung geschickt, die sofort bezahlt wurde, dann kam eines Tages keine Rechnung mehr, wohl weil die Gräber abgelaufen sind. Was soll man auch mit zwei Gräbern in Deutschland, wenn man selbst am Kap der guten Hoffnung lebt? Ist doch alles nur Sentimentalität, oder?“
Er wirkte bedrückt, als er hinaus ging.
Ich saß noch eine Weile da und blätterte lustlos in den Anwaltsschriftsatz herum, die juristischen Formulierungen wollten an diesem Abend einfach nicht in meinen Kopf. Außerdem war ich abgelenkt. Meine Gedanken waren bei diesem traurigen Millionär vom anderen Ende der Welt. Dem Mann ging es offensichtlich finanziell sehr gut, als er zuvor überlegt hatte, wann er genau zurückfliegen mußte, hatte er sein Ticket aus der Jackeninnentasche gezogen und nachgeschaut, es war ein Flugschein Erster Klasse, auch nicht gerade billig. Und trotzdem war er hier auf der Suche nach seiner Identität, nach seinen Wurzeln, nach irgendetwas, was ihm heimatlichen Halt gegeben hätte.
Um Geld ging es ihm ja anscheinend nicht wirklich. Gut, wer kann nicht schon ein paar Milliönchen zusätzlich gebrauchen? Und das gilt auch für die Superreichen, die Erfahrung habe ich mehrfach in meinem Leben machen müssen.
Aber ich glaubte nicht, daß er den juristischen Kampf gegen die erben seines leiblichen Vaters aufgenommen hatte, nur um an sein Erbe zu kommen. Ihm ging es einzig und allein um die Anerkennung als Sohn.
Aber genau das war in dem Moment in die Hose gegangen, als der alte Vockenroth den Mann weggestoßen hatte und völlig vorbei war das Ganze, als Vockenroth gestorben war.
Da war von diesem Wunsch nach später Anerkennung nur der Haß auf die beiden Erbinnen geworden.
Bitter so was!
Ich blickte auf die Uhr und erschrak, über das Gespräch mit Herrn Schade hatte ich einen Termin vergessen, meinen Mittelstandsstammtisch, der einmal im Monat im „Güldenen Schwan“ zusammentraf. Die Jungs würden schon auf mich warten.
Während ich mir im Waschraum noch einmal etwas Wasser ins Gesicht klatschte und dann in meinem Büro etwas Rasierwasser nachsprühte, fiel mein Blick auf den Schriftsatz von Schades Anwältin. „Mensch!“ dachte ich, „Den nimmst Du mit, da sitzen mindestens vier Juristen am Tisch, einer wird sich da doch auskennen!“
Mit einem dicken Filzschreiber schwärzte ich oben im Kopf und in der Anrede und an zwei Stellen weiter unten die Namen Schade, Vockenroth, Bauer und Maternas, denn ich wollte ja niemanden bloßstellen und Herrn Schades Vertrauen nicht mißbrauchen, dann steckte ich das Schreiben ein und fuhr froh gelaunt zu meinen „Kumpels“.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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….*Fingernägelkau*………
Welche Fingernägel? *guckt frustriert auf ihre Finger*
Welche Finger? *guckt frustriert auf seine Hände*
Welche Hände? *guckt frustriert auf seine Unterarme*
Reitgerte schnapp auf die verunstalteten Hände und sicherheitshalber auch auf die nackten Fusssohlen schlage
das ist ungesund, wenn man an der Klippe hängt… 😛
Schlagzeile im Lokablatt:
„Bestatter und vier Juristen verschaffen Milliardärssohn späte Anerkennung – Millionen gehen nach Südafrika“