Geschichten

Die Fee der Nacht -24-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Petermann hatte am nächsten Morgen seine Kollegen los gejagt und dann die Ergebnisse ihrer Ermittlungen abgewartet. Die Zeit vertreib er sich scheinbar gelangweilt, indem er über eine Stunde lang von seinem Schreibtisch aus einen Baseball gegen das schwarze Brett an der Wand warf und ihn wieder auffing.
Das machte draußen auf dem Gang ein polterndes Geräusch und jeder im Dezernat wußte, daß Petermann keineswegs nur gelangweilt mit einem Ball spielte, sondern daß er intensiv nachdachte.

Die Beamten der ganzen Abteilung bemühten sich um rasches Arbeiten, zeigten dem Kriminalhauptkommissar gegenüber fast schon eine etwas übertrieben wirkende Höflichkeit; sie alle hatten auf irgendeine Weise ein schlechtes Gewissen. Ein schnell erledigter Fall ist ein guter Fall.
Ein Suizid, Aktendeckel zu, Fall gelöst, ab zu den Akten, nächster Fall.

Das war ja auch von oben so gutgeheißen worden, das war ja auch alles schlüssig und dieser Petermann, ja, der alte Kauz, der war schon gut, vielleicht sogar der beste Ermittler überhaupt, aber vielleicht war er ja doch schon ein bißchen zu alt. So hatten die Kollegen gedacht, vielleicht nicht alle, aber vielleicht doch die meisten.

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Doch seit einem Tag sah die Welt ganz anders aus. Jetzt war auf einmal Petermanns Mordtheorie das Nonplusultra und natürlich ergaben alle Spuren auch in dieser Hinsicht eine mögliche Erklärung für alles.

In Petermanns Büro klingelte das Telefon und er hörte sich den Bericht eines Beamten schweigend an, stellte keine Fragen, brummte nur zum Abschied und legte wieder auf.
Der Kollege hatte ihm bestätigt, was er vermutet hatte. Die Befragung der Nachbarschaft im Südviertel, wo die Villa Brockhagen stand, hatte eindeutig ergeben, daß alle Nachbarn einhellig aussagten, die Villa sei in den letzten Jahren ausschließlich vom Herrn Minister und seiner Frau bewohnt gewesen. Von einem jungen Ehepaar Brockhagen wisse man zwar etwas, aber das Paar soll angeblich im Ausland gelebt haben.
Wieder ging bei Petermann ein Anruf ein, die Kollegen am anderen Ende der Stadt beim Wohnhaus des Ministers bestätigten wiederum den Anruf von soeben und brachten Petermann dazu, zufrieden zu lächeln.
Der Herr Minister hatte dieses Haus vor Jahrzehnten gebaut und mit seiner Frau dort gelebt, bis er ins Ministerium gewechselt war und die Villa Brockhagen in der Südstadt gekauft hatte. Sein bescheidenes Wohnhaus hatte er aber behalten und je nach den Erfordernissen auch dort mal hin und wieder einige Tage gewohnt.

Petermann nickte zufrieden. Das war so ziemlich das, was er sich am Tag zuvor gedacht hatte, als er die Villa Brockhagen betrachtet hatte. Dieses altehrwürdige Gemäuer war mit einem recht umfangreichen Bunker versehen, aber das waren keine Anlagen, die in den letzten paar Jahren eingebaut worden waren, dafür war im Garten alles zu sehr bewachsen. Das mußte alles schon länger bestehen, als daß Roland Brockhagen es neu hatte installieren lassen, um was auch immer da unten zu treiben.
An der Tür von Petermanns Büro klopfte es und ohne auf ein ‚Herein‘ zu warten, betrat eine junge, sehr adrette Kollegin das Büro und überreichte dem Kriminalhauptkommissar mehrere Seiten eines Faxes.
Petermann überflog die Blätter nur, es waren Grundbuchauszüge, die nur nochmals bestätigten, was er durch die Telefonate von soeben schon wußte.
Zu seiner Kollegin sagte er: „Da hat der Alte also zwei Häuser, das eine als Ausweichdomizil und aus Nostalgie und die Villa als Dauersitz und zu Repräsentationszwecken. Und wir Deppen haben geglaubt, nur weil wir dort Nathalie Brockhagen angetroffen haben, müßte sie auch die Dame des Hauses sein.“

Die Beamtin nickte und stimmte ihm zu: „Es ist so, wie Sie sagen und ich habe noch was am Laufen. Ich habe mal versucht, herauszubekommen, wann es größere Umbaumaßnahmen am Haus gegeben hat. Irgendwann müssen ja die Zellen im Keller eingebaut worden sein, das kann ja nicht passiert sein, ohne das die Nachbarn etwas davon mitbekommen haben.“

Petermann hob anerkennend die Augenbrauen und fischte aus dem unordentlichen Papierstapel auf seinem Schreibtisch einen Zettel. „Gute Idee! Hier, das hier ist die Nummer von den Kollegen vor Ort, die sowieso gerade die Nachbarn befragen. Rufen Sie die an, die sollen auch nach den Baumaßnahmen fragen. Eine Baugenehmigung mit Lageplan und so werden wir ja im Katasteramt wohl kaum finden.“

Die Kollegin blieb stehen, so als ob sie noch auf weitere Anweisungen wartete, aber Petermann starrte an ihr vorbei und sagte: „Nichts in diesem Fall ist so wie es scheint. Also haben die jungen Leute, Roland und Nathalie, nicht in der Villa Brockhagen gelebt, sondern der Minister und seine Frau. Warum wußte eigentlich niemand, daß die Brockhagens Kinder haben?“

„Das wußte man“, sagte die Kriminalbeamtin zu Petermann. „Es gibt sogar Zeitungsausschnitte von früher, als seine Kinder noch ganz klein waren. Das Mädchen war damals vier Jahre alt und Roland, sein Sohn, sechs. Da hatte sich Brockhagen mit Ehefrau, Kindern und vom damaligen Nachbarn ausgeliehenen Cocker-Spaniel für eine Wahlkampfbroschüre so in ganz familienfreundlicher Pose fotografieren lassen.
Aber danach hat es geheißen, die Kinder seien im Internat, im Ausland, zum Studium in Übersee und so weiter. Mal ehrlich, wer kümmert sich schon darum, ob so etwas wirklich stimmt. Brockhagen hatte immer eine Erklärung für den Verbleib der Kinder und irgendwann galten die mal als erwachsen und keiner fragte mehr nach denen, der Minister hatte halt sein Privatleben aus der Presse raus gehalten und das hat man respektiert, das hat funktioniert.“

„So, und jetzt ist dieser Roland wieder da, wie aus heiterem Himmel und hat eine Frau, unsere Nathalie, die in Wirklichkeit seine Schwester ist. Selbst Brockhagen hat ja immer von seiner Schwiegertochter gesprochen. Nachdem die Kinder also jahrelang verschwunden waren, sind die Geschwister auf einmal zu einem vermeintlichen Ehepaar mutiert? Was soll denn diese schwachsinnige Scheiße?
Also, offiziell, also jetzt nach dem Wenigen, das die Nachbarn wissen, soll die Tochter aktuell im Ausland leben. Der Kollege am Telefon sagte mir gerade, die Nachbarn seien sich wegen der Tochter überhaupt nicht sicher. Die einen meinten, die sei mit einem Professor in Australien verheiratet, die anderen sagten was von Neuseeland. Und jetzt auf einmal sind beide Kinder als Erwachsene wieder da, Roland als Sohn und Nathalie zur Schwiegertochter mutiert? Was soll das denn? Das ist doch alles völlig verrückt!“

„Ja, Sie haben Recht, Herr Hauptkommissar, das klingt als habe es sich ein etwas abgedrehter Krimiautor ausgedacht, um seine Leser auf eine völlig falsche Fährte zu führen.“

„So was kann sich keiner ausdenken, so was passiert; und es passiert hier genau vor unseren Augen. Ich sag ja: Nichts in diesem Fall ist so wie es scheint.“

„Was jetzt?“

„Wie? Was jetzt?“

„Ja, was passiert jetzt?“

„Tsss, der ganze Polizeiapparat rödelt wie bekloppt, die Fahndungen sind raus, ich will Nathalie Brockhagen hier haben, ich will die alten Brockhagens hier haben und ich brauche das DNA-Gutachten aus der Rechtsmedizin. Irgendwie stinkt das alles zum Himmel. Ich sag’s nochmal, nichts ist wie es scheint.“

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