Geschichten

Die Fee der Nacht -16-

Im Bestattungshaus ging alles seinen ganz normalen Weg. Nachdem wir die Freigabe von der Staatsanwaltschaft bekommen hatten, konnten wir Roland Brockhagen ganz normal behandeln, so wie jeden anderen Verstorbenen auch.
Okay, an eine offene Aufbahrung war nicht zu denken, hier wäre eine Rekonstruktion des Gesichtes nur mit unglaublichem Aufwand möglich gewesen, aber das stand auch gar nicht zur Diskussion.
Von Seiten der Eltern war nicht der Wunsch geäußert worden, noch einmal am offenen Sarg Abschied zu nehmen und das war auch gut so.

Ich muß gestehen, daß das alltägliche Einerlei und einige weitere Sterbefälle, in denen mich die Angehörigen sehr beanspruchten, dafür sorgten, daß Nathalie allmählich aus meinen Gedanken verschwand.
Manni und ich sind ganz normale Leute, die nur am Rande etwas von der Polizeiarbeit und den Dramen rund um die Sterbefälle mitbekommen und für uns war diese Geschichte in der Villa Brockhagen etwas Besonderes und Aufregendes gewesen.

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Aber jetzt hatten wir sie erlebt und hatten sie oft genug erzählt und damit war es dann allmählich für uns auch erledigt.
Der Alltag gewann wieder Oberhand und andere Dinge rückten in den Vordergrund.

Ich bekam ja auch keine weiteren Informationen. Zwar schaute ich jeden Tag in der Zeitung bewußt nach, ob ich nicht doch eine Meldung über den Fall finden würde, aber es blieb bei der einen kurzen Randnotiz von der ich schon erzählte.

Auch der knorrige Kommissar hatte sich nicht mehr blicken lassen, dabei hatte er doch mit mir ausführlich über den Fall gesprochen und mir gesagt, daß er Nathalie für die Täterin hielt.
Irgendwann müsste er sie doch dann festnehmen und dann müssten Untersuchungshaft, Anklage und der Prozess folgen.

Aber diese Gedanken hatte ich schon längst angestellt und wie gesagt, ich dachte schon gar nicht mehr über die Geschichte nach, als Herr Brockhagen senior einen Tag vor der Beerdigung bei uns im Bestattungshaus auftauchte.

Er hatte in einer sehr edlen schwarzen Aktenmappe zwei Schachteln mit kleinen Kärtchen dabei. Das sei eine Idee seiner Frau gewesen, sagte er und schob mir die Karten über den Schreibtisch.
Es waren im Grund genommen ganz normale Visitenkarten, auf denen auf der Vorderseits der Name und die Lebensdaten des Verstorbenen aufgedruckt waren und auf der Rückseite ein Psalm.

Diese Kärtchen sollten wir doch bitte auf den Stühlen in der Trauerhalle auslegen.

Vorne die ersten Reihen sollten bitte für ihn, seine Frau und einige Onkel und Tanten reserviert werden.

„Kein Problem“, sagte ich: „Wir machen das immer so, daß wir die erste Reihe für die Angehörigen reservieren, bei Bedarf auch die zweite Reihe. Es geht ja nicht, daß sich sein Trauergast, der nur aus der Nachbarschaft stammt oder ein Arbeitskollege war, ganz vorne hinsetzt und die Witwe muß dann hinten sitzen, wo man vom Pastor nichts versteht.“

„Da sind wir bei einem anderen Thema. Meine Schwiegertochter wird aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Zeremonie teilnehmen. Wir haben da einen Neffen, der wird das alles auf Video aufzeichnen und wir spielen es ihr dann vor.“

„Ach was?“ entfuhr es mir, doch Brockhagen zog sein Etui aus der Tasche, entnahm ihm eine Zigarre, schnitt mit einem kleinen Taschenmesser eine Kerbe in das hintere Ende und zündete sie sich an.
„Ja, so ist das.“

„Wie? So ist das? Erlauben Sie mir die Bemerkung, daß das schon recht ungewöhnlich ist. Gerade wenn ein Paar noch so jung ist, da möchte die Witwe dann doch in der Trauerfeier und am Grab noch einmal Abschied nehmen.“

„Bei uns ist das nicht so, das heißt, bei Nathalie ist das nicht so. Bitte nehmen Sie das einfach zur Kenntnis!“
Der Tonfall des Politikers ließ keinen Widerspruch zu und ich konnte nicht anders, als vor lauter Unverständnis leicht den Kopf zu schütteln.

„Da brauchen Sie jetzt gar nicht den Kopf zu schütteln“, sagte Brockhagen und fügte hinzu: „Das ist alles schon bitter genug und der Vorfall an sich ist für meine Schwiegertochter grausam genug gewesen, da möchten wir ihr das alles hier ersparen. Sie ist momentan nicht in der Verfassung dazu.“

Ich nickte und beschwichtigte den Kunden, denn das war Brockhagen ja schließlich. „Selbstverständlich, wir wickeln das so ab, wie Sie es wünschen.“

Brockhagen brummte zufrieden, nahm seine Aktentasche und ging Zigarre paffend hinaus. Ich begleitete ihn bis zur großen Haupttür und verabschiedete mich von ihm.
Ein großer schwarzer VW-Phaeton stand vor unserem Haus und ein Riese von einem Mann im dunklen Anzug riß Herrn Brockhagen den hinteren Schlag des Wagens auf.

Ich schaute dem schweren Wagen noch hinterher, da näherte sich von der anderen Straßenseite dieser Kommissar Petermann. Unter dem Arm trug er die Plastiktüte, in der er den Overall mitgenommen hatte und winkte mit der freien Hand zu.
Als er bei mir angekommen war, schauten wir noch gemeinsam zu, wie der Wagen von Herrn Brockhagen am Ende der Straße abbog.

„Das war übrigens diese Ignaz. Ich weiß gar nicht ob Sie den kennen oder ob ich Ihnen von dem erzählt habe“, sagte Petermann und folgte mir ins Haus. „Der Mann, der Brockhagen jetzt fährt, das ist der Aufpassen von Nathalie. Das heißt, wenn der Herr Minister seinen Kampfmongolen braucht, ist nur die alte Frau von Tratow bei Nathalie.“

In meinem Büro warf mir Petermann die Tüte zu: „Da, jetzt können Sie unserem Freund sein Kleidchen anziehen.“

„Und? Ist irgendetwas bei der Untersuchung herausgekommen?“

Der Kriminalbeamte bediente sich einfach und schenkte sich aus der Thermoskanne etwas Kaffee in eine der Tassen.
„Ich habe jetzt erstmal den Overall geholt, das Ergebnis hole ich mir in ein paar Minuten ab.“

Ich warf einen Blick in die Tüte und schüttelte wieder den Kopf.
„Ist doch eine merkwürdige Sache, daß ein Toter so einen Overall angezogen bekommt.“

„Moment mal“, protestierte Petermann: „Sie waren es doch, der mir erklärt hat, daß Tote manchmal alles mögliche anziehen sollen!“

„Ja schon, aber so ein Overall? Das ist schon was Seltsames. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“

„Ich bin’s leid“, sagte Petermann unvermittelt und eigentlich zu laut. „Das kotzt mich alles total an. Wir haben es hier mit einem klassischen Mord zu tun, das würde jeder kleine Streifenbeamte so sehen. Aber nein, es darf kein Mord sein, jeder gibt sich mit der Erklärung ‚Selbstmord‚ zufrieden und egal wo ich hin komme, es wird gemauert. Im Präsidium schaut man mich an, als würde ich behaupten, der Mond zeige nachts das Gesicht von Dieter Bohlens Oma, wenn ich nur ansatzweise von Mord spreche. Der Staatsanwalt tut nichts, mein Chef ist nur dran interessiert, daß alles auf kleinster Flamme gekocht wird und bei den Brockhagens, inklusive Nathalie, komme ich nicht weiter.
Die alten Brockhagens sind eiskalt und abgebrüht und die Kleine steht immer unter Strom.“

„Und was wollen Sie jetzt machen?“

„Was ich jetzt mache? Ich fahr da jetzt hin und nehme Nathalie Brockhagen fest!“

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 28. Mai 2012 | Peter Wilhelm 28. Mai 2012

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Lochkartenstanzer
11 Jahre zuvor

Tom, hat Dir jemand schon einmal gesagt, daß Du sadistisch veranlagt bist. Uns Leser so auf die folter zu spannen, wobei doch Folter laut Genfer Konvention doch verboten ist.

🙂

11 Jahre zuvor

Jawollja. Das ist grausame und unübliche Folter, Tom! Uns so an der Klippe hängen lassen. Da kommt ja nicht mal ein Bernhardiner mit Rumfässchen hin um einem die Wartezeit bis zum nächsten Teil zu verkürzen.

Öschi
11 Jahre zuvor

Eigentlich wollte ich drei oder vier Tage nicht reinschauen und dann die ganze Geschichte auf einmal lesen – neiiiiin ich habs vor Spannung nicht geschafft und jetzt das.
Wo sind meine Tropfen ??!!!
Ich brauche Betablocker, Metaprolol und so `n Zeugs.
Für diese Geschichte lasse ich jedes Müsli stehen !!!
Tom mach hinne !!

11 Jahre zuvor

Ich bin ja von Natur aus sehr geduldig und habs bis hierhin auch gut ausgehalten – zumal der Artikelfluß mit ca. (oder genau) 2 pro Tag schon erstaunlich hoch ist, aber jetzt kann ich langsam nicht mehr: Ich will jetzt wissen, was da läuft! Sofort!

PS: Wurde von Tom gegenüber dem Petermann nochmal auf die „Fesselmale“ der jungen Frau eingegangen? Das hätte den doch eigentlich interessieren müssen?
Hach, ich geh mal weiter mein Grab schaufeln… (Steuererklärung machen – natürlich im letzten Moment, ganz ausnahmsweise).

Winnie
11 Jahre zuvor

@ 1 Lochkartenstanzer

Ja, bestimmt ist er sadistisch veranlagt. Ergötzt sich an unserer Qual und erfreut sich daran, dass er ja noch 98023 Teile hat. 😉
Pfui, welch pößer Pursche, auf den Poden mit ihm. 😉

@ 3 Öschi

Ich wollte auch warten, klappt aber nicht.
Das mit den Betablockern lass mal sein, sonst hängt Dein Lumpi wie’n Faden runter, wenns blöd läuft. 😉 Dann hast Du noch mehr Langeweile. 😉

11 Jahre zuvor

Sagt mal… der alte Brockhagen ahnt etwas von der Festnahme?

Jetzt muss ich weiterhin in der Klippe rumhängen. Aus lauter Nervosität habe ich mit klammen Fingern mein einziges Seil aufgedröselt und zu Wolle verarbeitet… und au ja, Betablocker sind fein!

11 Jahre zuvor

@Winnie
Das mit dem höngenden Lumpi bei Betablockern ist eine Mär, die gern von manchen Leuten als Ausrede hervorgekramt wird, die besser welche nehmen sollten. Die Nebenwirkung ist etwa so häufig wie auf den Kopf fallende Blumentöpfe.

@turtle
Strickst Du mir einen Pullover mit?

Und tu Käse in eine passende Höhle, der wird bis zum Ende der Geschichte auf jeden Fall reif.

11 Jahre zuvor

@ kall:

Das kann ich tun. Zeit hab ich hier oben sowieso viel zu viel… *strick und dem Käse Gesellschaft leiste*

LSH
11 Jahre zuvor

Ganz großes Kopfkino 🙂

Öschi
11 Jahre zuvor

@ Winnie und Kall
Freude vielen Dank für die Tipps.
Ich muß leider seit frei Jahren nach meinen Herzinfarkt täglich eine einschmeißen und dann noch ASS und Colesterinsenker und Blutdrucksenker und damit ich den beruflichen Streß mit dazu auch noch gut vertragen kann gibts Omep fallweise auch noch zum Drüberstreuen. Und die Sache mit dem Lumpi – da würd ich sagen: Es kommt auch viel auf die Partnerin an – also bei uns klappts auch mit dem Lumpi…. noch Fragen Kienzle??
Da fragt doch einer seinen Frund, ob er diese blauen Dinger nimmt und der ander meint: Nö, bei meiner Freundin klappt es auch so bestens und meiner Alten vergönne ich`s nicht.

11 Jahre zuvor

@Öschi
ich nehm das in wechselnden Dosen seit ca. 8 Jahren und sehe da ebenfalls kein Problem.

Öschi
11 Jahre zuvor

@Kall
.. und es geht doch (frei nach Galileo)

Jan
11 Jahre zuvor

Der arme Cliff tut mir langsam echt leid. Jeden Tag wird er einfach hängen gelassen…

tree57
11 Jahre zuvor

Warum soll es Cliff besser gehen als dem Lumpi ?

Winnie
11 Jahre zuvor

@ Öschi & Kall

Ich kenne mindestens zwei Leute, beie denen das angeblich auf den Lumpi geschlagen ist. Allerdings, irgendwie habt ihr recht, ich kenne nämlich auch deren Frauen. 😉
Seit Jahrzehnten nehme ich übrigens selbst Betablocker, andere Blutdrucksenker, Magenpillen wie Esomeprazol usw. und bislang funktioniert auch alles bestens. 😉

Aber man sieht, so bekommt man die Zeit bis zum nächsten Teil auch rum.

11 Jahre zuvor

ja, eigentlich ….
…. fehlt ja auch nocht die heutige 2. Folge aus der Sicht vom Pittermännchen.

Big Al
11 Jahre zuvor

kall, der Komissar ist doch eher kekssüchtig, oder?
B. A.

11 Jahre zuvor

Egal, bei mir hat der jetzt den Namen weg!

Big Al
11 Jahre zuvor

Komissar Pittermännchen also.
B. A.

Mona
11 Jahre zuvor

Spannend,spannend,spannend 🙂
LG Mona

11 Jahre zuvor

Ah, verflixt! Ich hatte auf die Auflösung in diesem Teil gehofft. Jetzt muss ich doch noch weiter warten…

trauerliesel
11 Jahre zuvor

Ach wie gut das niemand weiß… das ich weiß wie die Geschichte weitergeht. 🙂
Zumindest hab ich soviel Phantasie das es noch mindestens 60 Teile geben könnte.
Aber halt nur in meiner eigenen Version.
So wie ich Tom kennenlernen dutfte (leider nur lesetechnisch) wird es sicher noch seeeeeeehr spannend mit ungewöhnlichem Ausgang.
Ich tippe auf die von Treptow mit ihrem 2-Meter-Lover

Kampfschmuser
11 Jahre zuvor

Ähm… wo ist Teil 17? 😉

11 Jahre zuvor

Böse! 🙂 (Alle! Alles!)

Bert
11 Jahre zuvor

Petermann soll die Frau nicht einsperren, sondern dafür sorgen, dass sie ärztliche – vor allem psychotherapeutische – Hilfe bekommt. Dann wird sie sich auch eher öffnen als in Untersuchungshaft. Das Gefängnis kann noch warten, sie ist ja keine Gefahr für ihre Umgebung.

11 Jahre zuvor

@ Bert

Du hast zu wenig „Tatort“ geguckt. 😉

11 Jahre zuvor

Ich hoffe, der nächste Teil kommt bald. Wie soll ich arbeiten, wenn ich nicht weiß wie es weitergeht?!

Felis
11 Jahre zuvor

Boa Tom du bist so gemein. Bei einem Buch wär ich scho drei mal durch jetzt schreib endlich weiter.

Öschi
11 Jahre zuvor

heißt Pittermännchen etwa mit Vornamen Lumpi ? Ich mein nur weil er jetzt schon zwei Tage nur rumhängt??
Aber auf Beamte soll man nicht schimpfen – tun ja eh nix!!
Also weiter gehts: Sandy laß deinen Chef in Ruhe, Antonia bring ihm eine Kanne frischen Kaffee und Frau Büser soll aufpassen, dass er ungestört schreiben kann – Mann Mann Mann muß man sich hier um alles selber kümmern.

Lochkartenstanzer
11 Jahre zuvor

Tom? Tooom! Mach hin! Bitte.

Beremor
11 Jahre zuvor

Er hat ja schon hingemacht!

11 Jahre zuvor

Wie jetzt, der kann doch nicht einfach irgendwo hinmachen.

Und wenn er zu sehr hinmacht, macht er irgendwann die ganze Story hin.

Astrid
11 Jahre zuvor

Lustig….ich lese nen Zeitungsartikel, in dem es unter anderem um Kommentare eines Komissar Petermanns zu einer abgeschlossenen Mordermittlung geht, ich denke mir, ööh Moment warum kommt der Name mir bekannt vor? Auch wenn ich weiß, dass du Namen und so weiter verfremdest, dennoch irgendwie lustig… Den Artikel hier meine ich: http://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/region/Wie-boese-Geruechte-neue-Wahrheiten-schaffen-article767518.html




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