Geschichten

Die Dreizehner Leiche

Es ist schon dunkel draußen, es wird ja früh dunkel um diese Jahreszeit und im Büro ist es gemütlich warm. Das heißt, wenn ich ehrlich bin, schwitze ich wie ein Torero der des Stieres Horn im Hinterteil stecken hat, es ist nicht nur warm, es ist brütend heiß. „Is‘ schön gemütlich!“ kräht Antonia und Sandy läuft ebenfalls an meinem Büro vorbei, barfuß natürlich, und schließt sich unserem Dickerchen an: „Ja, richtig schön angenehm!“ Und im Schlepptau folgt ihnen Frau Büser, die zwar eine dicke Strickjacke trägt, es aber immer „noch ein kleines bißchen kühl findet, nicht mehr ganz so kalt wie gestern aber immer noch nicht so richtig schön warm“.

Ich lehne mich in meinem Sessel zurück und seufze schicksalsergeben und während ich mich so zurücklehne, fällt mein Blick nach oben… und was sehe ich da: Kondenswasser sammelt sich an meiner Decke in dicken Tropfen, wie in einem tropischen Gewächshaus.

Es ist die kalte Jahreszeit und das bedeutet, daß wir Männer hier in der Firma gebrüht, gesotten und getrocknet werden, während der weibliche Teil der Belegschaft und Familie ständig friert.

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Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen.
Passt auf!

Da klingelt es an der Tür und weil ich die Hoffnung hege, beim Öffnen der Tür etwas Frischluft abzubekommen, beeile ich mich und bin als Erster dort. Draußen steht eine ältere Dame und fragt: „Sie sind doch ein Bestattungshaus, oder?“

„Also ich bin Bestatter und das hier ist das Bestattungshaus.“

„Na prima, meine Schwester ist tot.“

Und wie tausende Male zuvor zu anderen Leuten, sage ich auch zu dieser Dame: „Bitte kommen Sie doch herein“, trete an die Seite und während die kleine zierliche Frau, die ein bißchen aussieht wie Inge Meysel, eintritt, sehe ich, daß draußen vor der Tür ein Wagen steht in dem jemand auf dem Beifahrersitz sitzt.

„Ist das Ihr Auto?“ frage ich Frau „Meysel“ und deute auf den feuerwehrroten B-Kadett. Die Dame nickt und fragt: „Wieso? Darf der da nicht stehen? Ich fahr ihn schnell weg.“

„Nein, das ist es nicht, da können Sie parken, aber wollen Sie Ihre Begleitung nicht auch hereinbitten, es ist doch schon ziemlich kühl draußen.“

„Nö, das macht der nix aus, DER nicht!“

Gut, ich lasse es dabei bewenden und führe die Dame zum Beratungszimmer. Auf dem Weg dorthin kommt mir Frau Büser entgegen und fragt im Flüsterton: „Da sitzt doch noch jemand im Auto, wollen wir den nicht hereinbitten?“
Ich schüttele nur kurz den Kopf und sage: „Das geht schon in Ordnung.“

So sitze ich also schon eine ganze Weile mit Frau „Meysel“, die in Wirklichkeit Frau Schöngruber heißt, im Gespräch und wir haben schon ziemlich alles wegen der Erdbestattung ihrer Schwester besprochen, da klopft es kurz, Frau Büser tritt halb ein und sagt: „T’schuldigung falls ich störe, Chef, da ist was mit dem Dreizehner.“

Keiner bei uns weiß was ein Dreizehner ist, es könnte durchaus ein 13er Schraubenschlüssel sein, aber es spielt überhaupt keine Rolle. „Der Dreizehner“ ist nur ein verabredetes Codewort für „kommen Sie sofort mit, auf der Stelle, jetzt, unverzüglich!“ Wir haben mehrere solche Ausdrücke, die Kunden müssen ja nicht alles mitbekommen. Frage ich zum Beispiel im Beisein eines Fremden nach einem bestimmten Mitarbeiter und derjenige befindet sich gerade auf der Toilette, dann lautet die Antwort immer, daß derjenige „in Abteilung 17“ ist. Kunden, die noch nie in einem Kaufhaus gearbeitet haben, wo solche Kürzel auch gebräuchlich sind, ahnen nicht, worüber wir uns unterhalten.

Aber jetzt ist niemand „auf 17“, sondern es stimmt was mit dem „Dreizehner“ nicht, also entschuldige ich mich kurz bei Frau Schöngruber und folge Frau Büser. Die ist ganz aufgeregt und zieht mich hinter sich her ins Weiberbüro schräg gegenüber: „Chef, das glauben Sie nicht!“

„Was glaube ich nicht?“

„Los Antonia, erzähl!“ fordert Frau Büser Antonia auf.

Antonia und Sandy sind auch ganz aus dem Häuschen und Antonia erzählt: „Der Frau Büser hat die Person im Auto so leid getan und da hat sie mich gebeten, ich soll doch mal rausgehen und fragen, ob die vielleicht einen heißen Kaffee will, es ist doch kalt draußen.“

„Ja und?“

„Ja und dann bin ich rausgegangen und hab in das Auto geguckt.

„Ja und, weiter?“

„Da da… da…“

„Hör doch auf zu stammeln“, unterbricht Sandy ihre Kollegin und setzt an ihrer Stelle den Bericht fort: „Antonia ist also gucken gegangen und hat an die Scheibe geklopft und die Person hat sich nicht bewegt.“

„Und dann hab ich mit meiner kleinen Taschenlampe am Schlüsselbund da reingeleuchtet“, sagt Antonia und hechelt vor Aufregung wie ein Mops nach einem Dauerlauf.

„Ja und dann?“

„Dann hab ich sie gesehen!“

„Wen?“

„Na die Leiche!“

„Was denn für eine Leiche?“

„Na, da sitzt eine Leiche auf dem Beifahrersitz!“

„Nee, oder?“

„Doch!“

„Glaub‘ ich nicht.“

„Doch ehrlich, Chef, ich schwör‘!“

In dem Moment geht die Tür vom Beratungszimmer auf und Frau Schöngruber schaut heraus: „Sie, wo ist denn da mal die Toilette, ich müßte mal den Kaffee wegbringen.“

Antonia und Frau Büser zucken zusammen, Sandy zieht die Augenbrauen hoch und ich stehe da zwischen den vier Frauen und muß jetzt Licht in die Sache bringen.
Sollte Frau Schöngruber eventuell wirklich die Leiche ihrer Schwester gleich mitgebracht haben?

„Entschuldigung, Frau Schöngruber, unsere Frau Büser wird ihnen sofort zeigen, wo die Toiletten sind, aber erlauben Sie mir bitte eine Frage. Meine Mitarbeiterin ist an Ihrem Auto vorbeigekommen und hat die Person auf dem Beifahrersitz gesehen, wer ist das denn bitteschön?“

„Kann ich Ihnen gleich zeigen, aber erst muß ich den Kaffee ablassen.“

Während Frau Büser die Dame zum WC begleitet stehen wir anderen herum und warten ungeduldig. Es vergehen endlose Minuten, die Alte muß eine Badewanne voll Kaffee getrunken haben…
Endlich kommt sie, klappert mit ihrem Autoschlüssel und meint: „Wollen wir?“

Sie schließt die Beifahrertüre auf und im schwachen Schein der Straßenbeleuchtung sehe ich das ganze Leichendrama in allen Ausmaßen.
Frau Schöngruber sagt: „Darf ich vorstellen, das ist Franziska!“

Sandy ist die Erste die lacht, dann fällt auch Antonia in das Lachen ein und schließlich kichert auch Frau Büser vor sich hin.
Vor uns auf dem Beifahrersitz hockt keine Leiche, sondern eine in Männerkleidung gewandete Aufblaspuppe aus dem Sex-Shop, die ein ziemlich alte graue Lockenperücke auf dem Kopf hat.

Frau Schöngruber macht eine galante Handbwegung und sagt: „Das ist Franziska, meine Begleiterin, die sitzt immer neben mir im Auto. Seitdem ich Franziska habe, ist nie wieder in mein Auto eingebrochen worden und vor allem… es sprechen mich keine Männer an, als Frau kann man ja nicht vorsichtig genug sein.“

2009 ©

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