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Die Erde muss prasseln, die Hände müssen schmerzen

händeschütteln

Erst wenn die Erde krachend auf den Sarg fällt, kann man begreifen, daß da ein Mensch von uns gegangen ist.

Leser Hans schreibt zu meinem Artikel über die ins Grab geschaufelte Erde:

händeschütteln
Ich beobachte bei vielen Bestattungen mit Sorge, wie durch Schonung und Vermeidung immer mehr vom rituellen Geschehen weggenommen wird.
Die Handlungen am Grab sollen eine Zäsur setzen, damit die Trauer besser in Gang kommen kann.
Es gibt ein Vorher und ein Nachher. Und dazwischen den notwendigen Schmerz.
Besser, es tut hier einmal kräftig weh, und ist dann erst mal durchgestanden, als dann monatelang zu Hause, weil durch Vermeidung ein wichtiger symbolischer Schritt der Trennung versäumt worden ist.
Von daher bin ich sehr dafür, das Poltern der Erdbrocken auf dem Sarg nicht aus gut gemeinter Schonung zu vermeiden.
Dass sich die Erde über dem Verstorbenen schließt, ist tröstlicher als ein bißschen rieselnder Sand oder Torf, bei dem doch jeder gleich spürt, dass nur der Schmerz vermieden und die Wirklichkeit der Trennung beschönigt werden soll.

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Ich gebe Hans Recht. Seine Aussage deckt sich im Grundsatz mit meinen Ratschlägen.
Die Handlungen im Trauerhaus, Bestattungshaus, in der Trauerkapelle, während der Trauerfeier und dann bei der Beerdigung wirken teilweise altmodisch und mancher hält sie für überkommen.
Ja, manche Bestatter, die sich für besonders modern und innovativ halten, meinen sogar, sie müßten den Trauernden viele dieser Handlungen wegnehmen und durch vermeintlich bessere und modernere Elemente ersetzen.

Dabei sind die verschiedenen, teils sehr ritualisiert erscheinenden Handlungen das Ergebnis einer langen Entwicklung, die ihre Wurzeln im Volksempfinden und in kirchlichen Symboliken hat.
Zu diesen Handlungen gehören neben vielen anderen die Abschiednahme am Sterbebett, das Schließen der Augen des Verstorbenen, die Abholung des Toten aus dem Sterbehaus, das Trauergespräch mit dem Pastor und Bestatter, die Aufbahrung in der Leichenkammer und die ganzen Schritte bei der Trauerfeier und der Beerdigung.

In vielen Gegenden kommen noch Handlungen hinzu, die ihre Wurzeln im Bereich des Aber- oder Volksglaubens haben, bei denen sogar die ehemals erhoffte Wirkung heute weitestgehend unbekannt ist. Hier seien das Verhängen von Spiegeln, das Anhalten von Pendeluhren und das Auflegen von Münzen auf die geschlossenen Augen des Toten beispielhaft genannt.

Um es einfach zu sagen: Je mehr dieser Handlungen absolviert werden, umso leichter müßte man mit dem Verlust umgehen können.

Das ist sehr vereinfacht, soll aber die Zielrichtung dieses Artikels deutlich machen.

Es spielt im Übrigen keine Rolle, ob man die Bedeutung und das Wirken der einzelnen Handlungen kennt oder versteht, sondern es geht darum, sich mit dem Tod, dem Verlust und dem Wegnehmen eines lieben Menschen zu beschäftigen.
Und das ist, da gibt es kaum einen Diskussionsspielraum, erwiesenermaßen sehr wichtig für den Trauerprozeß und die letztendliche Bewältigung der Trauer.

Ziel der gesamten Trauerarbeit soll es sein, so definiere ich das immer für mich, daß man in der Anfangszeit immer wenn man an den Verstorbenen denkt, einen tiefen Stich im Herzen spürt, der einem die Tränen in die Augen treibt.
Am Ende aber soll es so sein, daß man losgelassen hat und sich freudig und mit guten Gedanken an den Verstorbenen erinnert. Sein Wirken und seine Einflüsse auf uns sollen als Erinnerung in unseren Herzen und Köpfen bleiben, der Schmerz und die Trauer bleiben irgendwann auf dem Friedhof zurück.

Klappt dieser Prozeß nicht, dann jammern viele auch nach vielen Jahren noch über den Verlust. Ich schreibe das bewußt so, denn ich habe immer diese Frau vor Augen, die seit 30 Jahren ein unglaubliches Bohei um ihren kurz nach der Geburt verstorbenen Sohn macht.
Auch wenn der Junge heute schon 30 Jahre alt, längst verheiratet und Vater eigener Kinder wäre, wird sein Grab immer wieder neu angemietet und ist über und über mit Kinderspielzeug bedeckt. Man sieht die Frau auch nach drei Jahrzehnten noch weinend am Grab stehen.
Am Schlimmsten finde ich, daß sie sagt: „Ich habe einen Sternenkind, um das ich mich kümmern muß, da habe ich mir den weiteren Kinderwunsch versagt.“

Manchmal reicht das, was man selbst, gemeinsam mit Pastor und/oder Bestatter getan hat, auch einfach nicht aus, um den Prozeß des Loslassens in Gang zu setzen und abschließen zu können.
Hier bieten sich dann Trauergesprächskreise, Trauercafés und Gesprächsangebote von Kirchengemeinden, Hospizen und Bestattungshäusern als weitere Hilfen an.

Nun sagte mir einmal ein alter Pastor, und damit sind wir beim Titel dieses Beitrags, daß die Erde auf den Sarg poltern müsse und die Hände der Witwe vom Händeschütteln schmerzen sollten. Das gehöre auch dazu, zu begreifen.

Ich bin da grundsätzlich seiner Meinung, die auch Leser Hans vertritt.
Allerdings muß man als Bestatter immer mit sehr viel Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis vorgehen.
Man kann nicht alle Trauernden über einen Kamm scheren. Was für den einen gut ist, kann für den anderen schlecht sein.

So gab es mehrmals Fälle, in denen ich von der Abschiednahme am offenen Sarg abgeraten habe, weil ich den Eindruck hatte, daß dieser spezielle Hinterbliebene damit nicht zurecht gekommen wäre.
Von dem Spruch: „Behalten Sie den Verstorbenen lieber so in Erinnerung, wie Sie ihn zu Lebzeiten kannten“, halte ich als pauschale Empfehlung gar nichts.
Aber der Satz hat seine Berechtigung, wenn man das Gefühl hat, daß die Angehörigen mit dem Anblick und der Situation überhaupt nicht zurecht kämen.

Wenn Angehörige selbst schon im Vorfeld bestimmte Dinge ablehnen, etwa sagen: „Ich war erst neulich auf einer Beerdigung und das Prasseln der Erde auf den Sarg hat mich schier um den Verstand gebracht“, dann muß man überlegen, ob man als Bestatter es zuläßt, daß aus dieser symbolischen Handlung eine Tortur wird. Man benötigt sehr viel Einfühlungsvermögen, um zu entscheiden, ob man den Trauernden nun quasi als heilsame Medizin trotzdem diese Tortur „verordnet“, oder ob man sie zur Vermeidung von Schäden lieber abmildert.

In vielen Traueranzeigen liest man: „Von Trauerbekundungen am Grab bitten wir Abstand zu nehmen.“

Diese Bitte hat man sich aus den seitenfüllenden Traueranzeigen von Prominenten und Politikern abgeschaut.
Es wäre hier den Hinterbliebenen wirklich nicht zumutbar, mehrere hundert oder tausend Hände zu schütteln.

Aber man muß sich diesen Satz auch mal auf der Zunge zergehen lassen: „… bitten wir Abstand zu nehmen“.
Nein, man sollte als Angehöriger die Trauergäste nicht bitten, Abstand zu nehmen. Einerseits ist es den Trauergästen ebenfalls ein wichtiges Bedürfnis, ihre kleine Trauerarbeit leisten zu dürfen (ritualisiertes Zuschaufeln des Grabes, das Händeschütteln und Beileidwünschen usw.), andererseits haben auch diese Handlungen ihre Wurzeln und Bedeutung.
Das Zuschaufeln des Grabes und das anschließende Kondolieren, sowie das gemeinsame Kaffeetrinken hinterher zeigen in genau dieser Reihenfolge:

  • Wir als Gemeinschaft tragen hier jemanden zu Grabe und Du mußt ihn nicht alleine zuschaufeln.
  • Wir kommen zu Dir und sagen Dir unsere Hilfe und Anteilnahme zu.
  • Wir feiern den Tod, wir feiern den Abschied, aber wir feiern, um Dir zu zeigen, daß jetzt ein neuer Abschnitt beginnt.

Man sollte also die Chancen, die sich in den symbolischen Handlungen verbergen, nicht wegwerfen, sondern nutzen.

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