Geschichten

Die Beule der Birnbaumer-Nüsselschweif -I-

Der neue Pfarrer hat bei uns angerufen und sich beschwert, weil ich Frau Birnbaumer-Nüsselschweif in ihrer Arbeit behindere. Er hat mir klipp und klar gesagt, daß er ein gestörtes Verhältnis zu Bestattern habe, die für ihn nur luxusverliebte Aasgeier seien, die seine armen Schäfchen nach dem Tode auch noch ausnehmen, um sich Paläste davon zu bauen und die teuersten Autos zu fahren.
Die Kirche könne sehr viele unserer Leistungen viel günstiger erbringen, quasi für Gotteslohn und er „reiße sich bei Nacht und Nebel den Arsch auf, um bei den Sterbenden zu sein“ und dann kämen wir und würden sogar noch mit den Angehörigen über das Geld schachern.
Wir seien auch nicht besser als die Soldaten, die über Jesus Kleider das Los geworfen hätten.

Frau Birnbaumer-Nüsselschweif hingegen sei ja die Selbstlosigkeit in Person. Es gebe in der Gemeinde kaum eine Gruppe, in der sich nicht zu allererst Frau Birnbaumer-Nüsselschweif als Freiwillige melde, wenn es darum gehe, etwas für die Armen, Bedürftigen, Schwachen und Notleidenden zu tun.

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So lege er mir doch nunmehr dringend nahe, ich solle mal mein Kommerzdenken hinten an stellen und in meinem Herzen nach dem letzten Funken Nächstenliebe suchen, so wie es mir Frau Birnbaumer-Nüsselschweif als leuchtendes Beispiel vorlebt.

Nach diesem Telefonat saß ich minutenlang in meinem Schreibtischsessel aus luxuriösem Kunstleder und starrte, halb grinsend, halb erstaunt, auf den mit echtem Kunststoff besetzten Hörer in meiner Hand
„Der hat ja wohl den Vollknall“, entfuhr es mir leise und ich nahm mir vor, den frommen Bembelheini in den nächsten Tagen mal zu besuchen und ihm dann tüchtig meine Meinung zu geigen.

Natürlich betreiben Bestatter in allererster Linie einen gewerblichen Betrieb. Egal wie engagiert sie sind und wie dick und gut durchblutet ihre soziale Ader auch sein mag, sie müssen und wollen mit ihren Betrieben Geld verdienen. Und um dieses Geld zu verdienen, müssen Bestatter eine gute Dienstleistung erbringen und gute Qualität liefern, sonst kommen die Leute nämlich nicht zu ihm oder sie bezahlen, was immer mehr in Mode kommt, einfach ihre Rechnung nicht. Wir müssen nämlich Rechnungen schreiben und dann darauf hoffen, daß die Kunden diese entweder überhaupt oder wenigstens noch in diesem Jahrzehnt bezahlen; und können uns nicht darauf verlassen, daß unser Geld vom Finanzamt gleich vom Lohn der Menschen abgezogen wird.

Vielleicht gründe ich ja auch meine eigene Kirche…

Drei Stadtteile weiter gibt es das Bestattungshaus David Mildenhilfe.
Einen David Mildenhilfe als Person gibt es nicht, auch wenn die Menschen den Inhaber dieses Institutes immer mit Herrn Mildenhilfe anreden.
Eigentlich ist das auch kein richtiges Bestattungsinstitut, sondern eine Reinigungsannahme mit Feuerlöscherinspektion und gleichzeitigen Sarg- und Urnenverkauf.
Der Inhaber heißt Dirk Beule und stammt aus Tzrtzsch irgendwo kurz bevor die Kolchosen anfangen.
Er gehöre nicht zu denen, die den leichten Weg gegangen und einfach den Fall der Mauer abgewartet hätten, sondern er sei sozusagen in den Hoden seines Vaters noch selbst geflüchtet, hat mir Herr Beule mal erzählt und dabei so mit den Augen gerollt, daß ich Angst hatte, die Glotzkugeln könnten herausfallen.
Seine Eltern seien also noch vor seiner Geburt aus der damaligen DDR geflohen und er habe hier später eine Lehre zum Metzger begonnen, eine zum Fernsehtechniker abgebrochen und sei dann für immerhin ein ganzes halbes Jahr in ein Kloster eingetreten.
Dort habe er sich sehr mit dem Leben des alttestamentarischen Königs David beschäftigt, woher sein Institut nun auch seinen Namen habe.
Es sei sozusagen die Folge einer Erleuchtung oder einer fast schon prophetischen Eingebung gewesen, daß er nach diesem Klosteraufenthalt den inneren Zwang verspürt habe, die Menschen bestatten zu wollen.
„Ganz für umsonst, ganz ohne Geld! Ich mach das doch nüscht für misch, ich mach das aus Nächstenliebe.“

Die anderen Bestatter sahen sich das Treiben des Herrn Beule eine Weile amüsiert an. Mit seinem uralten, in Hellviolett lackierten Bestattungswagen soll er im ersten Jahr seiner Tätigkeit immerhin zwei oder drei Sterbefälle abgewickelt haben. So viele müssen wir etwa am Tag machen, um über die Runden zu kommen, ein kleineres Unternehmen ohne Angestellte käme damit in der Woche hin und ein Dorfbestatter, der das nebenberuflich macht bräuchte diese Zahl an Sterbefällen im Monat.
Aber in der Stadt, bei so viel Konkurrenz und wenn man davon leben will… da reicht das nicht.

Dann aber erfuhren die Bestatter, daß Herr Beule für seine Mildenhilfe eine besondere Art von Vorsorgen an alte Leute in Altersheimen verkaufte. Die Leute wurden Mitglied im Mildenhilfe Bestattungsverein und zahlten einen durchaus annehmbaren Betrag von unter 20 Euro im Monat ein und die Mildenhilfe garantierte im Gegenzug eine ordentliche Bestattung.
Herr Beule war der Auffassung, man dürfe den Menschen nach dem Tode nicht mehr behandeln. Es gab bei ihm keine hygienische Versorgung, keine kosmetische Behandlung, kein Kämmen, kein Händefalten, nichts…
Die Verstorbenen wurden von ihm und dem Feuerlöschermann, mit dem er sich das Ladenlokal teilte, abgeholt und so wie sie waren in den Sarg gelegt. Einfachsarg, 80 Euro Einkaufspreis.
Dann kamen die Verstorbenen direkt ins Krematorium, keine weiteren Kosten für Halle, Zelle und Trauerfeier und vierzehn Tage später fand dann die Urnenbeisetzung statt.
Hierbei trat Herr Beule in einem langen grauen Talar mit einer grünen Schärpe auf, die mit einem goldenen Palmwedel bestickt war und quer über seine Brust ging.
Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen der Meinung waren, der abgebrochene Fernsehmetzger sei ein Geistlicher.

So weit, so gut. Denn wenn es da jemanden gibt, der den Leuten ein besonders günstiges Alternativangebot machen kann, so ärgert das vielleicht den einen oder anderen Konkurrenten, aber grundsätzlich ist dagegen zunächst einmal nichts einzuwenden.


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 17. Mai 2011 | Revision: 1. Juni 2012

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