Frau von der Tratow öffnete die Tür des großen Reihenhauses und ging ohne Gruß einfach wieder ins Haus hinein, die beiden Freunde Petermann und Joswig ließ sie einfach vor der Tür stehen, so als ob es das Selbstverständlichste von der Welt war, daß sie zu Besuch kamen oder als ob sie die beiden bereits erwartet hatte.
„Gell, Du hast gehört, daß die uns hereingebeten hat, oder?“ fragte Petermann seinen Begleiter.
„Aber sicher doch“, sagte dieser und gab Petermann einen leichten Stoß.
Sie fanden Frau von der Tratow in einem Ohrensessel im Wohnzimmer vor. Der Sessel stand so, daß die alte Frau aus dem Fenster in den großen, gepflegten Garten schauen konnte.
„Sie wissen genau, daß ich Sie gar nicht hätte hereinlassen müssen“, sagte sie. „Nun setzen Sie sich schon!“
Petermann hüstelte und sagte: „Es gibt da eine ganze Reihe offener Fragen und hätte gerne ein paar Antworten von Ihnen…“
„…und wenn ich Ihnen die nicht gebe, dann sperren Sie mich wieder ein, ja?“
Der Kommissar ging auf diese Spitze gar nicht ein und fragte: „Wo ist Nathalie Brockhagen? Wo sind Minister Brockhagen und seine Frau? Was hat es mit dem Verlies im Keller auf sich?“
„So viele Fragen auf einmal? Also der Reihe nach. Wo Nathalie ist, das weiß ich nicht. Die Brockhagens sind in Höchenschwand. Und was die Räumlichkeiten im Keller anbetrifft, da müßten Sie schon Herrn Brockhagen selbst fragen.“
Jojo tippte bereits auf seinem Mobiltelefon herum und hielt Petermann die Anzeige einer Karte des südlichen Schwarzwaldes unter die Nase und flüsterte: „Höchenschwand, da hört man schon die Schweizer Alphorn blasen.“
Petermann nickte und schob das Telefon beiseite. „Frau von der Tratow, warum sprechen Sie jetzt mit mir? Warum sagen Sie mir das? Wir hätten doch von Anfang an Klartext reden können.“
„Ach wissen Sie, Herr Schutzmann, ich bin müde. Ich bin so müde, ich kann das alles nicht mehr. Ich will, daß es Nathalie gut geht, mehr nicht.“
„Das sah aber in der Villa Brockhagen ganz anders aus…“
„Ach, was wissen Sie denn schon? Sie sind ein kleiner Beamter, ein Schnüffler, ein Terrier. Sie wissen gar nichts! Was ich getan habe, das diente nur dem Schutz von Nathalie. Ich bin der Puffer zwischen ihr und Brockhagen. Haben Sie das nicht begriffen? Ich bin nicht Nathalies Kerkermeisterin gewesen, wie Sie es vielleicht mit Ihrem kurzsichtigen Polizeiblick angenommen haben, sondern ich war da, um das Kind zu beschützen.“
„Und da spritzen Sie ihr Gift?“
„Gift? Ich glaube es geht Ihnen zu gut! Wo denken Sie hin? Ich habe das Mädchen ruhig gestellt. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß ihr nicht noch mehr angetan wird!“
„Was wurde ihr denn angetan?“ fragte nun Jojo neugierig, doch Frau von der Tratow gab keine Antwort.
Petermann versuchte es mit einer anderen Frage: „Was hat es mit den ‚Schwarzen Ariern‘ auf sich?“
Obwohl Petermann und Joswig vom Sofa aus nur gegen die Rückenlehne des von ihnen abgewandten Sessels sprachen, sah man an der linken Hand der Frau, die auf der Sessellehne auf einem Spitzendeckchen lag, daß sie unter dieser Frage zusammenzuckte. Die knochigen Finger gruben sich tief in die Polsterung der Lehne.
„Los, sagen Sie es schon! Was ist das da mit dieser schwarzen Sonne?“
Bestimmt drei Minuten lang herrschte nach dieser Frage absolute Stille. Nur das langsame Ticken einer großen Standuhr, die irgendwo im Haus stehen mußte, war zu vernehmen. Achim Joswig wollte schon etwas sagen, doch Petermann legte seine Hand kurz auf dessen Knie und schloß kurz die Augen. Joswig verstand und schwieg.
Endlich unterbrach Frau von der Tratow das Schweigen und sagte: „Sie sind besser als ich dachte. Auf die Loge sind Sie also auch schon gekommen?“
„Muß ich Ihnen jetzt jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen?“ schimpfte Petermann.
„Die Loge wurde vor über 200 Jahren gegründet. Gründer war ein Franzose namens Poulainteaux. Ihm hatten sich zwölf Männer von großem Einfluß angeschlossen und die Loge der schwarzen Sonne gegründet. In Flandern gab es kurz darauf eine Dependance, die jedoch in den Folgejahren in Konkurrenz zur Gruppe von Poulainteaux trat. Während die Franzosen versuchten, ein Netzwerk aus Einfluß und Macht zu schaffen, ging die Gruppe aus Flandern, die sich nach Alkmaar in Nordholland begeben hatte, einen okkulten und dunklen Weg. Die Franzosen versuchten durch den Gewinn von Erkenntnis auf eine höhere Ebene der Weisheit zu gelangen und dadurch in ihrer eigenen Person ein besserer Mensch zu werden. Die Holländer aber hingen der Theorie an, dieser bessere Mensch, wie es ihn zuletzt auf Atlantis gegeben hat, könne nur durch Auslese und Zucht neu geschaffen werden.“
„Und die gründeten die ‚Arier der Schwarzen Sonne‘? fragte Jojo.
Frau von der Tratow fuhr fort: „Mein Mann und später auch ich waren von dieser Idee fasziniert. Ein neuer, edler Mensch von ganz besonderem Geblüt. Eine Rasse, die an Intelligenz und Schönheit von keiner anderen übertroffen wird, friedliebend, strebsam, fleißig. Die geborenen Könige einer neuen Welt…“
Kriminalhauptkommissar Klaus Petermann unterbrach die Frau: „Wissen Sie, Frau von der Tratow, das ist ja alles gut und schön, aber irgendwie bringt uns das Geschwafel da nicht weiter. Ich habe einen Mordfall aufzuklären. Ich will einfach nur wissen, wer Roland Brockhagen erschossen hat.“
Jojo verdrehte die Augen und schaute Petermann vorwurfsvoll an. Zu gerne hätte der Journalist mehr über die seltsame Loge erfahren, doch das ungestüme Vorgehen seines Freundes hatte die alte Frau sofort verstummen lassen.
Nochmals fragte Petermann: „Wer hat Roland Brockhagen erschossen?“
Die Frau antwortete nicht und Petermann versuchte es anders herum: „Gut, dann muß ich annehmen, daß es Nathalie war.“
Nun stand Frau von der Tratow auf, kam um den schweren Sessel herum und blieb auf der anderen Seite des niedrigen Wohnzimmertisches vor Petermann und Joswig stehen.
„Nein, Nathalie war das nicht. Das dürfen Sie nicht annehmen! Das Kind könnte so etwas niemals tun.“
„Wer war es?“
Man merkte, wie die alte Frau mit sich rang und schließlich seufzte sie laut und schüttelte langsam den Kopf. Dann hob sie ihre Arme und ließ sie kraftlos wieder fallen. „Meine Güte, es muß Ihnen doch reichen, wenn ich sage, daß es Nathalie nicht war. Ich habe sowieso schon viel zu viel gesagt.“
Petermann ließ nicht locker: „Das Mädchen ist ja praktisch schon überführt. Sie stand ja sozusagen mit der rauchenden Flinte in der Hand neben der Leiche…“
„Nein, das tat sie nicht! Sie konnte gar nicht mit dem Gewehr neben der Leiche stehen.“
„Und warum nicht?“
„Weil das Gewehr ganz wo anders war.“
„Wo war es denn? Es hat doch unmittelbar nach dem Eintreffen des Bestatters neben der Wohnzimmertür gestanden, soviel ist sicher.“
„Ja, ja, das stimmt ja auch. Aber als die beiden Bestatter gekommen sind, war es noch nicht da. Ignaz hatte es…“
„Dieser Koffer? Dieser Aufpasser?“
„Ignaz hat Nathalie nur beschützen wollen.“
„Dann war er an dem Abend auch im Haus?“
„Wir waren alle dort, Mimi, der Minister, Nathalie, Roland, Ignaz und ich.“
„Eine fröhliche Party also?“
„Machen Sie sich nicht lächerlich! Nach dem Schuß sind der Minister und seine Frau sofort verschwunden. Ignaz hat das Gewehr in die Küche gelegt und mich zum Wagen begleitet. Er sollte die Leiche unauffällig beseitigen, doch was macht das Mädchen? Sie ruft den Bestatter an, so etwas Dummes, so etwas Lächerliches! Ruft die den Leichenbestatter an…
Ignaz hat das Eintreffen des Bestatters abgewartet und wollte dann einfach dazu stoßen, die beiden wieder wegschicken und ihnen sagen, die Polizei sei schon verständigt und so weiter. Aber dann geriet alles außer Kontrolle. Die Bestatter hatten ja die Leiche inzwischen gesehen und würden sich später vielleicht an die Polizei wenden…“
„Das Risiko bestand ja in der Tat, die hätten sich doch nicht einfach so wegschicken lassen und selbst wenn, irgendwann hätten sie sich gewundert, daß man sie nicht wieder gerufen hätte oder das die Polizei sich nicht meldet und dann…“
Frau von der Tratow seufzte erneut. „Dazu wäre es nicht gekommen. Ignaz hätte eine Lösung für das Problem gefunden. Aber da hatten die schon vom Handy aus die Polizei gerufen und damit konnte Ignaz nicht mehr eingreifen. Er stellte nur noch lautlos das Gewehr neben die Tür und hat sich aus dem Staub gemacht.“
„Und wie hätte es weiter gehen sollen? Jetzt da Nathalie allein mit der Leiche war?“
„Das war ja das Problem. Ab da ist alles anders gekommen als wir es geplant hatten.“
„Es war also geplant, Roland Brockhagen zu erschießen?“
„Nein, um Himmels Willen! Nein! Aber nachdem es passiert war, hatte der Minister sofort alles geplant, Ignaz hätte sich um alles gekümmert, ich hätte Nathalie versorgt und keiner hätte was mitbekommen.“
„Außer das da ein Mensch fehlt!“
Die alte Frau lachte. „Kein Mensch hätte das bemerkt. Nie hat jemand was bemerkt, jahrelang nicht!“
„Bleibt die Frage, wer Roland Brockhagen erschossen hat.“
„Das, Herr Wachtmeister, das ist Ihre Aufgabe, das heraus zu finden.“
„Und welche Rolle spielen Roland und Nathalie in der ganzen Geschichte? Was ist mit dem Verlies?“
Frau von der Tratow setzte sich wieder in ihren großen Sessel und schaute stumm aus dem Fenster.
Petermann und Jojo verstanden, daß für sie im Moment alles gesagt war und sie nichts mehr sagen würde.
„Wir kommen wieder“, kündigte Petermann an und die beiden verließen das Haus der alten Frau.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Spannend, spannend. Und Petermann tut mir irgendwie leid. 😀
uaaaaaah, gleich 2 Klippen in einer Geschichte 😡
Sowas wie „Mord im Orientexpress“, jeder hat einmal abgedrückt?
Mir gefällt das neue Design – sehr schön, dass das Fenster bei diversen Browsern jetzt nicht mehr in den Weg rückt (auch wenn ich das Fenster selber schön finde.)
Was die Story angeht : Spannend (jetzt auch noch mit einem Hauch Dan Brown? 😉 )
Mannomann… jetzt lässt uns der Purche wieder hängen… werft ihn zu Poden, ten Purchen!!!
Das ist ja immer spannender, du hast das echt gut drauf!
Das Design ist mMn etwas gewöhnungsbedürftig, wenn auch jetzt besser gestaltet, da die Übersicht leichter fällt… es wirkt hier auf einmal so hell *gruselt sich und zieht sich wieder in ihre dunkle Grotte zurück*!!!
Aktuell mogelt sich bei mir mit Chrome wieder das alte Fenster von links ins Bild/über den Text das legt sich wieder, oder?
Das neue Layout ist hübsch und fast so spannend wie die coole Geschichte rund um Kommissar Petermann.
Alles neu macht der Mai ;-), gefällt mir gut, das neue Design. Ich liebe Krimis:-) und freu mich auf die Fortsetzung.
Ich sehe auch zweimal die Fenstergrafik – einmal hat sie sich über den Text geschoben.
Ha, jetzt ist mir die Lösung klar. Roland war der Sohn von Brockhagens, Natalie die Tochter der von der Tratows – und die sollten dann zusammen irgendwann dieses „reine, holde Kindlein“ zeugen, von dem diese verdrehten Dunkelarier da träumen. Oder? Wie ich Tom kenne, natürlich nicht…
na, also das wäre ja nun doch zu einfach…
Vor allem, was macht dabei dieser ominöse Overall, in dem Tom den Roland bestatten sollte? War das etwa die „Uniform“ der Sonnenanbeter??? Fragen über Fragen…..
Hi!
Sieht doch eigentlich gut aus. Schön einfach und daher perfekt für eine solche Seite.
… und wo sind jetzt die rosa Strapse ???
@Uli-mit-Hut: die trägt die Tratow unter ihren langen schwarzen Röcken….
dem Minister würden sie besser stehen … *kicher* und seine Olle bekommt eine Peitsche …
Es ist und bleibt spannend.
turtle, doomed Klippenhänger.
Turtle of Dune?
Der Zahnarzt hat mir noch keinen Giftgas-Zahn gezogen…
Ich dachte an sandwurmreitende Ninja-Turtle im Kampf gegen Baron von Tratonnen und seine satanischen Verse rezitierenden Brockhagens und Retter der Nachtfee …
Mir ergeben sich noch mehr Fragen, die die Tratow beantworten könnte:
– wer ist Natalie?
– wo ist die Tochter der Brockhagens?
– warum ist die Tratow Natalies Beschützerin vor Brockhagen?
Für diese 3 Fragen würde Colombo mindestens 4 Mal zurück kommen 😀
Eine Frage hätte ich da doch noch:
„Die alte Frau lachte. “Kein Mensch hätte das bemerkt. Nie hat jemand was bemerkt, jahrelang nicht!”
…da haben die beiden Herren aber tief und fest geschlafen, eigentlich hätte einer sofort fragen müssen, was niemand jahrelang bemerkt hat! 😉