Geschichten

Die Fee der Nacht -17-

Die Idee gefiel mir gar nicht und ich erwischte Petermanns Jackenärmel und hielt ihn fest.
„Find ich scheiße“, sagte ich und er drehte sich mit offenstehendem Mund um. So etwas war ihm wohl noch nicht untergekommen, daß sich ein Bürger und Zeuge in dieser Art einmischte.

„Das ist ganz normale Polizeiarbeit. Wenn wir vor Ort durch normale Befragungen nicht weiter kommen, dann holen wir gerne mal jemanden zu uns ins Präsidium. Das erhöht doch gleich den Druck und dieser unbekannte Polizeiapparat mit seiner ungeheuren Geschäftigkeit sorgt schon dafür, daß der eine oder andere Vogel singt.“

Ich zog Petermann wieder herein und sagte: „Das ist mir schon alles klar. Ich will mich ja auch nicht einmischen, aber Sie haben mich jetzt schon ein paar Mal ins Vertrauen gezogen und wir haben so ausführlich über Nathalie gesprochen, daß ich finde, ich dürfe auch meine Meinung dazu sagen.“

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Petermann ließ sich aufs Sofa plumpsen und lehnte sich weit zurück, rieb sich mit den Handflächen die Augen und strich dann mit den Händen durch seine kurzen Haare.
„Ich weiß es doch auch nicht“, sagte er. „Was soll ich denn machen?“

„Sie stehen ziemlich allein auf weiter Flur, nicht wahr?“

Er nickte langam, schob aber die Unterlippe vor und gab sich trotzig: „Das ist mir aber alles egal. Mir kann keiner was. Ich bin vom leitenden Oberstaatsanwalt dazu eingesetzt, mich einzumischen und selbst wenn der Staatsanwalt, der hier konkret in diesem Fall die Ermittlungen führt, nicht will, kann mich nur der Leitende zurückpfeifen.“

„Okay, nehmen wir an, Nathalie hat ihren Mann erschossen…“

„Ja, das hat sie, davon bin ich überzeugt.“

„Okay, dann sagen Sie mir, warum sie das Gewehr nicht einfach neben ihren Mann gelegt hat. Ich meine, das kennt doch jedes Kind aus dem Fernseher. Man tut dann den Finger der Leiche an den Abzug, drückt ihre Hand an die Waffe, damit die Fingerabdrücke stimmen und damit es Schmauchspuren gibt, schießt man noch mal in die Wand oder so.
Is‘ jetzt egal, wie man das im Einzelnen macht, aber das sieht man doch in jedem Krimi.“

Der Kriminalbeamte seufzte und lachte dann: „Kerl! Habe ich Ihnen schon mal gesagt, daß ich finde, daß Sie zu viele Krimis gucken?“

Jetzt mußte ich lachen und setze mich neben ihn. Zweimal lief Frau Büser geschäftig vorbei und schaute nur kurz zu uns zwei schweigenden Männern herüber, beim dritten Mal brachte sie uns zwei Tassen Kaffee. „Die könnt Ihr doch brauchen, oder?“

Petermann klatschte mir seine Hand aufs Knie und forderte mich auf: „Kommen Sie, jetzt nochmal, alles ganz von vorne! Erzählen Sie mir haarklein wie alles an diesem Abend war und dann bei Ihrem Besuch bei Nathalie.“

„Okay“, sagte ich: „Aber nur wenn Sie mir auch alles erzählen, was Sie wissen!“

Über eine Stunde berichteten wir uns gegenseitig was wir erlebt hatten und als Petermann mit seiner Schilderung vom letzten Besuch bei Nathalie fertig war, sagte ich:

„Wissen Sie, an was mich das erinnert? Ich war vor ein paar Jahren mal bei jemandem zu Besuch, der einen großen Garten und einen sehr lebhaften Rauhhaardackel hatte. Der Garten hatte links und rechts, wo es zu den Nachbargrundstücken ging, keine Zäune.
Dieser Dackel aber hatte einen ungeheuren Bewegungsdrang, er rannte die ganze Zeit über das Grundstück, als müsse er vor seinem eigenen Schwanz davonrennen. In Windeseile hatte er das Riesengrundstück einmal quer und einmal längs durchquert, stand dann hechelnd und schwanzwedelnd vor uns, um dann gleich zur nächsten Rennrunde loszurasen.“

„Und?“

„Ja, passen Sie auf! Ich wunderte mich die ganze Zeit, woher der Dackel so genau wußte, wo das Grundstück aufhörte. Wie gesagt, da gab es keine Zäune, aber der Hund lief trotzdem nicht auf die Nachbargrundstücke, so als ob da ein unsichtbarer Zaun sei.
Der Besitzer erklärte mir dann, er habe ganz am Anfang, als der Hund noch neu und jung gewesen sei, so einen Draht auf der Wiese ausgerollt, genau an der Grundstücksgrenze entlang. Der Hund hatte so einen Empfänger am Halsband, der immer vibriert und gepiepst hat, wenn er über den Draht wollte. So habe er gelernt, wo die Grenzen sind, die er nicht übertreten darf.
Nach ein paar Wochen hat der Hundehalter dann den Draht wieder eingerollt und das Halsband wieder weggemacht. Der Hund war entsprechend konditioniert und erzogen.
Und genau so kommt mir Nathalie vor. Wenn ich mir anhöre, wie zwanghaft ihr Handeln ist…
Mensch, das ist doch genau so wie bei dem Hund.“

Petermann grübelte und wieder fuhr er mit beiden Händen durch seine Stoppelfrisur.
„Hm, dann müsste man nicht Nathalie zur Vernehmung mitnehmen, sondern sich lieber mal die Hütte da genauer ansehen.“

„Das hätte ich schon längst gemacht.“

„Ja klar, Sie gucken ja auch Fernsehkrimis. Wissen Sie, wie das in der Realität ist? In der Realität scheißt sich jeder Richter an, wenn er einen Durchsuchungsbeschluß unterschreiben soll. Wehe, es geht um Leib und Leben… Da wird dann auf einmal das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung so was von hoch gehalten… Aber wenn es um Steuern oder so’n Computerscheiß geht, da schicken die gleich 40 Mann hin.“

„Und holen Sie jetzt so einen Durchsuchungsbefehl? Fahren wir dann da hin?“

„Erst mal heißt das Durchsuchungsbeschluß und dann fahren wir nirgendwo hin. ICH fahre da hin.
Ich gebe zu, daß es gut getan hat, mit Ihnen mal über den Fall zu sprechen, wirklich, aber ich kann Sie nicht zu einer Haussuchung mitnehmen.“

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