Geschichten

Die Fee der Nacht -20-

Petermann wurde die Luft im Keller zu dick, allmählich kroch seine Klaustrophobie in ihm hoch und begann seinen Hals zu zu schnüren.
„Ich geh mal an die frische Luft“, sagte er zu seinen Kollegen, die inzwischen die Phase des Staunens überwunden hatten und damit begonnen hatten, etliche silberne Koffer aufzuklappen und jedes Detail im Keller ausführlich zu untersuchen.

Das letzte Stück im engeren Gang war für Petermann das schlimmste Stück, weil hinter ihm zwei Kollegen drängten und ihm von vorn weitere inzwischen eingetroffene Spurensicherer entgegenkamen.
Plötzlich fühlte er sich eingesperrt und schlagartig blieb ihm die Luft weg.

Ziemlich rabiat bahnte er sich seinen Weg und es ging ihm erst wieder besser, als er aus dem Keller raus und durch die Halle ins Freie gelaufen war.
Kurzzeitig wurde es ihm schwarz vor Augen und sein Atem ging stoßweise. An die Hauswand gelehnt, saugte er die kühle Vormittagsluft in seine Lungen und merkte, wie es ihm langsam wieder besser ging und sein Kreislauf sich wieder beruhigte.

Werbung

Früher hatte ihm diese Platzangst gar nicht sonderlich zu schaffen gemacht. Ab und zu hatte er ein beklemmendes Gefühl bekommen, aber im Großen und Ganzen hätte er gelacht, wenn ihm jemand gesagt hätte, er leide unter Platzangst.
Aber dann war er in einem Elsaß-Urlaub in einen der Stollen der französischen Verteidigungsanlagen eingefahren und aus dem großen Stollen, der eine komplette Eisenbahn gefaßt hätte, wurden dann immer kleinere Gänge und Tunnel und schließlich konnte man sich nur noch mit eingezogenem Kopf fortbewegen. Hinter ihm drängten drei japanische Touristen, vor ihm versperrte ein schwitzender Belgier den Weg und da hatte er zum ersten Mal einen richtigen Anfall von Klaustrophobie gespürt.
An das, was damals geschehen war, konnte er sich nicht mehr erinnern. Er war erst wieder zu sich gekommen, als man ihm vor der Bunkeranlage ein feuchtes Tuch auf die Stirn gelegt hatte. Ausgerechnet der dicke Belgier war es, der sich fürsorglich um ihn gekümmert hatte.

Bei den ärztlichen Untersuchungen für die Polizeitauglichkeit hatte Petermann natürlich nichts davon gesagt, er fand es für seine Arbeit belanglos.
Wie oft fand man schon geheimnisvolle Kellerverstecke?

Eine junge Kollegin kam heraus zu ihm und fragte, ob es ihm gut ginge. Er nickte, brachte ein gequältes Lächeln zustande und behauptete, die schlechte Luft da unten hätte ihm zugesetzt und er habe ja auch noch nicht gefrühstückt.
Dabei war das schlichtweg gelogen, denn die Luft im Keller war ausgezeichnet gewesen.

Und das brachte den Kriminalhauptkommissar auf die Idee, die Villa Brockhagen zu umrunden um auf der Südseite die Stelle zu inspizieren, unter der seiner Meinung nach die geheime Kelleranlage liegen mußte.

Die Villa Brockhagen lag oberhalb eines ebenen Gartens mit großem Teich an einem Hang. Dadurch hatte sie vorne drei Stockwerke und hinten nur zwei, weil das Erdgeschoß im hinteren Bereich bereits im Hang lag.
Petermann mußte grinsen, denn vor ein paar Jahren hatte er auf Wohnungssuche einmal eine Wohnung besichtigt, die laut Maklerbeschreibung im ‚Gartengeschoß‘ gelegen hatte. Darunter hatte sich der Kommissar nichts vorstellen können und wenn überhaupt, dann hatte er an eine Wohnung mit Gartenaussicht gedacht.
Tatsächlich handelte es sich jedoch um eine Souterrain-Wohnung im Keller, mit ganz schmalen, winzigen Fenstern direkt unter der Decke. Wenn man sich auf die Zehenspitzen stellte, dann war man mit den Grashalmen im Garten auf Augenhöhe.
Immerhin: Den Garten hatte man sehen können.

Auf der Südseite der Villa war das weitläufige Gelände durch kleinere Hügel geprägt, die locker mit Büschen bewachsen waren. Einer dieser Büsche erregte Petermanns Aufmerksamkeit, denn dieser Rhododendron war im Gegensatz zu den anderen Büschen dort erstaunlich symmetrisch gestutzt.

Als er näher kam, merkte Petermann auch sogleich, warum das so war. Es handelte sich nämlich nicht um einen, sondern um drei Rhododendronbüsche, die vor Jahren mit einem gewissen Abstand gepflanzt und dann zu einem großen, kugeligen Busch vereint worden waren.
Man konnte den etwa drei Meter hohen Busch an der Seite bequem teilen und in das Innere blicken.
Dort fand der Kommissar zwei große, graue Lüftungsstutzen und es summte leise.
Petermann hatte die verborgene Lüftung des geheimen Kellerverlieses gefunden.

Aus seiner Jackentasche zog er eine zerdrückte Packung Marlboro und steckte sich auf dem Weg zurück zum Haus erst einmal eine Zigarette an.
Jetzt eine Tasse Kaffee, das wäre genau das Richtige, dachte er und unten in der Halle, wo Frau von der Tratow unter der Bewachung der jungen Beamtin inzwischen auf einem Stuhl saß und mit unterdrückter Stimme gehässig auf die Polizei und die verbrecherischen Foltermethoden schimpfte, winkte Petermann einen Kollegen herbei.
„Sind Sie doch bitte so gut und besorgen Sie mir mal einen Kaffee. Ich weiß, das ist nicht Ihr Job, aber da unten an der Ecke ist doch so ein Laden…“

Der Angesprochene grinste und klopfte Petermann auf die Schulter: „Wir haben genug Kaffee dabei, oder meinen Sie, wir fahren ohne irgendwo hin?“

Wenig später hielt er einen Plastikbecher mit dampfender schwarzer Kaffeebrühe in der Hand, paffte seine zweite Zigarette und hatte gerade für sich beschlossen, noch fünf Minuten Pause zu machen, bevor er sich Nathalie vorknöpfen würde um sie nach dem Keller zu befragen.

„Sie!“ meldete sich Frau von der Tratow zu Wort: „Sie wissen, daß das Folter ist! Das ist mein Menschenrecht, daß Sie mir auch etwas zu Trinken geben müssen.“

Der Kommissar lächelte und nickte der Kollegin zu, die bei der Alten stand und ihn fragend ansah.
Die nun folgenden Ereignisse dauerten insgesamt nicht mehr als drei, höchstens vier Sekunden.
Gleichzeitig passierte Folgendes:
Die junge Beamtin entfernte sich einige Schritte von Frau von der Tratow um in Richtung Küche zu gehen. Oben an der Treppe erschien Nathalie und kam diese mit schnellen Schritten herunter. Sie hatte einen verschleierten Blick und bewegte sich trotz der Geschwindigkeit wie in Trance auf den Kellereingang zu.
Petermann hatte sich gerade in die Richtung der jungen blonden Frau gewandt, da sah er aus dem Augenwinkel, wie Frau von der Tratow aufsprang, etwas aus der Tasche ihrer schwarzen Strickweste zog und auf Nathalie zu sprang.
Der Kommissar schrie: „Achtung!“ und wollte sich auf die Alte werfen, die das was sie aus der Tasche gezogen hatte, inzwischen hoch über dem Kopf am ausgestreckten Arm in der Hand hielt.
Die junge Beamtin fuhr ebenfalls herum und bewegte sich in die selbe Richtung. Petermann und sie stießen heftig zusammen, woraufhin die Kollegin gegen das Treppengeländer geschleudert wurde und Petermann Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben.
Zwei weitere Beamte in weißen Papieroveralls waren aus anderen Räumen herbei gesprungen und alle stürmten auf Frau von der Tratow los.
Doch die hatte die entscheidende Sekunde Vorsprung, diesen berühmten halben Meter, und war schon bei Nathalie angekommen, ihre Hand sauste nach unten und Petermann erkannte, daß sie eine aufgezogene Spritze mit recht kurzer Kanüle in der Hand hielt.
Die Beamten hatten Frau von der Tratow erreicht, doch sie konnten nicht mehr verhindern, daß die Alte Nathalie die Spritze in den Hals rammte und den Kolben herunter drückte.

Nathalie sank in der selben Sekunde mit verdrehten Augen zu Boden und wurde von der jungen Beamtin gerade noch aufgefangen, sonst wäre sie die Kellertreppe hinunter gefallen.
Die zwei im weißen Overall knieten auf Frau von der Tratow und hatten Mühe, die strampelnde Alte, die wie wild um sich schlug und trat und dabei die wüstesten Beschimpfungen ausstieß, zu bändigen.

„Was ist mit Nathalie?“ rief Petermann und lief die zwei Schritte zu seiner Kollegin hinüber, die Nathalies Kopf auf ihrem Schoß gebettet hatte.
Die Beamtin sah zu ihm auf und sagte: „Ich glaub‘ die ist tot.“

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)