Branche/Kommune

Der Tod – ein gutes Geschäft – Das Holland-Modell unter der Lupe

Mein geliebter Pontiac. Er brauchte auf 100 km mehr Benzin, als ein Smart in 100 Jahren.

Alle Jahre wieder – dieses Liedfragment kommt mir immer wieder in den Sinn, wenn es auf Ende August zugeht. Ab dem 20. August präsentieren nämlich in schöner alljährlicher Regelmäßigkeit vor allem die Privatsender Aufrüttelndes, Aufklärendes und Aufregendes aus der Bestattungsbranche.
Die aufklärerische Sendetätigkeit nimmt dann bis in die sogenannten dunklen Tage des Jahres zu. So um Allerheiligen herum läßt sich damit immer ganz gut Quote machen.

Meine Meinung zum Beitrag „Der Tod – ein gutes Geschäft

RTL II hat dieses Jahr den Anfang gemacht, „Der Tod – ein gutes Geschäft“ titelte man, schicke einen nerdig-trendigen Reporter los, der sich durch die Branche fragte und allerlei ausprobierte.
Er traf auf den alteingesessenen Bestatter, dessen Preise als hoch dargestellt wurden, und er traf am anderen Ende der Skala auf den Discount-Bestatter Hartmut Woite vom Berolina-Sargdiscount.
Es waren also die Allgegenwärtigen wieder einmal allgegenwärtig.
Nicht ausgelassen wurden Woites Kaffeefahrten zu einem tschechischen Krematorium, das Selbstexperiment „Wie ist es, tot zu sein?“ und „Wie ist es, mit einer Leiche umzugehen?“.

Sagen wir es mal so: Es hätte schlimmer kommen können.
Nein, ich muß sogar sagen: Nach dem was man so erwartet oder gar befürchtet hat, ist der Beitrag recht gut geworden.
Er stellt die Branche in ihrer gesamten Bandbreite dar und beleuchtet auch die verschiedenen Nebenaspekte und Alternativen.
Wenn man sich mit dem Thema Tod und Trauer und Bestattung noch nie eingehend beschäftigt hat, wenn man viele Aspekte unberücksichtigt läßt, dann kann man nur zu einem solchen Ergebnis kommen. Daran gemessen, ist der Beitrag recht ordentlich geworden.

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Die Urne aus Holland – Frau Hoerner bei RTL II

Tja, und was war mit der Urne aus Holland, und was war mit Frau Hoerner?

Ja, Ingrid Hoerner kam auch vor.
Wer sie noch nicht kennt: Ingrid Hoerner ist in der Bestatterbranche bekannt wie eine bunte Kuh1.
Seit etwa 2002 betreibt sie einen Urnenrückführungsdienst und ermöglicht den Menschen, die Urne mit der Asche eines Verstorbenen, daheim aufbewahren oder am Wunschort begraben oder ausstreuen zu können.
Etwas irreführend fand ich die Aussage des Reporters, Frau Hoerner habe diese Dienstleistung quasi entdeckt oder erfunden. Das kann so nicht sein, denn Urnenrückführungen wurden schon in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt, sind also beileibe weder etwas Neues, noch erst seit 2002 im Angebot.

Deutsche Bestatter ermöglichen auf besonderen Wunsch meist auch solche Urnenaushändigungen. Allerdings nehmen die meisten Bestatter an der Rückführung der Urne nicht aktiv teil.

So funktioniert der Umweg über Holland

Im Prinzip funktioniert das Holland-Modell so:

  1. Der Verstorbene wird in Deutschland eingeäschert.
  2. Die Angehörigen sagen, der Verstorbene wolle in den Niederlanden beigesetzt werden.
  3. Dazu wird die Urne in die Niederlande an einen Friedhof, Bestatter oder ein Krematorium überstellt.
  4. Die Urne ist damit dem deutschen Friedhofszwang entzogen und unterliegt niederländischem Bestattungsrecht.
  5. In den Niederlanden kann nun mit der Urne verfahren werden, wie es nach dortigem Recht erlaubt ist.
  6. Das beinhaltet und erlaubt auch die Aushändigung an die Angehörigen.
  7. Nach einem mindestens 24-stündigen Aufenthalt in den Niederlanden wird die Urne per Paketdienst an die Angehörigen in Deutschland verschickt.
  8. Die Angehörigen können dann damit verfahren, wie sie möchten.

Bei dieser Art der Abwicklung berät der Bestatter ausschließlich über diesen Weg und stellt eventuell noch die notwendigen Kontakte her, bzw. nimmt den Urnenversand nach Holland vor.
Das ist für die Bestatter deshalb wichtig, weil es eine Ordnungswidrigkeit darstellt, in Deutschland eine Urne mit sterblichen Überresten zu besitzen und diese nicht auf einem Friedhof beisetzen zu lassen.
Der Bestatter macht sich also allein durch Beratung und Kontaktvermittlung nicht die Hände schmutzig und kommt nach derzeitiger Auslegung und Anwendung der Gesetze auch nicht mit diesen in Konflikt.

Andere Varianten, manche mit G’schmäckle

Manche kürzen den Weg aber auch ab. Hier wird die Urne nur kurz mal eben nach Holland gebracht, verbleibt dort 24 Stunden bei einem Bestatter und der schickt sie sofort wieder zurück.
Und andere, darunter wohl auch Frau Hoerner, nehmen das alles selbst in die Hand, bringen die Urnen im Kofferraum über die Grenze und holen sie -nachdem die Urne quasi holländisch geworden ist- auch wieder ab.
Nach meinem Dafürhalten bringt man sich aber in dem Moment, indem man mit der Urne wieder die Grenze nach Deutschland übertritt, mit dem Gesetz in Konflikt. Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, man habe einen legalen Weg gefunden, die Urne zu besitzen.

Ganz dreist wird es, wie mir berichtet wurde, wenn Personen die Urnen nur eben über die Grenze fahren und gleich wieder mitbringen. Ein paar Stempel eines niederländischen Bestatters reichen ja. Wer will schon überprüfen, ob die Urnen alle immer 24 Stunden in Holland waren?
Das heißt, man packt sich die Urne in den Kofferraum, holt sich den Stempel und fährt gleich wieder zurück.
Ja, und auch dieses Verfahren ließe sich noch abkürzen. Denn warum überhaupt die Urnen aufwendig hin und her fahren?
Ein paar Zettel, die man auch per Post hin und her schicken kann, und angeblich sind Dutzende von Urnen erst in die Niederlande gebracht und dann wieder zurückgeholt worden. In Wirklichkeit haben die Urnen Deutschland niemals verlassen.

Aber egal, das spielt für die letztendliche Betrachtung der Angelegenheit keine Rolle. Es ist nämlich vollkommen unerheblich, ob die Urne zwischenzeitlich mal in den Niederlanden, in Kalkutta oder in Südafrika war: Sobald sie wieder in Deutschland ist, gilt die Friedhofspflicht für Totenaschen.
Die würde nämlich auch gelten, wenn beispielsweise die Asche eines kremierten Niederländers hier nach Deutschland geschickt würde. In Deutschland muß Totenasche auf den Friedhof, gleichgültig woher sie kommt.

Und wie sehen es die Bestatter und die „Anderen“?

So, und was bedeutet das im Bestatteralltag?

Die meisten Bestatter nehmen, wie auch ich, die folgende Position ein:

  1. Die allermeisten Menschen wünschen traditionelle Bestattungen
  2. Es gibt eine Vielzahl von legalen Alternativen (Wald-, See- und Wiesenbestattung etc.).
  3. Unter besondere Voraussetzungen wird der Umweg über Holland vorgeschlagen.
  4. Das Behalten der Totenasche verhindert einen wichtigen Schritt des Trauerprozesses, nämlich das Loslassen.
  5. In seltenen Fällen nimmt man in Kauf, daß die eigenen Kunden eine Ordnungswidrigkeit begehen.

Durchaus berechtigt ist aber auch die andere Sichtweise, die -soweit ich das begriffen habe- auch teilweise von Frau Hoerner so vertreten wird:

  1. Die Menschen wissen nichts von diesen Möglichkeiten.
  2. Man muß die Menschen wachrütteln und ihnen die Augen öffnen.
  3. Durch das permanente Rückführen von Urnen ebnet man einer Liberalisierung den Weg.
  4. Das ist alles nicht so schlimm.

Aber gerade die häufige und fast wie geschmiert laufende Zurverfügungstellung von Urnen ist nach Ansicht der Experten eher ein Hemmnis auf dem Weg zu einer Liberalisierung.
Ich betone noch einmal, daß die geltenden Bestattungsgesetze im wesentlichen den Wunsch der Bürger unseres Staates widerspiegeln.
Die Gesetze sind nicht von Himmel gefallen oder von böswilligen Menschen erdacht worden, die nur im Sinn hatten, uns alles zu verbieten und uns den Spaß am Leben (meinetwegen auch am Sterben) zu nehmen.
Die Menschen, die in den Parlamenten unsere Gesetze machen, tun dies, um dem Bürger ein Regelwerk an die Hand zu geben, nach dem er sich verhalten soll. Dem Bürger gibt das die Leitschnur, an der er sich in seinem Verhalten orientieren kann.
Er muß sich sich insoweit den Normen unterwerfen, die die Allgemeinheit für richtig hält.

Der Deutsche ist konservativ, traditionsorientiert und nicht sehr experimentierfreudig.

Es ist immer so, daß Gesetze, Regelungen und Vorschriften unmodern werden. Gesetze können auch schlichtweg überflüssig werden. Die Weltmeinung kann sich ändern und dem müssen sich auch dann die Gesetze anpassen.
Die Bestatter sehen es aber nicht, daß die Meinung des größten Teils der Bevölkerung sich im Hinblick auf Totenasche geändert hat.
Würde man heute eine repräsentative Umfrage zu diesem Thema starten, käme ganz bestimmt heraus, daß ganz viele sagen würden: „Ja, es wäre nicht schlecht, wenn es da mehr Möglichkeiten gäbe“, da bin ich mir ganz sicher. Würde man diese Leute aber weiter befragen, würden sie auch sagen: „Für mich kommt das nicht in Frage“, auch da bin ich mir sicher.
Der Deutsche, das steht für mich fest, ist in Bezug auf Bestattungen konservativ, traditionsorientiert und nicht sehr experimentierfreudig.

Man könnte nun, wie wohl Frau Hoerner, der Meinung sein, dass sich dieses Ergebnis meiner angenommenen, repräsentativen Umfrage ändern würde, wären die Leute nur aufgeklärter. Sie belegt das damit, daß Menschen sie wegen ihrer Autoaufkleber, ihres sargförmigen Schlüsselanhängers usw. sogar beim Einkaufen ansprechen.
Die Kernaussage ist (jetzt mal von mir herbeiphantasiert): „Ach gut, dass Sie mir die Augen öffnen!“

Sind die Menschen wirklich begierig darauf, mehr zu erfahren?

Das aber sehe ich anders. Ich bin in der Branche und auch in weiten Teilen der Bevölkerung ebenfalls bekannt wie eine bunte Kuh/ein bunter Hund1.
Ich war eigentlich überhaupt der Erste, der die Menschen umfassend über den Bestatterberuf informiert hat. In meinen Geschichten biete ich seit vielen Jahren alle erforderlichen Informationen, immer schön verpackt in einem unterhaltsamen Mantel.
Komme ich wohin, dauert es nie lange und irgendwer spricht mich an. Entweder kennen die Leute eines meiner vielen YouTube-Videos oder sie wissen von meinem Blog oder meinen Büchern.

Ja und die Leute wollen alles wissen. Vor allem die gängigen urbanen Legenden wollen sie bestätigt oder widerlegt haben. Ganz alltägliche Fragen möchten sie beantwortet haben.
Aber in fast 40 Jahren2 ist noch NIE irgendjemand auf mich zugekommen und wollte wissen, wie man an die Urne eines Verstorbenen kommt3.
Und ich bin lange mit dem Auto privat herumgefahren:


Mein geliebter Pontiac. Er brauchte auf 100 km mehr Benzin, als ein Smart in 100 Jahren.

Da haben Hunderte gefragt, ob ich eine Leiche hinten drin4 hätte. Aber keiner wollte wissen, wie man eine Urne nach Hause bekommt.

Selbstverständlich habe ich schon mit Leuten über den Umweg über Holland gesprochen. „Was gibt’s denn sonst noch für Möglichkeiten?“, wollten die wissen. ich zähle dann auf, von der Weltraumbestattung, über die Diamantbestattung bis hin eben zur Urne daheim.
Und natürlich sind die Leute erstaunt, daß es da einen Weg gibt, und ich habe auch schon wenige Male gehört, daß einer sagte: „Och, das könnte ich mir auch vorstellen.“ Aber es ist eben nach meinen fast 40-jährigen Erfahrungen überhaupt nicht so, daß Deutschland begierig darauf wartet, nun endlich Urnen zu Hause aufbewahren zu können.

1 Sagt man das so? Nein, ich glaube es heißt „wie ein bunter Hund“, oder? Aber Hund scheint mir nicht angemessen. Kuh ist aber in diesem Zusammenhang keineswegs despektierlich gemeint.
2 Ich habe 1979 das erste Mal in einem Beerdigungsinstitut gearbeitet.
3 Abgesehen von der Zeit in der ich aktiv ein Geschäft betrieb und diese Möglichkeit auch anbot.
4 Im Auto!

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    Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

    #Bestatter #Ingrid Hoerner #Urne

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